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Feuilleton

Das 1. Internationale Filmfest Potsdam am Thalia Kino in Potsdam-Babelsberg setzte neben einem kleinen Spielfilmwettbewerb v.a. der gut gemachten Fernsehserie einen Schwerpunkt



In Potsdam-Babelsberg ist das Film- und Mediengeschäft seit Jahren erfolgreich etabliert und genießt international einen guten Ruf. Und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass es am Medienstandort der Brandenburgischen Landeshauptstadt seit diesem Jahr auch ein Internationales Filmfest gibt. Gegründet hat es Benjamin Glückskind mit seiner ebenfalls in Potsdam angesiedelten Glückskind Film UG. Geübt hat der Medienunternehmer, CDU-Lokalpolitiker und ehemalige Theologiestudent bereits von 2011 bis 2013 mit dem Incredible-Filmfestival, einem kleinen Open-Air-Kino-Festival mit ökologischem Anspruch, das Glückskind zuerst im brandenburgischen Lindenberg (Kreis Oder-Spree) gründete und das 2013 ans Kino Thalia nach Potsdam umzog. Nun also versucht eben hier Benjamin Glückskind - Nomen est omen - erneut sein Glück mit dem Internationalen Filmfest Potsdam.

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Das Besondere an diesem neuen Filmfest ist, dass es seinen Schwerpunkt nicht allein nur im originären Kinofilm sieht, sondern in einer eigenen Sektion auch fürs Fernsehen produzierte Serien vorstellt. Damit will man sicher - seit US-Serien wie Games of Thrones oder Breaking Bad in Europa durchstarten - auch einer gestiegenen Nachfrage in Deutschland gerecht werden. Dazu kommt die Tatsache, dass hierzulande im Fernsehen die Budgets für Serienproduktionen immer noch wesentlich höher sind als im staatlich geförderten oder unabhängig finanzierten Filmgeschäft. Action-Serien mit künstlerischem Anspruch nachhaltig im Fernsehen zu etablieren, haben sich einige Sender wie z.B. der in Potsdam als Sponsor auftretende Bezahlsender Sky auf die Fahnen geschrieben. Und die Krise im Kino setzt zumindest einiges an Personal frei, das wie in den USA nun auch auf dem deutschen Markt verstärkt ins Fernsehen drängt.

Mit Staffel-Piloten von The Knick (mit Steven Soderbergh als Regisseur, der sich erst kürzlich vom Kinofilm verabschiedet hat), einer um 1900 in New York spielenden Krankenhausserie, den in diesem Jahr in Deutschland bereits angelaufenen Masters of Sex (Regie: Michael Apted) oder der auf schwarzen Humor angelegten norwegischen Serie Lilyhammer über einen New Yorker Mafia-Boss, den es in den beschaulichen nordischen Olympiaort verschlagen hat, war das Filmfest dann international auch recht prominent besetzt. Neben den Blockbustern der Serie wurden aber auch deutsche Produktionen gezeigt, von denen v.a. das bereits 2012 entstandene halbstündige Serien-Testimonial Wir sind wieder wer vom jungen Leipziger Regisseur Tomas Stuber überzeugte. Der Plot ist durchaus spannend angelegt und darstellerisch gut besetzt mit Heiner Lauterbach als zwielichtigem Arzt und Christoph Bach als jungem Priester, der auf heftigen Widerstand stößt, als er in der amerikanischen Besatzungszone der 1950er Jahre den Mord am alten Gemeindepfarrer aufklären will und damit tief in die verdrängte Vergangenheit der Dorfbewohner eintaucht. Die Filmakademie Baden-Württemberg stand hier für noch weitere vielversprechende Serienideen Pate.

Ob solche Serien eine Zukunft im deutschen Fernsehen haben, sich auf Dauer beim Heimpublikum durchsetzen und somit für die Sender auch rechnen, wird man sehen. Gegen einen Qualitätssprung in der deutschen Fernsehlandschaft dürfte sicher niemand etwas einzuwenden haben. In einem Panel auf dem Potsdamer Filmfest waren sich dann die Branchenvertreter auch relativ sicher. An entsprechenden Ideen und Autoren scheint es jedenfalls nicht zu mangeln. Das Problem ist und bleibt das nötige Geld und Vertrauen in die vorhandenen Konzepte.

