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Oft werden die Filme, die während des Dritten Reiches entstanden sind, als „bloße Propaganda“ abgetan und in ihrer Bedeutung geschmälert, obwohl bislang nur Studien zu Einzelfällen erschienen sind. Der Filmemacher und Autor Rüdiger Suchsland (Von Caligari zu Hitler, 2015) hat sie sich mal genauer angesehen und präsentiert die wichtigsten in seiner aktuellen Dokumentation Hitlers Hollywood - Das deutsche Kino im Zeitalter der Propaganda 1933-1945. Joseph Goebbels war "Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda" und hielt als Präsident der Reichskulturkammer alle Fäden in der Hand. Ohne Propaganda hätte sich das Dritte Reich nicht so entwickeln können, wie es dann geschehen ist, und der Film als Massenmedium – das Fernsehen war noch im Entwicklungsstadium – war sein bedeutendstes Instrument. Goebbels herrschte über die Kultur, kontrollierte alles, ob es Drehbücher, Besetzungslisten oder Sonstiges war. Suchsland weist in starken Worten auf seine Bedeutung hin: „Das Dritte Reich ist Goebbels' Gesamtkunstwerk.“

Das Dritte Reich wollte groß sein, und seine Filmindustrie stand in beabsichtigter Konkurrenz zum dominierenden Hollywood. Da 2.000 Filmschaffende mit Berufsverbot belegt worden waren und sich etliche Prominente, darunter Marlene Dietrich und Fritz Lang, nach Hollywood abgesetzt hatten, war das eine große Aufgabe. Joseph Goebbels orientierte sich deshalb auch gern an Hollywood, lernte daraus und ließ das für das deutsche Publikum umsetzen. So gab es kaum Autorenkino, die deutsche Filmindustrie war dem Starkino und auch der Monumentalität Hollywoods nachempfunden. Das NS-Regime ließ sich das Kino auch durchaus etwas kosten. Die Filmschaffenden waren im Vergleich zu anderen hoch bezahlt, wurden aber für die Propaganda instrumentalisiert.

„Jeder Film kann Propaganda sein. Unmerkbare und doch wirksame Propaganda. In dem Augenblick, da eine Propaganda bewusst wird, ist sie unwirksam.“ wird Goebbels im Film zitiert.



Der deutsche Film des Dritten Reiches wollte ein Gegengewicht zu Hollywood sein. Marianne Hoppe in Auf Wiedersehn, Franziska, Regie, Helmut Käutner, 1941 | © farbfilm verleih


Suchsland stellt signifikante Filmausschnitte vor und hat auch sehr aussagekräftiges Wochenschaumaterial aus der Zeit ausgesucht, teilweise sogar in Farbe. Es gibt ein Wiedersehen mit vielen SchauspielerInnen. Einige von ihnen waren Ausländer, um dem Kino einen internationalen Flair zu geben. Es gibt einen Zusammenschnitt von Tanz- und Gesangsszenen mit der Ungarin Marika Rökk, dem Niederländer Johannes Heesters, und auch das Traumpaar Lilian Harvey (Engländerin) und Willy Fritsch sangen und spielten sich durch die NS-Zeit. Es werden längere Ausschnitte aus dem Melodram La Habanera von 1937 gezeigt, in dem es Zarah Leander (Schwedin) gelingt, sich von ihrem allgewaltigen Mann zu befreien, es dann aber bereut. Regisseur Detlef Sierck, der spätere Douglas Sirk, inszenierte hier eindrücklich die Führersehnsucht. Dazu gehörten auch die Komödien mit Heinz Rühmann, der oft den kleinen Mann spielte, der anpassungsfähig und fast kindlich war. Neben der Sehnsucht nach Führerschaft gab er den Werten der Nationalsozialisten die harmlose Verpackung der Komödie.

