71. Internationale Filmfestspiele Berlin
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Wettbewerb
Memory Box
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Zwei sehr sehenswerte Filme [Memory Box und Ballad of the white cow], die der internationalen Jury aus früheren Bären-Gewinnern unverständlicherweise keinen Pfifferling wert waren – nicht einmal eine lobende Erwähnung – waren der iranische und einer der beiden kanadischen Beiträge. Augen offenhalten, falls sie in der Juni-BERLINALE gezeigt werden oder sonst einmal nach Deutschland gelangen!
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In Memory Box leben Großmutter, Mutter und Enkelin aus einer libanesischen Immigrantenfamilie nach dem Tod des Großvaters und der Trennung vom Ehemann der Mutter zusammen in einem schönen Haus in Montreal. Anders als in ihrer alten Heimat werden die drei selbstbewussten Frauen hier regelmäßig von Schneestürmen heimgesucht. Eines Tages wird der Mutter eine Kiste mit alten Schreibheften, Tonbändern und Fotos zugesandt, die sie vor rund dreißig Jahren Zeit ihrer besten Freundin in Beirut anvertraut hatte, bevor sie mit ihrer Mutter den Libanon verließ. Mutter Maia (Rim Turki) will diese Büchse der Pandora nicht öffnen, denn sie hat mit der Vergangenheit abgeschlossen, die von den Verheerungen des libanesischen Bürgerkrieges der achtziger Jahre geprägt war.
Die Enkelin Alex (großartig: Paloma Vauthier) kann nicht widerstehen, zu neugierig ist sie darauf zu erfahren, wie ihre Mutter im Libanon als Teenagerin gelebt und was sie dort erlebt hat, wovon sie ihr gegenüber so beharrlich schweigt. Die alten Fotos und Audiokassetten fesseln Alex derartig, dass sie darüber ihr sonstiges Daddeln am Smartphone vergisst und tage- und nächtelang heimlich in das Schicksal ihrer Familie eintaucht. Als ihre Mutter davon erfährt, gibt es zwar Streit, aber auch Versöhnung und ein neues Aufeinanderzugehen zwischen Mutter und Tochter. Und – Konsequenz des Reflektierens der Vergangenheit – einen Aufbruch in die alte Heimat.
Aus einer relativ simplen Ausgangssituation, bei der die Familiengeschichte frei Haus geliefert wird, gelingt es dem aus Beirut stammenden Regie-Duo Joana Hadjithomas und Khalil Joreige, eine fesselnde Geschichte zu entwerfen, bei der mehrere inhaltliche Ebenen geschickt miteinander verwoben und aufeinander bezogen sind: Die wechselhafte Familiengeschichte, fokussiert auf die drei Frauenfiguren, die heitere Geschichte der Freundschaft zweier Freundinnen, die tragische Geschichte des Libanon und schließlich eine Geschichte der Medien, die je nach technologischer Beschaffenheit (Audiokassetten, analoge Fotografie, digitale Smartphones etc.) Produkte liefern, die unmittelbar auf die Struktur von Erinnerungen einwirken – und damit auf die anderen genannten drei Ebenen der Story.
Trotz aller Vielschichtigkeit wirkt der Film nie überfrachtet, da das Regie-Paar stets eine gute Balance zwischen den Inhaltsebenen herstellt und außerdem auf die gut ausgestalteten Charaktere vertrauen kann, die die Zeit- und Bedeutungssprünge verbinden. Ein meisterhaft komponierter Film, der einen Bären wert gewesen wäre.
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Memory Box | © Haut et Court - Abbout Productions - Micro_Scope
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Bewertung:
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Max-Peter Heyne - 7. März 2021 ID 12790
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinale.de/
Post an Max-Peter Heyne
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