Zwischen Zwangsgedanken und Freundschaft
Im Gespräch mit den Regisseuren Oliver Sechting und Max Taubert
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Wie ich lernte, die Zahlen zu lieben | Foto (C) missingFilm Verleih
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Zahlen sind nicht Jedermanns Freunde. Für manche Menschen bilden sie die Grundlage für schwere Zwangsgedanken. Kummer, Sorgen, Ängste - Probleme, mit denen sich Regisseur Oliver Sechting bestens auskennt. Seit seiner Kindheit leidet er unter solchen Gedanken, die auch mal das Verhalten und somit den normalen Tagesablauf ordentlich umkrempeln können. Während eines gemeinsamen Filmprojektes musste sein guter Freund Max Taubert diese Probleme hautnah miterleben. Herausgekommen ist die interessante Dokumentation Wie ich lernte, die Zahlen zu lieben.
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Ursprünglich wolltet ihr einen Film über die Künstlerszene und deren Protagonisten in New York drehen. Der Schwerpunkt hat sich allerdings sehr schnell geändert. Freundschaft, Zwangsgedanken und Phobien stehen im Mittelpunkt. Wie zufrieden seid ihr mit dem Resultat?
Oliver Sechting: Letztendlich war es ein Prozess dorthin zu kommen, wo wir jetzt sind. Also auch mit dem Ergebnis nicht nur zufrieden zu sein, sondern auch damit leben zu können, weil wir beide auch viel Privates von uns Preis geben. Aber wir hatten die Fäden ja in der Hand, wir haben auch mit dem Cutter zusammengearbeitet, sodass wir das Ganze steuern konnten. Wir haben auch oft, damit es dem Film zugute kommt, Szenen reingenommen, die erst einmal unangenehm waren. Aber das Unbehagen, den Film mit anderen Leuten zusammen zu sehen, hat sich jetzt nach den ersten Vorstellungen gelegt.
Max Taubert: Ja, bei mir war es auch so. Bis zur ersten Vorstellung war ich wirklich sehr aufgeregt und gespannt, wie das Publikum damit umgeht, mit den privaten und auch intimen Aufnahmen.
Wie sind eure Freundschaft und dieses Projekt überhaupt entstanden?
MT: Wir beide kennen uns schon ein paar Jahre. Wir haben uns bei einer Schwulenberatung kennengelernt und haben relativ schnell herausgefunden, dass wir dasgleiche Hobby teilen, was wir beide immer mehr zum Beruf machen wollten. 2012 haben wir ein paar kleine Dokumentarfilme gemacht und haben dafür auch positives Feedback bekommen, und dann stand die Idee im Raum etwas Größeres zu machen. Wir hatten Lust auf eine andere Stadt und haben uns beide für New York interessiert. Oli war schon ein paar Mal vorher da, und insofern musste er mich nicht lange überzeugen.
Fallende Dominosteine, ein Brillant wird verdaut, Blut oder Enthauptung eines Hahnes. Was hat es mit diesen Stilbrüchen auf sich, die im Film immer wieder auftauchen?
OS: Diese Bilder nennen wir „Visionen“. Die sind nach dem Dreh entstanden. Wir haben uns mit unserem Cutter zusammengesetzt und überlegt, wie man Zwangsgedanken visualisieren kann, damit der Zuschauer ein plastisches Bild davon bekommt.
Gerade du, Max, warst regelmäßig mit Olivers Ängsten konfrontiert. Wie erging es dir während dieser Zeit in New York?
MT: Es war für uns beide nicht einfach. Ich glaube, wenn wir den Film hier gedreht hätten, dann hätten wir vielleicht den Film sogar abgebrochen. Uns hat beiden ein Austauschpartner gefehlt, wir haben am Ende kaum noch miteinander kommuniziert, und wir brauchten beide eine Weile, um auch wieder zueinander zu finden. Aber da hat uns die gemeinsame Arbeit an dem Film dann geholfen.
