„Männer überleben Katastrophen eher als Frauen“
Im Gespräch mit dem norwegischen Regisseur Ruben Östlund
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Das ist Ruben Östlund - Foto (C) Wolf-Dietrich Turné
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Wie sind Sie auf die Idee gekommen, nicht etwa eine tödliche Lawine, sondern nur den Anschein einer Gefahrensituation zum Kernstück Ihrer Geschichte zu machen?
Ruben Östlund: Die Ausgangsidee war zu zeigen, wie wohlhabenden Leuten der Urlaub vermasselt wird und dabei eine Seite ihres Verhaltens zum Vorschein kommt, von der sie nicht wissen, dass sie zu ihnen gehört. Weil man solche Instinkte meistens nur mit Extremsituationen verbindet, die Menschen im Krieg oder bei Naturkatastrophen erleben. Ich bin als junger Mann viel Ski gefahren und habe auch Skifilme gedreht. Keine Lehrfilme, sondern Clips, in denen sportliche Attraktionen geboten wurden. Das war tatsächlich mein Einstieg ins Filmemachen. Ich habe mich vorher mehr für Skisport interessiert als fürs Filmemachen, aber dann drehte sich das Interesse um, und ich habe eine Filmschule besucht. Während dieser Zeit habe ich dauernd daran gedacht, wie ich wieder in die Skigebiete zurückkehren kann, um darin einen Spielfilm zu drehen. Aber es ist gar nicht so einfach, ein interessantes Thema über Skiressorts zu finden, weil das so kitschige Orte sind. Diese neonfarbigen Lampen und das ganze Zeug rund um die Pisten, das reichen Menschen suggeriert, sie hätten alles unter Kontrolle. Erst als ich an eine Lawine dachte, die Menschen in Panik versetzt, bis sie merken, dass sie überreagiert haben, wuchs in mir das Gefühl, das sich daraus etwas machen lässt.
Und die Familiensituation?
R. Ö.: Daran habe ich erst später gedacht. Ich habe Freunde gefragt, ob es nicht interessant wäre zu zeigen, wie ein Mann vor einer Gefahr wegläuft und die Familie im Stich lässt. Ich musste dabei an eine Geschichte denken, von der ich gehört hatte: Ein Ehepaar hatte in Südamerika ein Erlebnis mit Gangstern, was sie in Lebensgefahr brachte. Der Mann hat sich dabei hinter seiner Freundin verschanzt, sodass sie sich anschließend zerstritten haben – und das einen Monat vor der Eheschließung. Die Kleinfamilie ist nach allgemeinem Verständnis der Kern unserer Kultur, der alles zusammenhält. Im Kino wird die Lebensweise solcher Familien – zumindest so wie ich sie in meinem Film zeige – fast nie hinterfragt, schon gar nicht im amerikanischen. Dort geht es fast nur darum, dass eine Familie von einer äußeren Macht bedroht wird und der Mann Gewalt anwenden muss, um die Gefahr zurückzudrängen und mit seiner Familie weiter in Frieden leben kann. Dieser Konsens in Bezug auf den Nukleus Familie in unserer Gesellschaft will ich mit dem Film in Zweifel ziehen.
Aber auch das Männlichkeitsideal?
R. Ö.: Ja, der Ehemann macht nicht das, was er und die anderen von ihm erwarten. Auch dass er darüber dann auch noch weint, gilt bei uns ebenfalls als zutiefst unmännlich. Das führt zu seiner Identitätskrise. Die Erwartungen an Geschlechter und Geschlechterrollen werden in besonderer Weise aufgeworfen, wenn es zu so einer existentiellen Situation kommt. Ich glaube, wir sind alle noch in verschiedener Hinsicht in diesen Rollenbildern gefangen und denken in Stereotypen, was uns letztlich unglücklicher macht als es sein müsste.
Über das Verhalten von Ehemann und -frau diskutieren nicht nur die Figuren im Film, sondern auch alle meine männlichen und weiblichen Kollegen nach der Vorführung.
R. Ö.: Ja, das ist beabsichtigt, dass die Zuschauer sich zu dieser Frage Gedanken machen und streiten. (Lacht.) Ich habe mal scherzhaft gesagt, wer wissen will, ob er eine glückliche Beziehung mit jemandem führen kann, sollte sich mit demjenigen einfach den Film anschauen anstatt es viele Jahre lang auszuprobieren – dann kann man die Entscheidung schneller treffen. Männer haben in heutiger Zeit ohnehin per se mit Schuldgefühlen zu kämpfen, da sie immer die Privilegierteren sind. Und wenn es dann zu so einem Verrat an seiner Familie kommt, können wir uns auch mit seiner anschließenden Verzweiflung identifizieren – selbst wenn wir sein Verhalten nicht billigen.
Haben Sie sich selbst auch solche Fragen gestellt?
R. Ö.: Ich habe Statistiken zu dieser Frage! (Lacht.) Männer können in Gefahrensituationen durchaus so reagieren wie der Thomas im Film, obgleich wir uns alle diese Hollywood-Heldenfilme anschauen. Ich habe Statistiken über Schiffuntergänge gelesen – von der Titanic bis zur Estonia-Fähre –, dass Frauen und Kinder überproportional die Opfer solcher Katastrophen sind. Die meisten Überlebenden sind Männer im jüngeren und mittleren Alter. Dass also Frauen und Kinder als erste gerettet werden, ist ein Mythos. Oft verlassen sogar die Kapitäne mit den ersten Flüchtenden ihr Schiff wie der italienische Kapitän der Concordia. Aber wir haben bei jedem solcher Ereignisse auch Beispiele für heldenhaftes Verhalten.
Was auch sehr überzeugend gelungen ist, sind die vielen Details im Film, die eine gespenstische Atmosphäre erzeugen. Haben Sie dabei an Horrorfilme gedacht?
R. Ö.: Das gehörte zum Konzept, weil diese Ressorts wie Touristenghettos wirken, die um den Gesellschaftskern Kleinfamilie herumgebaut wurden, speziell jene, die noch aus den 50er und 60er Jahren stammen, wie Les Arce in den französischen Alpen, in dem wir gedreht haben [Anm.d.A.: bei Bourg-St. Meurice in 1619m Höhe, erbaut 1968, 40 Restaurants und 30 Bars!]. Dort gibt es einen konstanten Kampf zwischen Zivilisation und Naturgewalten, was als Metapher zu dem Kampf des Ehemanns im Film, der seine unzivilisierte Seite nicht wahrhaben und eine Fassade aufrecht erhalten will, gut passt. Ich bin ja auch viel Ski gefahren, auch im Nebel, im Schneesturm. Und dann diese merkwürdigen Geräusche von der Lifttechnik – all das wollte ich in den Film einbauen.
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Höhere Gewalt | (C) Alamode-Filmverleih
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Interviewer: Max-Peter Heyne - 22. November 2014 ID 8269
Filmkritik zu Höhere Gewalt: http://www.kultura-extra.de/film/filme/filmkritik_hoeheregewalt.php
Post an Max-Peter Heyne
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