Der Laut-Sprecher: Aktivist Charlie Veitch und The Love Police
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Hand aufs Herz: Kennen Sie Charlie Veitch, den mittlerweile etwas ruhiger gewordenen Politaktivisten, der bevorzugt in englischsprachigen Ländern jahrelang mit einem Megaphon auf Straßen und Plätzen von seinem Recht auf Meinungsfreiheit und Protest Gebrauch gemacht hat? Obgleich ich kein Gegner von YouTube oder anderen Internetplattformen bin, habe ich von Veitch erst durch Harold Baers Film erfahren, und das ist auch schon das Positivste, was ich über die merkwürdig hybride Dokumentation sagen kann. Hybrid deswegen, weil sie hauptsächlich aus Clipmaterial besteht, was Veitch und seine Gruppe, die sich The Love Police nennt, bei ihren Protesten per Digicam gedreht und schon vor Jahr und Tag auf ihren YouTube-Kanal gestellt haben.
Das ist doppelt schade, denn Charlie Veitch, der einstige Bankmanager, der zum antikapitalistischen Anarchisten wurde (warum genau bleibt offen) und überwiegend auf absurd-komische Protestaktionen setzt, ist gewiss eine dankbare Figur für einen Dokumentarfilm. Einerseits, weil die Zeiten geradezu danach schreien, dass Menschen stärker für die Gefahren eines Bankensektors und eines Sicherheitsapparates sensibilisiert werden, die außerhalb jeder rechtsstaatlichen Kontrolle zu geraten drohen (mit dem Megaphon als legitimen und in Großbritannien in der Öffentlichkeit ausdrücklich nicht verbotenen Kommunikationsmittel, wie es im Film heißt). Andererseits, weil Veitchs Ansatz, quasi affirmativ zu protestieren, an Hinterlist kaum zu überbieten ist: Ständig umarmt er die herannahenden Polizisten oder verwickelte sie in konstruktive Diskussionen über Bürgerrechte. Wenn Veitch Parolen schreit, dann solche, die die Passanten zum positiven Denken, zur Ruhe, Kritiklosigkeit und Regierungsunterstützung auffordern.
Mit dieser Methode bietet der Selfmade-Medienstar Veitch seinen Gegnern kaum konkrete Angriffsflächen, und wenn diese doch – wie beim G20-Gipfel in Kanada – zu drastischen Mitteln wie einer tagelangen Untersuchungshaft greifen, geht er dennoch als Sieger vom Feld, weil die Unverhältnismäßigkeit und mangelnde Rechtsgrundlage umso klarer hervor tritt. Traurig mit anzusehen ist, wie ausgerechnet Großbritannien, das europäische Land, das sich seiner Gesetze in Sachen Meinungsfreiheit bisher zu Recht gerühmt hat, durch die ins Maßlose getriebene Terrorbekämpfung Anzeichen eines Überwachungsstaates angenommen hat. Der Autor dieser Zeilen war vor einigen Jahren doch sehr überrascht, dass ihm irgendwelche herbeigeeilte Angestellte das touristische Fotografieren von Hochhäusern auf öffentlichen Straßen Londons verbieten wollten. Solche und andere Exzesse bekämpft Charlie Veitch zu Recht, wobei seine Aktionen teils ins Schwarze treffen, teils aber auch ins Leere laufen.
Anders als dem gesprächigem Ex-Banker in Marc Bauders Dokfilm Master of the Universe – stilistisch das Komplimentär zu The Love Police – kommt der Zuschauer der Privatperson Charlie Veitch jedoch kaum näher. Regisseur Harold Baer verlässt sich zu sehr auf die Clips und ergänzt zu wenig zu Veitch selbst und die Welle, die seine Anarchoaktionen ausgelöst haben. Zudem wirken die vielen, teils hektisch aneinandergereihten Originalmitschnitte in dieser Fülle zu unsortiert, sodass sich der Unterhaltungs- und Provokationscharakter der einzelnen Aktionen rasch verbraucht.
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The Love Police - Foto (C) Real Fiction
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Bewertung:
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Max-Peter Heyne - 1. Dezember 2013 (3) ID 7414
Post an Max-Peter Heyne
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