Die 58 oder der Kontrast rot/schwarz kehren im Film regelmäßig wieder. Was vermitteln dir, Oliver, diese Zahlen- und Farbkombinationen?
OS: Alle negativen Zahlen- und Farbkombinationen haben eine individuelle Geschichte. Das ist teilweise sehr abstrakt. Die positiven, die neutralisierenden Zahlen, Farben und Elemente habe ich meistens aus dem Aberglauben heraus genommen. Zum Beispiel: Die Sieben ist eine typische Glückszahl, oder die Farbe Weiß gilt als neutral. Aber Rot-Schwarz hat bei mir immer die Assoziation: offener Bruch. Ich weiß aber schon gar nicht mehr, wie welche Zwänge entstanden sind.
MT: Es bleibt auch alles gleich. Die Bedeutung ändert sich nicht von Tag zu Tag. Es hilft also auch dem Umfeld, sich ein bisschen darauf einzustellen.
OS: Also was die Zahlen und Farben angeht, ist das System bei mir ziemlich konstant. Seit fast 26 Jahren trage ich das schon mit mir herum. Aber es entstehen auch immer wieder neue Zwänge, die sich auch wieder verflüchtigen. Meistens sind es ganz einfache, bildhafte Assoziationen.
Zwischendurch steht auch eure Freundschaft auf dem Spiel. Während Diskussionen und Streitigkeiten ist die Kamera immer mit dabei. War das tatsächlich alles echt oder nicht doch ein Stück weit inszeniert?
MT: Nein, das ist alles echt. Es ist ja den Situationen zu schulden. Man ist zu zweit in einer fremden Stadt, man ist allein in einem Apartment. Es war auch kein großer Akt, die Kamera auf Aufnahme zu stellen. Und in Situationen, wo wir diskutiert haben, habe ich die Kamera einfach hingelegt und mitgefilmt. Im Nachhinein kann ich gar nicht mehr sagen, was mich dazu bewegt hat. Ich glaube, ich wollte einfach, dass die Leute mitkriegen, wie es ist.
OS: Es war ja auch nicht nur Frust. Mir tat die ganze Situation auch permanent leid, also auch für Max. Die Ohnmacht, dass etwas aus dem Ruder läuft, das ist auch ein Gefühl, mit dem man umgehen muss. Ich bin ja auch der Ältere und hab mich immer ein bisschen verantwortlich für ihn gefühlt.
Euer Film folgt ein Stück weit der Brecht‘schen Dramenstruktur, denn er besitzt ein offenes Ende. Plant ihr eine Fortsetzung?
MT: Nein, eine direkte Fortsetzung planen wir nicht. Dramaturgisch kann man ja sagen, dass es immer so weiter geht mit den Zwangsgedanken. Die hören ja nicht mit dem Film auf. Wir sind dann einfach zurückgeflogen, und es gibt demnach auch kein Happy End.
OS: Zwangserkrankungen lassen sich sehr schwer therapieren. Es gibt keine durchschlagenden Therapiekonzepte. Die Krankheit wird mich wahrscheinlich mein ganzes Leben lang begleiten. Für ein neues gemeinsames Projekt gibt es noch keine Ideen, aber unser Verhältnis ist wieder so, wie es vor den Dreharbeiten war. Würde es eine Fortsetzung geben, dann wäre die Glaubwürdigkeit auch nicht mehr so hoch. So etwas kann man nur einmal machen.
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Max Taubert und Oliver Sechting | Foto (C) missingFilm Verleih
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Interviewer: Marc Burgemeister - 3. Dezember 2014 ID 8296
Unser Gastautor Marc Burgemeister studiert z.Z. Journalistik an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation – MHMK, Standort Berlin und wird dort von Max-Peter Heyne betreut.
Weitere Infos siehe auch: http://www.zahlenliebe.de
Filmkritik zu Wie ich lernte, die Zahlen zu lieben
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