Suchsland stellt auch zwei Ausnahmeschauspieler vor: Gustaf Gründgens und Marianne Hoppe, für die die NS-Zeit eine schmerzliche Erfahrung war. Der Frauenliebling Ferdinand Marian war öfters als assimilierter Jude zu sehen, der mit seinem Geld bestechen wollte und sich an deutsche Frauen heranmachte, das konnte dann auch mal die Schwedin Kristina Söderbaum sein. Söderbaum musste in den Filmen ihres Mannes Veit Harlan, einem der propagandistischsten NS-Regisseure (u.a. Jud Süß), sooft ins Wasser gehen, dass sie scherzhaft "Reichswasserleiche" genannt wurde. Das Kino war ein Ort der Weltflucht, aber auch der Indoktrination, und Suchsland meint, dass wir heute gar nicht so weit davon entfernt sind: „Denn der Blick in die Vergangenheit erlaubt uns, von der Gegenwart zu sprechen. Nicht nur Propaganda und Manipulation, Demagogie und Fanatismus sind aktuell, auch die Sehnsüchte, die unerfüllten Träume und die Weltfluchtreflexe, die sich in diesen Filmen zeigen.“

Dabei hatte das NS-Regime das Leben nie zu feiern gewusst, dafür aber eine mythische Todessehnsucht bis hin zum Todeskult. Besonders in den Kriegsjahren wurden Durchhaltevermögen, Opferbereitschaft, Kameradschaft, Pflichterfüllung, Soldatenkollektiv und die Auflösung der Individualität in Szene gesetzt: „Das Kino weckte Sehnsüchte, ließ träumen, bot Zuflucht. Es sollte nach den Wünschen der Machthaber erziehen und unterhalten. Es war industriell vorgefertigt zur Manipulation der Menschen, zur Gleichschaltung der Massen, um Hass zu wecken, und Einverständnis, Opferbereitschaft und Duckmäusertum“, fand Suchsland heraus; das wuchs sich bis zu regelrechten „Hingabefilmen“ aus. Er zitiert den wohl bedeutendsten Filmtheoretiker der Zeit, Siegfried Kracauer: „Hinter dem Tumult der Propaganda taucht ein Totenkopf auf.“ Suchsland folgt Kracauers Theorie, dass Filme einen untergründigen Gehalt haben, den man freilegen kann. Dabei kann es offene Lügen, aber auch versteckte Wahrheiten geben. In Robert Adolf Stemmles Sportfilm Das große Spiel von 1942 geht es um ein Endspiel der deutschen Fußballmeisterschaft, und der Sieg muss trotz auftretender Schwierigkeiten unbedingt errungen werden. In der Realität fand das „große Spiel“ verstärkt auf den Schlachtfeldern statt, denn im Juni 1941 hatte Hitler den Feldzug gegen die Sowjetunion und damit einen Zweifrontenkrieg begonnen.



Das große Spiel ist nur vordergründig ein Sportfilm | © farbfilm verleih


Die künstlerisch bemerkenswerten Filme der Leni Riefenstahl sind von besonderer Bedeutung: „Auf die Politisierung der Ästhetik folgte die Ästhetisierung der Politik“, erklärt Suchsland. Sie verstand es wie kein anderer, die großen Aufmärsche zu filmen - in so faszinierenden Einstellungen, dass man ihren Hintergrund, die Gleichschaltung und Auflösung des Individuellen in der Geometrie der Massen, vordergründig gar nicht so bemerkt. So wurde Propaganda zum Erreichen eines Massenwahns gesteigert. Eine heile Kinowelt mit intakter Heimat, Traditionen und einer verkrampften Fröhlichkeit – oft in Form von Revue- und Musikfilmen – war als Gegensatz zum Kriegsalltag sehr beliebt. Von den rund 1.000 Filmen der NS-Zeit waren 500 Komödien und Musikfilme, fand Suchsland heraus. Die Melodramen waren ein weiterer Eckpfeiler. Hier wurde Todessehnsucht inszeniert, der Tod war immer ein glücklicher und wurde mitunter ins Absurde verkitscht.



