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Wenn ein berühmter Regisseur wie Martin Scorsese erklärt, dass er und mehrere andere amerikanische Filmemacher seiner Generation mehr von britischen Kinofilmen beeinflusst wurden als von amerikanischen, dann ist das eine bedeutsame Aussage. Auf seine Erfahrungen geht die filmwissenschaftliche Dokumentation Made in England – Die Filme von Powell und Pressburger zurück. Der 1942 geborene Scorsese litt als Kind an Asthma und verbrachte viel Zeit zu Hause. In den 1950er Jahren wurde dort das Fernsehen eingeführt und war so erfolgreich, dass die Filmindustrie temporär einen Teil ihrer Bedeutung verlor. Deswegen verkauften sie keine Lizenzen ihrer Kinofilme an die Fernsehsender.

Die Briten dagegen hatten sich noch nicht vom Zweiten Weltkrieg erholt, und in dieser Hinsicht keine Bedenken. Sie hatten große Talente, darunter das bahnbrechende Regie- und Autorengespann Michael Powell (1905-1990) und Emeric Pressburger (1902-1988), das von Martin Scorsese persönlich vorgestellt wird. Er meint, dass das Filmschaffen der beiden ins i>„filmische Unterbewusstsein“ von ihm, Brian De Palma, Francis Ford Coppola und etlichen anderen amerikanischen Regisseuren eingeflossen sei. Die Zusammenarbeit von Powell und Pressburger brachte Meisterwerke wie Die schwarze Narzisse (1947), Die roten Schuhe (1948) und Hoffmanns Erzählungen (1951) hervor.

Der britische Regisseur David Hinton hatte im Jahr 1986 schon eine Fernsehdokumentation über Michael Powell gemacht und setzte nun nach den Erinnerungen von Martin Scorsese gemeinsam mit ihm diesen Kinofilm um, für den sie reichlich und wunderbar ausgewählte Filmausschnitte sowie teilweise seltenes Dokumentarmaterial zusammengetragen haben. Scorsese hatte mit Powell zumindest eines seiner Idole im Jahr 1974 besser kennenlernen können, woraus eine langjährige Freundschaft entstand. Powell war in Großbritannien in Vergessenheit geraten, fand durch Scorsese in den USA aber wieder Arbeit und eine neue Liebe. Er heiratete Scorseses langjährige Cutterin, die preisgekrönte Thelma Schoonmaker, und fand ein spätes Glück.

Michael Powell war Brite, machte seine ersten Erfahrungen mit Film noch während der Stummfilmzeit in Frankreich. Hier zählten in erster Linie möglichst ausdrucksstarke Bilder, was Powell in seinen eigenen Filmen später zu wahren Höhenflügen veranlasste. Zurück in England war er zunächst bei dem legendären Alexander Korda unter Vertrag, einem der führenden Filmschaffenden in Großbritannien, für den Powell Co-Regie bei Der Dieb von Bagdad (1940) führte, der den kleinen Martin Scorsese nachhaltig beeindruckte.

Über Korda lernte Powell Emeric Pressburger kennen, einen ungarischen Juden, der eine produktive und glückliche Zeit bei den Ufa-Filmstudios in Berlin verbracht hatte, nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten Deutschland aber verließ. Er war ein Charmeur mit Mutterwitz und ein begnadeter Drehbuchautor. Scorsese erzählt, dass Pressburger einen schönen Geist hatte und ein Genie war, wenn es um Story und Struktur ging, während Powell der Dynamo und der Mann der Tat war. Ihre enge Zusammenarbeit währte über fast 20 Jahre, die meisten Filme entstanden mit der eigenen Produktionsfirma The Archers. Trotz oder vermutlich wegen ihrer Gegensätzlichkeit spornten sie sich zu immer neuen Höchstleistungen an. Sie hatten sich im Kriegsjahr 1939 kennengelernt, was ihrer innovativen Arbeit einen tieferen Sinn verlieh.

Der damalige Premierminister Winston Churchill spannte die Filmindustrie gezielt für Propagandazwecke gegen das Dritte Reich ein, was von Powell und Pressburger eindeutig begrüßt wurde. Der 49. Breitengrad war im Jahr 1941 ein Versuch, die bis dahin noch zögerlichen USA zum Kriegseintritt zu bewegen. Eine deutsche U-Boot-Besatzung strandet in Kanada, das zum britischen Commonwealth gehört, und die Nazis machen sich auf den Weg in die neutralen Vereinigten Staaten. Es war ein ziemlich cleverer Schachzug, den Krieg praktisch vor der amerikanischen Hausschwelle stattfinden zu lassen, schwärmt Scorsese.

