UNSERE NEUE GESCHICHTE (Teil 50)
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Heiligt
die Kunst
die Mitschuld?
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Bewertung:
"Ihr Werk zu dechiffrieren heißt: eine Ursünde der Filmpropaganda offen zu legen, um sie im Heute wiedererkennen zu können." (Sandra Maischberger, Produzentin)
Prolog
700 Kisten mit allen möglichen Archivalien mussten in jahrelanger Vorarbeit für die Dokumentation Riefenstahl durchforstet und ausgewertet werden. Die Journalistin und Fernsehmoderatorin Sandra Maischberger hatte anlässlich von Riefenstahls 100. Geburtstag im Jahr 2002 noch ein Interview mit ihr geführt, in dem die Jubilarin bis zuletzt auf ihre Opferrolle beharrte und eine Mittäterschaft durch ihre Propagandafilme für das Dritte Reich vehement abstritt. Als im Jahr 2016 der Nachlass von Leni Riefenstahl (1912-2013) endlich an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz übergeben wurde, schlug Maischberger eine Sichtung der Bestände durch ein von ihr gestelltes Team vor, um einen Teil davon für die geplante Dokumentation verwenden zu dürfen, für die sie als Produzentin fungiert.
Für die Regie konnte der differenziert und akribisch arbeitende Filmemacher Andres Veiel gewonnen werden, der schon früh merkte, dass Riefenstahls Sammlung Lücken enthielt, um die von ihr eisern verteidigte Deutungshoheit ihrer Lebensgeschichte als unpolitische Künstlerin aufrecht zu erhalten. Es gab aber genug anderweitiges Material und Hinweise, mit denen man diese Leerstellen überbrücken konnte:
„Was diese Bilder verschweigen, erzählen wir an anderer Stelle“...
...verspricht Veiel. Dazu kam, dass sie etliche Unterlagen, die sie im Kern belasten, nicht als solche erkannt hat. - Die zeitaufwändige Auswertung des Nachlasses nahmen neben Veiel noch Christiane Caemmerer, Monika Preischl und Mona El-Bira vor. Die Editoren Stephan Krumbiegel, Olaf Voigtlander und Alfredo Castro haben...
...„permanent eigenständige Ideen und Konzepte eingebracht und den Film maßgeblich geprägt“.
*
Veiel verlässt sich in großen Teilen auf das ausgewertete Archivmaterial und dessen Aussagekraft. Nur selten kommt ein Kommentator (Ulrich Noethen) zum Einsatz, der aber keine Wertungen vornimmt. Das überlässt der Film dem Zuschauer. Als solcher mag man sich derweil etwas Interpretierendes wünschen, doch die Dokumentation ist da frei von Vorgaben, aber man bekommt genug Puzzleteile, um sich das Bild selbst zusammensetzen zu können. Riefenstahl ist allerdings keine Biografie. Man bekommt nur flüchtige Einblicke in diese, wie z.B. die in Riefenstahls Archiv nahezu ausgelassenen Demütigungen und Gewalttätigkeiten durch den Vater. Von einem ungeheuren Ehrgeiz und Lernwillen angetrieben, eroberte sich Riefenstahl schnell einen führenden Platz in der Propagandamaschinerie der Nationalsozialisten.
Sie hatte sich zunächst als Tänzerin und später als Darstellerin in den Bergfilmen von Arnold Fanck einen Namen gemacht, in denen sie beachtliche Stunts bei klirrender Kälte selber durchführte. Fanck entwickelte ungewöhnliche Kameraeinstellungen, um die Wucht, Gefährlichkeit, aber auch die Schönheit der Bergwelt zu illustrieren. Die zielstrebige Riefenstahl ließ sich alles beibringen und wendete das Erlernte in dem Film Das blaue Licht von 1932 an. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde sie zur bedeutendsten Filmemacherin des Dritten Reiches und zählt heute international zu den besten Regisseurinnen der gesamten Filmgeschichte.