Als Wolfgang Liebeneiner 1943 Großstadtmelodie drehte, verewigte er die Stadt, bevor sie zerstört wurde | © farbfilm verleih


Suchsland sieht Parallelen zur heutigen Zeit: „Neueste gefährliche Entwicklungen in Deutschland, die mich empörende zunehmende Zustimmung zu faschistischen Ideen und rechtsextremen Parteien, legen eine weitere Frage nahe: Könnte uns die Beschäftigung mit Propaganda deren Mechanismen in der Gegenwart bewusster machen? Viele der NS-Filme sind 'Wölfe im Schafspelz': Unter dem Kleid unpolitischer Unterhaltung maskiert sich Unmenschlichkeit und Gewalt.“ Er zeigt Ausschnitte aus Wolfgang Liebeneiners Film Ich klage an von 1941, in dem die Tötung einer Behinderten gerechtfertigt wird. In der Realität lief die Aktion T4, die systematische Tötung Behinderter im Rahmen der so genannten Euthanasiegesetzgebung. - In seinem Film Großstadtmelodie von 1943 ist Liebeneiner wesentlich emanzipatorischer und verteidigt die Selbstbestimmung. Der Film enthält noch Aufnahmen der Stadt Berlin vor der massiven Zerstörung.

Ein letztes großes Aufbäumen ist der Monumentalfilm Kolberg unter der Regie von Veit Harlan. Es geht um die Belagerung Kolbergs durch die Truppen Napoleons 1806. Harlan ließ eine halbe Armee junger Männer als Soldaten aufmarschieren. Der Film war in Farbe gedreht und bot wohl alles auf, was das Dritte Reich noch an Ressourcen hatte. Der legendäre Heinrich George spielt darin mit, was ihm später angelastet wurde. Kolberg ist ein Durchhaltefilm und hatte im Januar 1945 Premiere, aber mehr noch: Der Untergang wird nicht mehr geleugnet, sondern heroisiert und der Einsatz des Volkssturms und die Kriegstaktik der verbrannten Erde propagiert, so Suchslands Interpretation.

Helmut Käutners Film Große Freiheit Nr. 7 mit Ilse Werner von 1944 hatte sich schon so sehr von Goebbels' Gängelband befreit, dass er erst nach dem Krieg gezeigt wurde. Der Film entwarf ein Gegenbild zur dick aufgetragenen Fröhlichkeit, in dem er das Elend und die Traurigkeit dahinter thematisiert und wenn Hans Albers singt „La Paloma ade, einmal wird es vorbei sein“, wird Goebbels das nicht gefallen haben. - Auch der umstrittene Gustaf Gründgens hatte in seinen Filmen wenigstens partiell versucht, die propagandistischen Einflüsse zu unterlaufen.

Goebbels sagte, dass Propaganda unwirksam wird, wenn man sich ihrer bewusst wird. Sind wir heute bewusster? Suchsland zitiert die Philosophin Hanna Ahrendt: „Die Massen glauben an nichts Sichtbares, nicht an die Realität ihrer eigenen Erfahrung, sie trauen nicht ihren Augen und Ohren, sondern allein ihren Phantasien... Was die Massen überzeugt, sind keine Fakten, noch nicht einmal erfundene Fakten, sondern die Konsistenz der Illusion.“

*

Suchslands Film regt zum Nachdenken über unsere Zeit an, dem „postfaktischen“ Zeitalter, in dem auch viele von uns die Wirklichkeit ignorieren und nur ihren Gefühlen folgen, darunter Wutbürger und Protestwähler mit teils sehr berechtigten Beanstandungen, die sich aber die Konsequenzen ihres Handelns mitunter nicht bewusst machen. In einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs kommt es zu Auflösungserscheinungen, die teilweise aber in popularisierte Selbstauflösung als Tugend ausartet. Da ist es gut, wenn ein Film wie Hitlers Hollywood ein Bewusstsein für Propagandastrategien schafft.


Helga Fitzner - 22. Februar 2017
ID 9865
Weitere Infos siehe auch: http://hitlershollywood.de/


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