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Dokumentarfilm

Auf Anstand

steht der

Tod



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Sie wollten das Unrecht und die Gräueltaten des nationalsozialistischen Regimes 1933 nicht dulden und das deutsche Volk aufrütteln, indem sie Aufklärungsarbeit leisteten. Denn sie erkannten, dass ein neuer Weltkrieg drohte. Sie brachten Flugblätter, Plakate und andere Schriften in Umlauf, in denen sie die Kriegstreiber bloßstellten. Ihre Zivilcourage war grenzenlos, denn auch als der befürchtete Krieg begann, setzten sie ihren Widerstand fort und riskierten ihr Leben, weil das als Hochverrat galt. Sie halfen Verfolgten, wie KZ-Flüchtlingen, Juden und Kriegsgefangenen, ins Ausland zu entkommen. Doch wer waren „sie“? Sie kamen aus allen Altersgruppen, hatten verschiedene Berufe, waren unterschiedlicher Herkunft, Bildung und politischer Gesinnung. Geeint waren sie nur ihrem Wunsch nach Frieden, Gerechtigkeit und Menschlichkeit, ansonsten gab es kaum Hinweise auf Zusammenhänge. Weil sie so heterogen waren, konnten sie auch lange unentdeckt im Untergrund arbeiten, denn sie waren für die Gestapo nicht wirklich greifbar. Aber irgendwie bekamen sie dann doch einen Namen, der willkürlich gewählt und nicht stimmig war: Die Rote Kapelle.

*

Der Filmemacher Christian Weisenborn arbeitet seit 35 Jahren im Dokumentarfilmbereich und ist der Sohn eines der prominentesten Mitglieder der Roten Kapelle, des Schriftstellers Günther Weisenborn. In seiner Dokumentation Die guten Feinde – Mein Vater, die Rote Kapelle und ich erzählt er von seinem Vater, der der Hinrichtung nur knapp entging und bis zu seinem Tode 1969 versuchte, die auch nach dem Krieg zu Unrecht kriminalisierte Widerstandsgruppe zu rehabilitieren. Die Gruppe wurde fälschlicherweise als kommunistisch motiviert angesehen, weswegen sie während des Kalten Krieges propagandistisch ausgeschlachtet wurde. In der DDR galten sie als Helden, in der BRD wurden sie als Feinde und Verräter bezeichnet. Manfred Roeder gehörte zu den Hauptakteuren der Verleumdung der Gruppe in Westdeutschland, ausgerechnet der Nazi-Richter, der für die vielen Todesurteile mitverantwortlich war. Roeder verhinderte massiv die Rehabilitierung, weil sonst seine eigenen, unmenschlichen Verbrechen in diesem Zusammenhang herausgekommen wären.

Als sich der junge Günther Weisenborn (1902–1969) vom Rheinland in die Hauptstadt Berlin aufmachte, hatte er noch Träume und einen ganz anderen Lebensentwurf. Es waren die Goldenen Zwanziger Jahre, er arbeitete als Schauspieler und Dramaturg an Berliner Theatern und machte sich später als Schriftsteller einen Namen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurden seine Bücher verboten. 1936 emigrierte er kurz in die USA, kehrte aber 1937 nach Deutschland zurück. Er lebte ein Doppelleben, da er einerseits im Kulturbetrieb der Nationalsozialisten arbeitete, andererseits mit Gleichgesinnten heimlich im Widerstand kämpfte. 1941 heiratete er Margarete Schnabel, genannt Joy, die er bei dem befreundeten Ehepaar Libertas und Harro Schulze-Boysen kennengelernt hatte.



Günther und Joy Weisenborn in glücklichen Tagen © Edition Salzgeber / Christian Weisenborn


Schulze-Boysen war Offizier der Luftwaffe und Regime-Gegner. Aufgrund der Lebensgefahr, in der sie schwebten, versuchten sie sehr sorgfältig einen regime-konformen äußeren Anschein zu wahren. Der private Hochzeitsfilm von Günther und Joy Weisenborn zeigt, dass es sich um junge, lebenslustige und bei diesem Anlass ausgelassene Menschen handelte. Sie waren keine Fanatiker, sondern hatten Verantwortungsbewusstsein und Anstand, sie folgten ihrem Gewissen und lehnten sich gegen die Unmenschlichkeit des Regimes auf.

Eines Tages wurden die Schulze-Boysens enttarnt und mit vielen anderen Mitgliedern der Roten Kapellen hingerichtet, darunter auch Frauen. In einem Brief aus der Haft schrieb Günther Weisenborn an seine Frau Joy: „Es ist Krieg. Die einen fallen in Stalingrad, die anderen in Plötzensee.“ Er schilderte die schlimmen Haftbedingungen und den Psychoterror, dem die Inhaftierten ausgesetzt waren. Die Angst vor der eigenen Hinrichtung schwebte über allem.

Es waren im Hinrichtungsraum in Berlin-Plötzensee Stahlträger angebracht worden, an denen Eisenhaken hingen. Die Mitglieder der Roten Kapelle waren die ersten, die auf diese grausame und schmerzhafte Art ermordet wurden. Es ging um Rache, Willkür und Unmenschlichkeit, mit Bestrafung und Gerechtigkeit hatten diese Urteile nichts zu tun. Günther Weisenborn litt nach dem Krieg unter der ungerechtfertigten Schmach, der die Rote Kapelle ausgesetzt war, und starb 1969. Erst über ein halbes Jahrhundert nach dem Krieg hob der Deutsche Bundestag im Jahr 2009 die Todesurteile wegen „Kriegsverrats“ auf. Es ist auch für die Hinterbliebenen der Mitglieder schwer gewesen, unter dem Stigma zu leben, dass ihre Eltern Verräter und Verbrecher gewesen sein sollen.

Christian Weisenborn hat viel Dokumentarmaterial, kenntnisreiche Interviewpartner und interessante Einzelheiten zusammengebracht, so dass dem Zuschauer diese couragierten und aufrechten Menschen näher gebracht werden, die sich dem Krieg und der Unterdrückung mit einer menschlichen und verantwortungsvollen Haltung entgegengestellt haben.
Helga Fitzner - 23. Juli 2017
ID 10157
Weitere Infos siehe auch: http://diegutenfeinde.de/


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