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Ein Filmfest kommt aber nicht ganz ohne gute Spielfilme aus, und so standen neben einer Volker-Schlöndorff- und DDR-Retro dann immerhin auch 7 neue Filme im Wettbewerb um den von einer Jury vergebenen Goldenen Adler. Eröffnet wurde das Potsdamer Filmfest mit der einzigen Uraufführung im Programm, der SWR-Produktion Glückskind von Regisseur Michael Verhoeven. Man kann dies als weiteres Omen des Festivalmachers sehen. Letztendlich ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Steven Uhly über einen sozial abgestürzten Arbeitslosen (Herbert Knaup), der im Müll ein Baby findet und es selbst großziehen will, nicht einfach nur die übliche Primetime-Fernsehunterhaltung. Ein Plädoyer für gesellschaftliche Verantwortung und Empathie, von dem man sich im Rahmen des FilmMittwochs der ARD bald überzeugen kann.



Glückskind beim 1. Internationalen Filmfest Potsdam | Bildquelle: filmfestpotsdam.de


Ähnlich emphatisch angesiedelt ist der Spielfilm Jack von Regisseur Edward Berger, der bereits im Februar im Wettbewerb der BERLINALE lief. Auch hier versuchen die Filmemacher das Label Sozialdrama so weit wie möglich zu umschiffen. Berger und seine Mitautorin Nele Mueller-Stöfen stellen nicht vordergründig das Milieu in den Mittelpunkt ihres Films, in dem des 10jährigen Jack und seines fünf Jahre jüngeren Bruder Manuel leben, sondern die Jungen selbst. Jack, vom unglaublich überzeugend agierenden Ivo Pietzcker gespielt, ist ein Kind, das vor der Zeit erwachsen werden muss, da die junge Mutter Sanne (Luise Heyer), mit der Erziehung der Brüder überfordert, ihre Verantwortung komplett auf ihn überträgt. Jack steht früh auf, kümmert sich um den Bruder, wäscht die Wäsche und zeigt Widerstand nur in eifersüchtigen Trotzhandlungen gegenüber den wechselnden Lovern der Mutter.

Als Jack nach einem Badeunfall des Bruders in ein Heim muss und da von einem älteren Jungen gemobbt wird, reißt er aus, holt den bei einer Freundin der Mutter abgestellten Manuel ab und begibt sich auf die Suche nach der verschwunden Sanne durch Berlin. Die Kamera bewegt sich hier meist auf der Höhe der beiden Jungen, die durch anonyme Szeneclubs ziehen, Essen klauen oder in einer Parkgarage schlafen. Immer wieder stehen sie ohne Erfolg vor der heimischen Tür, an der Jack kleine vergebliche Botschaften an die Mutter hinterlässt. Ein schmerzlicher Abnablungsprozess des Jungen von seiner Liebe zu Sanne und einer für ihn viel zu großen Verantwortung. Der Film hat nicht vor, die unreife Mutter zu verdammen, er zielt eher auf das fehlende bewusste Hinschauen der Anderen, an denen die Brüder unbemerkt vorbeilaufen oder von denen sie immer wieder weitergeschickt werden.

Jack, bereits in den Kinos angelaufen, wäre ein durchaus würdiger Preiskandidat.

Lange unbeachtet blieb auch das Drama der im Ersten Weltkrieg vom Osmanischen Reich verfolgten und ermordeten Armenier. Nun hat sich ausgerechnet der in Hamburg aufgewachsene türkischstämmige Regisseur Fatih Akin dieses in der heutigen Türkei immer noch totgeschwiegen Themas angenommen. Sein Spielfilm The Cut lief bereits im Wettbewerb des Filmfestivals Venedig. So wie Akin in der Türkei wegen Verrats angefeindet wurde, ist auch die Kritik bisher nicht gerade zimperlich mit dem Regisseur umgegangen. Man warf ihm vor, sich mit dieser Mammutproduktion übernommen zu haben, gänzlich unpolitisch zu sein und Hollywoodkino für die große Leinwand zu machen. Und das sicher nicht nur, weil er sich den aus Armenien stammenden Drehbuchautor Mardik Martin, einen ehemaligen Mitstreiter Martin Scorseses, mit an Bord geholt hatte.

