Rentnerband auf Reisen: As Time Goes By in Shanghai
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Die älteste bzw. am längsten existierende Jazzband der Welt stammt ausgerechnet aus der chinesischen Millionenmetropole Shanghai. Hier spielen Pianist Jingyu Zhang (73), Kontrabassist Mingkang Li (77), Saxophonist Jibin Sun (80), Altsaxophonist Honglin Gao (71), Trompeter Mengqiang Lu (53) und Schlagzeuger Zhengzhen Bao (93) als Peace Old Jazz Band im legendären Peace Hotel, eine der feinsten Adresse der Stadt. [Anmerkung: die Altersangaben beziehen sich auf die Zeit der Dreharbeiten 2012, Regisseur Uli Gaulke sagte mir aber bei der Berlin-Premiere vor einigen Tagen, dass alle Herren noch leben.] Der Sound der Band klingt etwas antiquiert und leicht schräg, denn die tapferen Sechs haben sich das Jazzen von den US-Bands abgeguckt, die nach der Befreiung Chinas von japanischer Besatzung nach dem Zweiten Weltkrieg in Shanghai auftraten und ihren Bigband-Stil seither kaum modernisiert.
Dass die Band in dieser Besetzung aber überhaupt noch existiert, grenzt an ein Wunder. Denn während der von Mao losgetretenen Kampagne für die kommunistische Kulturrevolution – die immerhin mehr als 10 Jahre dauerte und erst Mitte der 70er Jahre schrittweise liberalisiert wurde – war ausländische Musik verboten, d.h. die Musiker durften weder Klassik noch Jazz spielen und konnten ihrer Leidenschaft nur im Geheimen nachgehen. Saxophonist Sun wurde sogar in ein Arbeitslager deportiert, worüber er selbst vor der Kamera nicht sprechen mag. Aber mit viel Geduld hat Regisseur Uli Gaulke über diesen Umstand und über andere, persönliche Hintergründe der Bandmitglieder dann doch einiges erfahren. In Berlin wies Gaulke darauf hin, dass die Musiker ihm eigentlich nur eine Stunde lang ein Interview geben wollten, und meinten, das müsse doch für einen Film reichen. Gottlob hat Gaulke, der durch frühere, nicht minder unterhaltsame Dokumentarfilme wie Havanna, mi amor (2000), Comrades in Dreams – Leinwandfieber (2006) und Pink Taxi (2008) reiche Erfahrung im Umgang mit Menschen außereuropäischer Kulturen hat, nicht locker gelassen und die Peace Old Jazz Band mehrfach in Shanghai besucht und nach Rotterdam begleitet.
Seine "Helden" hatten nach einer Weile offensichtlich sogar Spaß am Posieren und Musizieren vor der Kamera, zumal sie das lebende Beispiel dafür sind, wie eine Passion, die man mit Herzblut verfolgt, jung halten kann. Sentimentalität und Nostalgie gönnen sich die Greise zumindest vor der Kamera nur in kleinen Dosen. Umso rührender, dass die Rentner trotz Zehntausender Liveauftritte in der für sie ungewohnt riesigen Konzerthalle in Rotterdam vor dem Auftritt so aufgeregt waren wie Schulbuben. Diese und andere, in der Tat leinwandreife Momente hat Gaulke mit seinen Cuttern in eine abwechslungsreiche dramaturgische Reihenfolge geordnet, die nicht nur das witzige Porträt alter Musiker, sondern auch eine aufschlussreiche und ungewöhnliche Reise in die Kulturgeschichte Chinas ist.
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Foto (C) Neue Visionen
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Bewertung:
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Max-Peter Heyne - 1. Dezember 2013 (2) ID 7413
Weitere Infos siehe auch:
Post an Max-Peter Heyne
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