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Neues deutsches Kino

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Für den Ex-Anwalt, Schriftsteller, Medienunternehmer und Autorenfilmer par excellence Alexander Kluge gilt dasselbe, was Kritikerkollegen schon über Jean-Luc Godard (dessen letzter Film Bildbuch nach längerer Abstinenz auch erst vor kurzem in einigen Kinos lief) gesagt haben: Nur wenige Kinozuschauer haben deren Filme gesehen und wissen etwas damit anzufangen, dafür ist ihr Einfluss auf die Filmgeschichte nicht zu unterschätzen. Für Deutschland ist Alexander Kluge (87) längst eine Institution, und diejenigen, die seine international prämierten Frühwerke wie Abschied von gestern (1966) oder Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos (1968) nie gesehen haben, werden ihn als meist unsichtbaren Interviewer kennen. In den eigenen Formaten 10 vor 11, PrimeTime/Spätausgabe, dctp-Nachtclub und Stunde der Filmemacher, die Kluge den Privatsendern RTL, Sat.1 und VOX als Kulturbaustein abgetrotzt hat, spricht er im scheinbar harmlosen Plauderton mit Fachleuten zu Themen wie Oper, Krieg, Weltraum, Theater und Film. Befragt werden bevorzugt Wegbegleiter und Freunde wie u.a. Heiner Müller (†2005), Hannelore Hoger, Helge Schneider oder Peter Berling (†2017). Die offene Struktur des mäandernden Gesprächs vor eingeblendeten Skizzen oder Himmelskörpern ist gegenüber den sonst üblichen, glatten oder effektheischenden Bildfolgen des durchformatierten Fernsehens, über die Jahrzehnte zu einem kuriosen Markenzeichen von Kluges Rolle als ewiger Avantgardist des Privatfernsehens geworden. Darüber wurde fast vergessen, wie revolutionär vor allem seine Konzeption des anti-linearen und anti-narrativen filmischen Erzählens im Kino seit Anfang der 60er Jahre war. Alexander Kluge ist zusammen mit dem Heimat-Regisseur Edgar Reitz der letzte noch aktive Unterzeichner des legendären Oberhausener Manifests von 1962, das einen innovativen Aufbruch des deutschen Films verkündete.

*

Dass Kluge bei allen Marotten nicht denkfaul und ignorant geworden ist, hat er in den letzten Jahren anhand diverser Kooperationen deutlich gemacht, zuletzt die gemeinsam mit Basil Gelpke gestaltete Collage zum Thema Künstliche Intelligenz, Mensch 2.0. Nun folgt die bisher kühnste kreative Partnerschaft, nämlich mit dem philippinischen Autorenfilmer Khavn de la Cruz, der ebenfalls auf alle Konventionen pfeift. Dessen wie im LSD-Rausch gedrehter, wild anarchischer No-Budget-Film über eine gewalttätige Kinder- und Jugendgang in den Slums von Manila hat Kluge wohl so imponiert, dass er Teile davon in Happy Lamento montiert hat. Während sich aus diesen Fragmenten noch eine Narration herausdestillieren ließe, verzichtet Kluge selber wie immer auf eine nacherzählbare Handlung, sondern bietet eine Mischung mit dokumentarischem, fiktiv inszeniertem und bisher nicht verwendetem Interviewmaterial aus seinem dctp-Studio. Kluge ist zudem auch hier ein Meister der assoziativen Bildsprache, die er themenentsprechend mit Schriftzügen verknüpft.

Er zeigt abstrakt und poetisch archetypische Phänomene, um für den Betrachter eine Komplexität aufzufächern. Gestalterisch über Split Screens, Tableaus, Metaphern; archaisch und assoziativ. Zu aufgezogenen Spielzeugfiguren und Zirkusbildern ist z.B. gleichzeitig ein Staatsbesuch Donald Trumps zu sehen („Der Zirkus kommt in die Stadt“). Musik als kosmische Sprache untermalt eine Taubheit, Erstarrung und Benommenheit. Philosophische Zitate über den Sinn des Lebens, die Zeit und das Dasein. Dann wieder Gewalt in den Elendsquartieren Manilas; Erläuterungen, wie ein sowjetischer Zirkus mit allen Raubtieren vor der Wehrmacht gerettet wurde. Schwergewichtige Größenverhältnisse; „Der Mond aus der Rippe der Erde geschnitten“ und sein Zeitverlauf. Paten der Evolution, symbolisch (gezähmte Elefanten) und direkt (Menschen im Affenkostüm). Der Film stellt die Frage, wie es heutzutage möglich sein könnte, gesellschaftspolitischen Gegebenheiten zu begegnen. Vor allem jenen, die unbeeinflussbar scheinen. Auf diese Frage gibt es keine Antwort. Überhöht übersetzt umkreist Kluge die Ebenen. Ein Abenteuer für den Intellekt!



Happy Lamento: Khavn De La Cruz (li) und Alexander Kluge | (C) Rapid Eye Movies

Max-Peter Heyne & Gabriele Leidloff - 21. Juni 2019
ID 11522
Weitere Infos siehe auch: https://rapideyemovies.de/2019/04/29/happy-lamento-2/


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