Die Regisseure Alexander Kluge und Basil Gelpke über ihre dokumentarische Gemeinschaftsarbeit Mensch 2.0 – Die Evolution in unserer Hand
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„Was gemacht werden kann, wird auch gemacht“
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Inwieweit eines nicht mehr allzu fernen Tages künstliche Menschenroboter ein gleichberechtigter, zu integrierender Teil unserer Gesellschaft werden, damit beschäftigen sich die Filmemacher Alexander Kluge und Basil Gelpke in ihrem Beitrag über die weltweite Forschung zu Künstlicher Intelligenz: Mensch 2.0 – Die Evolution in unserer Hand. Der 100minüter ist eine Exegese der mehr als 700 Minuten langen Materialsammlung, die bereits seit rund zwei Jahren im Fachhandel (vom Anbieter absolutmedien.de) erhältlich ist und wurde von Kluge und Gelpke im Auftrag der „Aktion Mensch“ für das „Inklusive-Filmfestival“ erstellt. Das Festival befindet sich derzeit bis Mitte Mai auf bundesweite Tournee.
Gelpke führt den Zuschauer „als konventioneller Dokumentarist“, wie er sagt, zu den europäischen, US-amerikanischen oder japanischen Forschungslaboren, in denen menschenähnliche Roboter konstruiert und programmiert werden. Die anderen Einsprengsel sind aus diversen TV-Sendungen Kluges entnommen, die zwar thematisch immer einen relevanten Bezug aufweisen, sich aber im Ablauf nicht immer passgenau einfügen. Mit Absicht, wie Alexander Kluge im Interview betont: „Gelpke zeigt die neuen Entwicklungen in der Forschung, die Suche nach der neuen Intelligenz, und ich bin die Gegenstimme, also für den ‚alten Menschen‘ zuständig, der seine Intelligenz aus der Evolution gewonnen hat und derentwegen wir übriggeblieben sind, nachdem wir vor 70.000 Jahren aus Afrika kamen. Diese Intelligenz ist doch sehr flexibel, unausgeschöpft, sodass wir vieles können, was sonst keiner kann.“
Einige der Forscher seien „die bunten Hunde des Wissenschaftsbetriebes“, sagt Gelpke, die eher eigenen Impulsen folgen und Roboter konstruieren, die dem Menschen – oft ihnen selbst – möglichst ähnlich sehen. Sie sollen die menschliche Kommunikations- und Denkeigenschaften nachahmen, „um zu erkennen, was den Menschen eigentlich ausmacht“, wie der Japaner Hiroshi Ishiguro es ausdrückt, der schon ein elektronisches Alter ego von sich und eine täuschend echt wirkende japanische Frau mittleren Alters gebaut hat. Andere Forscher wiederum entwickeln Roboter, die weniger ästhetischen, sondern rein nützlichen Erwägungen folgen und für medizinische, Haushalts- oder Arbeitsprozesse einsetzbar sein sollen. Aber während der Mensch dafür ein idealer, wenn auch sehr komplexer ‚Prototyp‘ ist, der viele motorische Abläufe wie Dinge aufheben oder Treppensteigen gleichsam intuitiv bewältigt, stehen Roboter damit vor nahezu unlösbaren Aufgaben. Gespenstisch wirken jene Geräte, die mit jeder Aktion hinzulernen – und eines Tages auch Ehrgeiz oder Phantasie entwickeln?