Fatih Akin hat viel Herzblut in den Film investiert, was man ihm auch ansieht. Letztendlich sind dem Regisseur dabei wohl auch ein wenig die Distanz zum schwierigen Thema und das Vertrauen in die eigene Kunst des Erzählens abhandengekommen. Als Schlusspunkt seiner mit Gegen die Wand begonnen Trilogie "Liebe, Tod und Teufel" erzählt The Cut in hoch emotionalen Bildern vom Martyrium des christlich-armenischen Schmieds Nazaret Manoogian (Tahar Rahim) aus der mesopotamischen Stadt Mardin, der 1915 fast seine gesamte Familie verliert, von den Türken zur Zwangsarbeit verschleppt, aber auf wundersame Weise überlebt und nun stumm auf einer Odyssee durch die Wüste bis ins syrische Aleppo kommt. Dort wird Nazaret, der nicht umsonst den Namen der Geburtsstadt des Erlösers trägt, von einem hilfsbereiten arabischen Seifenmacher aufgenommen und setzt nach dem Krieg die Reise auf der Suche nach seinen Töchtern über Kuba, Florida und Minneapolis bis in den amerikanischen Westen nach North Dakota fort. [Eine ausführliche Kritik folgt zum Kinostart in der nächsten Woche.]

In sehr direkten, authentischen Handkamerabildern berichtet der US-amerikanische Regisseur Noaz Deshe im europäisch produzierten Spielfilm White Shadow vom Schicksal des Albino-Jungen Alias (Hamisi Bazili) aus Tansania. Der Film behandelt das Problem der Jagd auf durch Pigmentstörungen weißhäutige Menschen in Ostafrika. Sogenannte Witchdoctors verkaufen für Tausende von Dollars die Organe der getöteten Albinos an die abergläubische Bevölkerung. Nach dem Mord an seinem Vater (ebenfalls Albino) wird der Junge von der Mutter zu einem Onkel nach Dar Es Salaam gebracht, wo er als Straßenverkäufer und Elektroschrottsammler arbeiten muss.

Alias tritt dabei sehr selbstbewusst auf und weiß sich zu behaupten. Immer wieder geht er auch in sein abgelegenes kleines Dorf zurück, in der mehrere Albinokinder leben, und spielt dort liebevoll mit seiner jüngeren Schwester Salum. Da der Onkel Schulden hat, verrät er schließlich aus Angst vor dem örtlichen Gangsterboss den Ort des Verstecks. Eine weitere Hatz auf die Albinokinder beginnt. Der Film beginnt und endet mit einem Feuer. Erst ist das rituelle des Witchdoctors und später das rächende des durch den örtlichen Priester aufgebrachten Mobs. Eine Spirale aus Gewalt und Selbstjustiz, der die Polizei nicht gewachsen ist. [Anm.d.Red.: White Shadow bekam zum Festivalschluss den Goldenen Adler verliehen.]



Jamie Marks Is Dead beim 1. Internationalen Filmfest Potsdam | Bildquelle: filmfestpotsdam.de


Dagegen geht es in den Filmen Jamie Marks Is Dead von Carter Smith und Geron von Bruce LaBruce um geradezu Wohlstandsproblemchen weißer Teenager in den USA und Canada. In Jamie Marks Is Dead geistert der am Fluss tot aufgefundene Jamie Marks (Noah Silver) als lebende Leiche umher und erscheint immer wieder den beiden Teenagern Gracie (Morgan Saylor) und Adam (Cameron Monaghan). Adam, ebenso ein Außenseiter wie der Tote, entwickelt dabei ein fast obsessives Interesse an Jamies Schicksal, der hier wie ein verschwitztes Look-Alike des Zauberlehrlings Harry Potter daherkommt. Ein weiterer Zombie-Teeny darf dann auch mal zum Messer greifen und in einer slasherreifen Badezimmerszene etwas Grusel verbreiten. Regisseur Smith verliert bei seinem Spagat zwischen anspruchsvollem Autorenfilm und fantastischem Horrorschocker allerdings etwas das Zentrum seines Films aus den Augen.