Ihr Film Triumph des Willens vom Reichsparteitag in Nürnberg 1934 ist ein Paradebeispiel für einen Propagandastreifen. Ihre Regie und die Kameraeinstellungen, mit denen sie das Geschehen heroisierte und überhöhte, waren seinerzeit richtungsweisend und galten als innovativ. Von einer klassischen Dokumentation, die objektiv Bericht erstattet, war er weit entfernt. Klar, dass sie im Jahr 1936 mit den Filmaufnahmen zu den Olympischen Spielen in Berlin beauftragt wurde. 30 Kameramänner übertrafen sich darin, die spektakulärsten Aufnahmen zu machen und inszenierten untereinander einen Wettkampf der eigenen Art. Willy Zielke drehte den gesamten Prolog zum Film eigenverantwortlich. Als er nach einem Zusammenbruch in die Psychiatrie eingewiesen wurde, setzte sich Riefenstahl nicht für ihn ein, und erschien später als alleinige Regisseurin im Abspann. Das war nicht der einzige Vorfall, in dem Riefenstahl die Leistungen anderer für sich verbuchte. Auf ihrer internationalen Tournee, bei der sie den Film vorstellte, strich sie den Erfolg für sich alleine ein.
Nach dem Einmarsch der deutschen Armee in Polen im September 1939 wurde sie als Kriegsberichterstatterin dort eingesetzt. Als im Hintergrund einer Aufnahme jüdische Häftlinge zu sehen waren, bat sie, diese aus dem Bild zu entfernen. Sie wurden getötet, und Riefenstahl war so entsetzt, dass sie sich von ihrer Tätigkeit im Kriegsgebiet entbinden ließ. Aber: Sie arbeitete trotzdem weiter für das Regime. Veiel hat sehr entlarvende, partiell bislang unveröffentlichte, Interviewausschnitte ausgegraben, in denen sie immer wieder ihre Opferrolle und Unschuld vehement verteidigte und leugnete, von dem Völkermord an den Juden gewusst zu haben. Auch sprechen die Fotos mit den Mächtigen, ihre Telefonaufzeichnungen und Briefe eine entgegengesetzte Sprache. Hitler und Goebbels haben sie nicht etwa in ihre Büros einbestellt, sondern sie in ihrem Berliner Haus besucht. Als der ehemalige Architekt und Rüstungsminister Albert Speer aus der zwanzigjährigen Haft entlassen wurde, zu der er im Rahmen der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse verurteilt worden war, suchte sie den Kontakt zu ihm und ließ sich bezüglich ihrer Memoiren beraten. Veiel und sein Team haben größtenteils das Material so geschnitten, dass Riefenstahl sich selbst widerlegt.
Gegen Ende des Films kommt man als Zuschauer zu dem Schluss, dass ihr so sorgsam gepflegtes Narrativ der Unpolitischen und Unwissenden nicht aufrecht erhalten werden kann. Im Gegenteil: Sie hat für Filmaufnahmen Zigeunerkinder aus dem KZ kommen lassen, wusste also, dass auch Sinti und Roma verfolgt wurden. Ihre Behauptung, mit den Kleinen später noch Kontakt gehabt zu haben, war gelogen. Veiels Rechercheure haben die Sterbeeinträge der Kinder gefunden, deren Leben im KZ ausgelöscht wurde. Das Lügengebäude, das sie auch mit Hilfe ihres 40 Jahre jüngeren Partners und späteren Ehemannes Horst Kettner aufbaute, stürzt nun völlig ein. Am Ende wird auch ohne großen innerfilmischen Kommentar das Ausmaß ihres (Selbst-)Betrugs klar.