Er habe noch keinen Computer gesehen, der „die Sprache des Kosmos, die Mathematik“ oder die der Musik würde nachahmen können, sagt der skeptische Optimist Alexander Kluge: „Alle Formen der Anpassung, der Kreativität, ist etwas, was wir als Menschen können. Dabei können Computer uns assistieren und manchmal auch die Spitze erreichen. So können Roboter z.B. sehr ungefährdet an die Reparaturarbeiten in Abwassersystemen und Atomkraftwerken gehen. Das ist eine wunderbare Ergänzung.“ Aber, so fragt sich der ehemalige Jurist: „Was wäre denn der Vorteil, wenn Computer komponieren, wenn wir 25 Neunte Symphonien hätten, Tausende von Beethoven? Die Inflationierung von demselben – dafür brauchen wir keine Computer.“
Wenngleich in der gegenwärtigen Forschung „auch viele Verrücktheiten stattfinden, etwa in der Art wie früher einige Alchemisten glaubten, sie könnten Gold herstellen“, ist sich Kluge aufgrund des großen finanziellen und zeitlichen Aufwandes, die die Konstruktion menschenähnlicher Computer verschlingt, sicher, dass nach einer Phase des Herumexperimentierens die nützlichen Roboter übrig bleiben werden: „Gottähnlich werden diese Roboter nicht sein, und insofern wird ihre Konstruktion so sehr oder so wenig verhängnisvoll sein wie etwa die Konstruktion des Golem, den der Rabbi Löw in Prag als Beschützer des jüdischen Ghettos baut“, gibt Kluge zu bedenken: „An der Berliner Humboldt-Universität gibt es ein Labor, das versucht, evolutionäre Bedingungen herzustellen, ideale Bedingungen des Lernens, diese Roboter, die übrigens nicht menschlich aussehen müssen, auch nicht wie Puppen oder Hunde, sondern eigene Lebewesen. Eines Tages werden die eine Verfassung einfordern. Ich gehe davon aus, dass wir, wie wir hier sitzen, so eine Technik nicht beherrschen könnten. Eine Technik, die sich selbst anwenden kann, wird das tun. Das kann man nicht verhindern. Was man tun kann, ist parallel dazu – noch zu Lebzeiten unserer menschlichen Intelligenz – gewissermaßen Gegentunnel bauen, die damit konkurrieren.“
Kluge erwartet also eine Weiterentwicklung der Lernfähigkeiten der Roboter bis hin zu deren Selbstverwaltung: „Insofern würde ich den Dingen – denn es sind ja Dinge – Respekt entgegenbringen und würde erwarten, dass, wenn wir das tun, Respekt auch zurückerhalten. Wenn die Roboter eines Tages von uns eine Verfassung für sich einfordern, müssen wir ihnen respektvoll und selbstbewusst entgegentreten können.“ So unterschiedlich die beiden Filmemacher in ihrer Art, Film zu gestalten, auch sind, so einig sind sich Glepke und Kluge darin, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist: „Man darf gar nicht anfangen, sich davor zu fürchten, und ich bin von Natur aus kein furchtsamer Mensch“, sagt Alexander Kluge in Hinblick auf seine Prognosen: “Kriege sind noch nie allein durch Technik verursacht oder geführt worden, sondern durch Motive von Menschen.“
„Natürlich finden Sie bei vielen von diesen Forschern eine ausgeprägte Skepsis gegenüber dem Konzept der Seele; wird der Mensch in letzter Konsequenz als eine hochkomplexe, biochemische Maschine gesehen, deren Funktionieren wir bisher nur in Ansätzen erfassen“, sagt Basil Gelpke über einige seiner Gesprächspartner. Den völligen Verzicht auf kritische Stimmen im Film Mensch 2.0 rechtfertigt Basil Gelpke damit, dass „die Dinge, die möglich sind, sowieso geschehen – egal was wir davon halten oder wie wir sie bewerten. Was gemacht werden kann, wird der Mensch auch machen. Wenn man von vornherein die Entwicklungen ablehnt und fürchtet, die letzten Refugien des Humanismus werden in Zukunft preisgegeben, bleibt man ängstlich und hilflos. Gerade auch in Gesprächen mit älteren Menschen weise ich auf die positiven Aspekte der Robotertechnik hin. Und über die Kraft der Technologie lassen sich auch unsere kognitiven Fähigkeiten erweitern.“ Dennoch: das Unbehagen über die Roboterforschung lässt der Film keineswegs schwinden.
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Alexander Kluge (C) http://www.mensch20-derfilm.de
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Max-Peter Heyne - 5. Oktober 2012 ID 6249
Weitere Infos siehe auch: http://www.mensch20-derfilm.de
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