Mit viel Humor geht dagegen Queer-Kult-Trash-Filmer Bruce LaBruce an die Obsession seines jugendlichen Helden. Der stets hilfsbereite Lake (Pier-Gabriel Lajoie) ist in den Augen seiner Freundin Désirée (Katie Boland) ein Heiliger. Die revolutionär angehauchte Jungfeministin hat eine Liste ihrer Vorbilder von Ulrike Meinhof über Wynona Rider bis zu Kim Gordon angelegt und steht neben Lake vor allem auf das SCUM-Manifest und die Sängerin einer Girls-Rockband. Aber auch ein Heiliger hat so seine Versuchungen, und das Bild des gealterten Gandhi über dem Bett ist bei Lake mehr als nur ein Bekenntnis zum gewaltlosen Widerstand, wie Désirée beim heimlichen Durchstöbern seines Skizzenbuchs feststellen muss.

Lakes Fetisch ist die faltige Haut gealterter Körper, und so findet er es auch nicht eklig in der „Runzelfarm“ eines Krankenhauses zu arbeiten. Das Waschen der Körper alter Patienten wird sogar zum erotischen Erweckungserlebnis. Schließlich verliebt sich Lake beim täglichen Gin Rummy in den 81jährigen schwulen Mr. Peabody (Walter Borden). Der unter schwere Medikamente Gesetzte hat einen letzten unerreichten Wunsch, einmal den Pazifik zu sehen. Lake kidnappt Mr. Peabody aus dem Krankenhaus und geht mit ihm auf eine Reise durch das verschneite Kanada. Im Gegensatz zu den früheren expliziten Pornofilmen von Regisseur LaBruce ist Geron eine eher brave mainstreamtaugliche Provokation auf altersgerechte Sexualvorstellungen. LaBruce dreht hier den erotischen Spieß ganz einfach mal um, und lässt den älteren Partner zum Objekt der eifersüchtigen Begierde eines noch knackigen Jugendlichen werden.

Erwähnenswert noch der auf der BERLINALE bereits mit dem Teddy und dem Publikumspreis ausgezeichnete semidokumentarische Streifen Der Kreis. Hier wird aus der Perspektive eines recht ungleichen schwulen Paares in der Schweiz der 1950er bis 60er Jahre die Geschichte der ersten Schwulen-Zeitschrift Der Kreis nachgestellt. Der angehende Lehrer Ernst Ostertag (Matthias Hungerbühler) lebt aus Angst vor beruflichen Konsequenzen seine Sexualität nur im Verborgenen, während der junge Varieté-Künstler Röbi Rapp (Sven Schelker) sich in der damals noch sehr liberalen Schweiz offen dazu bekennt. Morde in der Züricher Stricherszene lassen die errungen geglaubte Freiheit aber sehr schnell durch polizeiliche Repression und Zwang zur Registrierung schwinden. Kommentiert wird die Handlung dieses äußerst interessanten Films des Schweizer Regisseurs Stefan Haupt durch das immer noch zusammenlebende und mittlerweile auch verheiratete echte Paar Ostertag und Rapp sowie durch Einblendungen von Fotos der recht lebenslustigen Züricher Schwulen-Community jener Zeit. Kinostart in Deutschland ist der 30. Oktober.



Der Kreis beim 1. Internationalen Filmfest Potsdam | Bildquelle: filmfestpotsdam.de


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Die Filmauswahl in Potsdam bewies also durchaus ein Händchen für politisch relevante Kinokunst. Was aber dem Filmfest im ersten Jahr noch fehlte, war eine entsprechende Zuschauerresonanz. Die Vorführungen unter der Woche fanden leider in zumeist recht leeren Kinosälen statt. Die angestrebten 2.500 Zuschauer pro Tag dürften da noch nicht erreicht worden sein. Es ist aber kaum vorstellbar, dass sich in Potsdam und Umgebung kein enthusiastisches Kinopublikum finden ließe. Cottbus hat es mit dem Osteuropäischen Filmfestival vorgemacht, und mit den "Sehsüchten" verfügt Potsdam ja immerhin schon über ein erfolgreiches Studentenfilmfestival. Ob sich die Nähe zu Berlin als Vor- oder Nachteil erweist oder der Nischen-Schwerpunkt Serie nicht den nötigen Anklang findet, steht nun für die Zukunft zur Analyse an. Es wird sich erst noch zeigen müssen, dass Potsdam über das reine Geschäft hinaus auch als Filmfeststandort reüssieren kann.


Stefan Bock - 13. Oktober 2014
ID 8161
Weitere Infos siehe auch: http://www.filmfestpotsdam.de/


Post an Stefan Bock

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