Kannibalen-Filme? Bilanz des Kinojahres 2012 - und eine Hitliste
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Eine Klasse für sich: Holy Motors (F 2012)
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1.
Das Jahr 2012 war – positiv formuliert – ein besonders abwechslungsreiches, aber eben auch viel zu voll gestopftes Filmjahr, in dem sich kleinere, oft sehr sympathische Produktionen egal welchen Genres - wie z. B. Chinese zum Mitnehmen | Alpen | Who Killed Marilyn? | Moonrise Kingdom | Nachtlärm | Parada | Chico & Rita | Der Fluss war einst ein Mensch oder Parked – Gestrandet und sogar Madonnas „W. E.“ - trotz Originalität und hohem Unterhaltungswert kaum durchsetzen konnten. Meist herrschte der Eindruck eines Kannibalisierens anstelle eines Sich-Befruchtens vor. Jedenfalls konnte die Aufmerksamkeit und Neugier des Publikums nicht im selben Maße gesteigert werden wie die Zahl der neu gestarteten Filme. Nur einige wenige, darunter immerhin auch deutschsprachige Filme, wurden Überraschungserfolge, so etwa The Artist | Barbara | Die Wand und Oh Boy (die es angesichts ihres besonderen Zugriffs auf ein Thema auch verdient hatten).
2.
Einziger Vorteil bei einem solchen Überangebot: Durchschnitt oder erst recht unterdurchschnittliche Kost hat es zu Recht schwer. Aber: Die Marketing- und Multiplex-Verleihmacht der amerikanischen Majors war in 2012 im Vergleich zu den letzten Jahren wieder gewachsen, wie Erfolge von substanzloser Grabbelware wie American Pie: Das Klassentreffen oder Das Schwergewicht belegen. Bei The Dark Knight Rises | Marvel’s The Avengers und The Amazing Spiderman sowie den zahlreichen pfiffigen Animationsfilmen vom Schlage Hotel Transsilvanien oder Ralph reicht‘s war die geballte Power immerhin gerechtfertigt.
3.
Vor allem Feel-Good-Movies mit Anspruch, in denen trotz gesellschaftspolitischer Themen vor allem eine optimistische Stimmung verbreitet wird, setzten sich im großen Gewühle durch; allen voran Ziemlich beste Freunde, der am Ende des Jahres mit beinahe neun Millionen Besuchern noch immer vor James Bond und den Twilight-Vampiren rangiert und als Nicht-Franchise-Film in der Filmgeschichte eine einsame Sonderrolle einnimmt. Er verdrängte nicht nur andere charmante Filme zum Thema Behinderung (Die Kunst sich die Schuhe zu binden), sondern erstaunlicherweise zum Teil auch die sonst so populären französischen Liebeskomödien mit femininer Starbesetzung (Natalie küsst | Und nebenbei das große Glück). Das erfolgreiche deutsche TV-Spin-off Türkisch für Anfänger oder der pfiffige Das Schwein von Gaza fallen auch in die Humor-statt-Krise-Kategorie. Allerdings war Witz allein nicht immer von Erfolg gekrönt, wie die vielen weit unter den Erwartungen rangierenden deutschen Komödien (Wer’s glaubt wird selig | Vatertage – Opa über Nacht | Dating Lancelot | Agent Ranjid rettet die Welt) beweisen. Problematische Psycho-, Polit- oder düstere Depri-Dramen wie z. B. Der deutsche Freund | Vielleicht in einem anderen Leben | Pieta oder Gnade wurden hingegen von den Zuschauern gnadenlos ignoriert.
4.
Sie waren an der Kasse zwar nur die Zwerge, aber qualitativ wie quantitativ hatten die Dokumentarfilme die Nase eindeutig vorn. Wohl noch nie waren so viele so interessante, aufschlussreiche und auch unterhaltsame Dokfilme in den deutschen Kinos zu sehen, darunter überwiegend deutschsprachige. Es ist nicht übertreiben zu sagen: Die besten Filme aus Deutschland, Österreich und der Schweiz waren in 2012 Dokumentarfilme. Viele sind in der Masse schlicht untergegangen, aber es bleibt zu hoffen, dass sie in den Qualitätssendern wie ARTE oder 3sat sowie über Video-on-Demand ein größeres Publikum finden werden. Den größten Anteil stellten mit viel Herzblut und Geduld produzierte Filme, die Schlaglichter auf die Schattenseiten der Globalisierung, der Kapitalisierung und der ungebremsten Umweltzerstörung in vielen Teilen der Welt richteten: allen voran der erfolgreichste seiner Art, More Than Honey über Exzesse der globalisierten Honigproduktion, Bulb Fiction über die Verarschung mit den Stromsparfunzeln, Süßes Gift über die Effektlosigkeit traditioneller Entwicklungshilfe, und jetzt noch Fatih Akins bitteres Beispiel über das mangelnde Umweltbewusstsein in der Türkei, Müll im Garten Eden. Ganz zum Jahresende dann noch zwei der schönsten Filme des Jahres – auch sie Dokumentarfilme: Winternomaden über den aussterbenden Beruf des Winterschäfers in der Schweiz (Europäischer Filmpreis als beste Doku) und Searching for Sugar Man über das unverhoffte, märchenhafte Comeback eines zu Unrecht vergessenen US-Folksängers über den Umweg Südafrika. Schlichtweg großartig! Nicht zu vergessen die essayistischen Doks wie Revision oder This ain’t California, die formell – bei allen Bedenken im Detail – Maßstäbe setzten.
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Lauter Höhepunkte – fünfzehn Favoriten aus hunderten Kinostarts (eine Hitliste)
Eine Klasse für sich: Holy Motors (F)
Drama: King of Devil’s Island (NOR) | Die Wand (D/Ö) | Liebe (F)
Komödie/Tragikomödie: Ziemlich beste Freunde (F) | The Artist (F) | Hugo Cabret (USA) | Und wenn wir alle zusammenziehen? (F) | Dein Weg (USA) | Die Vermessung der Welt (D) | Dicke Mädchen (D) | In ihrem Haus (F)
Dokumentarfilme: Revision | This Ain’t California | Erich Mendelsohn – Visionen für die Ewigkeit (alle D)
Und wer gerne im Winter auf dem Sofa sitzt und amüsiert werden will, dann hier noch ein paar Tipps aus der Kategorie “Verpasst? DVD besorgen!“: Chinese zum Mitnehmen (ARG/SP) | Helden des Polarkreises (FIN/ISL/SWE) | Versicherungsvertreter, Realsatire (D) | Jeff, der noch zu Hause lebt (USA) | Haywire (USA) | Chico & Rita, Animation (SPA/UK) | Dichter und Kämpfer, Dokfilm (D) | Parada (SERB/BOSN) | Looper (USA) | Ruby Sparks (USA)
Super-Geheimtipps, die eine Entdeckung lohnen: William S. Burroughs – A Man Within, Dokfilm (USA) | 90 Minuten – Das Berlin-Projekt, 90 Minuten ohne erkennbaren Schnitt (D) | Cinema Jenin, für alle, die wissen wollen, was der Nahost-Konflikt ist
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Max-Peter Heyne - 21. Dezember 2012 ID 00000006455
Weitere Infos siehe auch:
Post an Max-Peter Heyne
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