* *Andres Veiel kommt zwar nicht innerhalb der Dokumentation aber im Begleitmaterial zum Film zu folgendem Schluss:
„Die zeitlose Erkenntnis ist doch: Totalitäre Macht und selbst willkürlicher Terror haben nicht nur eine abschreckende, sondern durchaus auch eine anziehende Wirkung. In der Geste der Unterwerfung unter einen imperialen Potentaten gibt es eine versteckte Belohnung - als Einzelner Teil eines Imperiums zu sein, das zu einer historischen Größe zurückgeführt wird. Es ist die universelle Erzählung von Überlegenheit und Unbesiegbarkeit. In der Herzkammer dieser Bilder pulsiert das Ressentiment: die Verachtung des Anderen, des Schwachen, des vermeintlich Kranken.“
Sandra Maischberger war Riefenstahl im Rahmen ihres ausführlichen Interviews noch persönlich begegnet: Ihre abschließende Einschätzung ist schwerwiegend:
„Mein persönlicher Blick auf Leni Riefenstahl hat sich in diesen Jahren der intensiven Beschäftigung mit ihrem Nachlass noch einmal verändert. Das Bild einer über alle Maßen ehrgeizigen, vor allem opportunistisch motivierten Künstlerin, die ihr Talent in den Dienst einer jeden Macht gestellt hätte, die ihr nur ausreichend Mittel und Möglichkeiten geben würde, ließ sich so nicht aufrechterhalten. Vielmehr trat mir eine durch und durch von der nationalsozialistischen Idee überzeugte 'Aktivistin' entgegen, die bis zum letzten Atemzug nicht von ihren alten Idealen lassen konnte. Riefenstahl empfand, so lese ich sie heute, das Ende des Krieges auch als eine persönliche Niederlage. Es war nicht nur der jähe Abbruch ihres kometenhaften Erfolgs, den sie betrauerte. Vielmehr sah sie keinen Sinn mehr in der Ausübung einer Kunst, die nicht zugleich der Verherrlichung jener Ideologie diente, an die sie bis zu ihrem Lebensende glaubte.“
Epilog
Sandra Maischbergers Absicht die „Ursünde der Filmpropaganda offen zu legen“, ist eine komplexe Angelegenheit. Sie erfordert intensive Recherche und genaues Hinsehen, was dieser Film in hervorragender Weise leistet. Propaganda zeichnet sich u. a. durch ein Einheits-Narrativ aus, durch Feindbilder und die Diffamierung Andersdenkender. Bei Riefenstahl besteht das Problem, dass sie eine begnadete Künstlerin war, deren Bilder eine Wirkung erzielen, die die propagandistische Motivation in den Hintergrund treten lassen kann.
Es sind in den letzten Jahren mehrere Dokumentationen entstanden, die sich dem Thema gewidmet haben. In Von Caligari zu Hitler von 2015 beschreibt Rüdiger Suchsland die damals innovativen Filme von Fritz Lang, Friedrich Murnau, Georg Wilhelm Pabst und Ernst Lubitsch, die in ihren Arbeiten die psychologische (und damit potentiell manipulative) Wirkung von Filmen ausloteten und zu den führenden Regisseuren ihrer Zeit gehörten. In Hitlers Hollywood von 2017 gewährt Rüdiger Suchsland einen Überblick über die Propagandafilme der NS-Zeit und deren Beeinflussung der Massen, darunter auch die von Riefenstahl. Und in Jeder schreibt für sich allein von 2023 schaut Dominik Graf ein paar Autoren auf die Finger, die sich für Propagandazwecke haben einspannen lassen.
So lautet die weiterführende Frage, ob man um der Kunst willen seine Seele verkaufen darf. Für Riefenstahl wäre die Antwort wohl eindeutig. Für sie heiligte die Kunst alles. Sie sagte in einem Interview vor laufender Kamera, dass sie das Gleiche für Churchill oder Stalin getan hätte, wenn es so gekommen wäre. Jetzt wurde sie posthum, auch anhand ihrer eigenen Aufzeichnungen, entlarvt und damit entschwindet auch der lieb gewonnene Glaube, dass begnadete Künstler von sich aus gut sein müssten. Es ist den Machern dieses Mammutprojektes hoch anzurechnen, dass sie in diesem Film sehr genau hingeschaut haben.
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Kontaktbogen aus dem Bestand von Heinrich Hoffmann, jetzt National Archive: Adolf Hitler ist mit Joseph Goebbels (Reichsminister für Volksaufklärung) zu Besuch bei Leni Riefenstahl in ihrer Villa in Berlin-Dahlem (1937)
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Helga Fitzner - 31. Oktober 2024 ID 14995
Weitere Infos siehe auch: https://www.riefenstahl-film.de/
Post an Helga Fitzner
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