Insbesondere Pressburger war in seinen Originaldrehbüchern aber ausgewogen und unterschied sehr klar zwischen Nazis und Deutschen, die er nicht über einen Kamm scheren wollte. Im Film Lieben und Sterben des Colonel Blimp (1943) nahmen die beiden auch noch das Militär komödiantisch aufs Korn, und da war Churchill sehr ablehnend. Klassische Kriegspropaganda ist eindimensional, wiederholend und arbeitet mit unmissverständlichen Feindbildern, was sie eingängig und wirkungsvoll macht. Wenn jemand wusste, wie ernst die Lage in Wirklichkeit war, dann war es Churchill, und der fürchtete eine Zersetzung der Truppenmoral und legte den Filmemachern Steine in den Weg; aber er konnte den differenzierten Film nicht verhindern und der Erfolg gab den Filmschaffenden letztendlich Recht. Die Briten kämpften auch so um ihre Souveränität, die ihnen bis heute ein wichtiges Anliegen ist, und die junge Deborah Kerr in drei verschiedenen Rollen war eine Augenweide für sich. Scorsese resümiert, dass das Schaffen des Duos außergewöhnlich war: „Sie waren experimentelle Filmemacher, die innerhalb des Systems arbeiteten.“

Nach dem Zweiten Weltkrieg perfektionierten sie ihre Filmkunst und erschufen Bravourstücke wie Die schwarze Narzisse (1947), Die roten Schuhe (1948) und Hoffmanns Erzählungen (1951). Sie vereinten mehr und mehr alle Kunstgattungen in einem Werk. „Alle Kunst ist eins“, meinten sie. Zu dieser bei ihnen überbordenden Synthese gehörten Text, Schauspiel, Musik, Tanz sowie Architektur, Bauten, Design, Kameraführung und Schnitttechnik, die sie in teilweise rauschartigen und surrealen Bildern miteinander verschmolzen, was sich am ehesten als romantischer Idealismus bezeichnen lässt.

Der Fokus auf spektakuläre Schauwerte hatte sich in dieser Form wohl aber ausgereizt. Im Lauf der 1950er Jahre begann ihr Stern zu sinken und sie konnten an die vorherigen Erfolge nicht mehr anknüpfen. Die „zornigen jungen Männer“, (ein Begriff, der auf John Osbornes Theaterstück Blick zurück im Zorn von 1956 zurückgeht), nutzten den britischen Filmmarkt, den sie mit realistischen Sujets der harschen Nachkriegszeit bestückten. Pressburger zog sich weitgehend zurück, während Powell noch weiterarbeitete. Mit Peeping Tom (deutscher Titel Augen der Angst) schaufelte er sich 1960 dann selbst sein berufliches Grab. Der Thriller handelt von einem psychisch kranken Serienmörder und beendete die Karrieren von Powell und seinem Hauptdarsteller Karl-Heinz Böhm. Der schmucke Kaiser aus den Sissi-Filmen löste gerade im deutschsprachigen Bereich einen riesigen Skandal aus. Erst 20 Jahre später erfuhr das Werk eine Wertschätzung, Powell war seiner Zeit da voraus gewesen.

Made in England – Die Filme von Powell und Pressburger ist die Geschichte zweier inspirierter und begabter Männer, die ihre Visionen umsetzten, so gut es möglich war. Wenn sie Kompromisse eingingen, blieb der Erfolg öfter aus. Sie setzten in schwierigen Zeiten ein Zeichen und zeigten visionäre und opulente Filme, lange bevor die digitale Technik erfunden wurde. Scorsese hat sie nun mit seiner ansteckenden Begeisterungsfähigkeit aus der Versenkung herausgeholt und ihnen ein filmisches Denkmal gesetzt. Leider kommt Emeric Pressburger zu kurz dabei, weil Scorsese einfach zu wenig über ihn weiß. Scorsese zeigt Ausschnitte auch aus eigenen Filmen, die von seinen Vorbildern beeinflusst wurden. Im Vordergrund aber steht eine üppige Auswahl fantastischer Filmausschnitte aus deren Werken, die die über zweistündige Dokumentation nicht nur lehrreich, sondern auch zu einem Augenschmaus macht.



Emeric Pressburger (li.) und Michael Powell auf dem Höhepunkt ihrer Karriere | © MUBI

Helga Fitzner - 20. Juni 2024
ID 14807
https://mubi.com/


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