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Stalingrad
Interview mit dem Regisseur Sebastian Dehnhardt

90minütige Dokumentation von Sebastian Dehnhardt und Manfred Oldenburg, ZDF, Dienstag, 10. Januar 2006, 20.15 Uhr

Emmy-Preisträger Sebastian Dehnardt ist der top-Regisseur historischer Dokumentarfilme („das Wunder von Bern“, „das Drama von Dresden“) in Deutschland. Unter Leitung von Guido Knopp produzierte er 2003 die 3-teilige Serie STALINGRAD.
Der neu überarbeitete, 90minütige Directors Cut wird (heute) erstmals im deutschen Fernsehen ausgestrahlt (20.15 Uhr, ZDF). Die aufwendig recherchierte Dokumantation beleuchtet den historischen Wendepunkt im Zweiten Weltkrieg: die verzweifelte Schlacht im Kessel von Stalingrad.

Simone Schlindwein hatte die Gelegenheit, mit dem Regisseur Sebastian Dehnhardt zu sprechen.
Welches Anliegen hatten Sie persönlich, dieses historische Ereignis filmisch aufzuarbeiten?

Ich gehöre der Generation an, die den Krieg nicht unmittelbar erlebt hat. Doch mein Vater ist Jahrgang 1913 und war selbst im Russlandfeldzug. Meine Familie stammt aus Breslau und gehörte zu den Massen an Vertriebenen aus den Ostgebieten. Insofern habe ich ein persönliches Interesse an Zeitgeschichte. Für mich ist es interessant, Menschen darzustellen, die unmittelbare Kampferfahrungen gemacht haben. Denn die Arbeit mit Zeitzeugen ist menschlich einfach wichtig.
Aus der Sicht des Historikers sind Zeitzeugen-Interviews eine problematische Quellengrundlage. Welchen Umgang pflegen Sie mit diesen Quellen?

Natürlich sind Zeitzeugen-Interviews eine denkbar schlechte Quelle für Historiker. Deswegen habe ich weit mehr als 100 Zeitzeugen befragt, darunter auch russische, um eine möglichst große Bandbreite an Aussagen zu erhalten. Letztlich haben wir nur ca. 30 Zeitzeugen in der Dokumentation wirklich veröffentlicht. Wir sind hier selektiv vorgegangen und haben die Zeitzeugen-Darstellungen verwandt, sie durch andere Quellen belegbar sind. Doch ihre Berichte mussten natürlich auch in die Geschichte passen und die Erzählungen sollten aufeinander aufbauen und sich auch steigern.

Welche Quellengrundlagen standen Ihnen denn außer den Zeitzeugen noch zur Verfügung?

Dazu gehören die Bestände des NKWD-Archivs, zudem habe ich verschiedene Unterlagen aus dem sowjetischen Polizei-Archiv privat erhalten. In dieser Neufassung war mir die schicksalhafte Komponente der deutschen Soldaten wichtiger, die eher emotional bewegt.

Und welche „neuen“ Archivbestände haben Sie befragt? Aus welchem „exklusiven“ Filmmaterial besteht Ihre Dokumentation, wie das Ihr Pressetext ankündigt?

Wir haben zum Beispiel in russischen Archiven Quellen gefunden, die belegen, dass über 5000 deutsche Soldaten in den Katakomben Stalingrads auch nach der Kapitulation noch weiter gekämpft haben. Doch diese Fakten haben wir nur in der dreiteiligen Serie verwandt und nicht in der 90minütigen Dokumentation.
In den Beständen der sowjet-Archive haben wir Lehrfilme der Grenztruppen gefunden, die die Schlacht von Stalingrad zeigen. Außerdem haben wir „Beute“-Wochenschauen entdeckt, die von den Sowjets beschlagnahmt wurden. Dieses Filmmaterial war bislang auch nicht bekannt. Außerdem haben wir Privataufnahmen deutscher Soldaten in der Dokumentation verwandt, die auch noch nie gezeigt wurden. Das Gros der im Film verwandten Filmsequenzen ist jedoch aus den Beständen der Wochenschau.

Ihre 2003 ausgestrahlte 3teilige Serie mit selbigen Namen war doch die Ausgangsbasis für den Directors Cut, der nun 2006 ausgestrahlt wird. Damals wurde die Serie angekündigt, sie beleuchte“ die sowjetische und deutsche Sicht gleichermaßen“. Doch im Dokumentarfilm wird die deutsche Seite überhöht und der Feind fast gänzlich ausgeklammert. Warum?

Die Intension aus dem 3-Teiler einen 90minütigen Dokumentarfilm zu machen war die, das damals gedrehte Material und die geführten Interviews in ihrer Fülle auszuschöpfen. Es ist nun eigentlich die letzte Chance einen solchen Film zu machen, denn die Zeitzeugen sterben solangsam aus. Auch viele von den hier befragten Zeitzeugen sind in den letzten Jahren verstorben. Wir hatten fast 200 Zeitzeugen in unserer Kontaktdatenbank und haben dafür fast ein Jahr recherchiert.
In Film klingt nun eine längst überhohlte These an, die Sie zum Ende der Dokumentation auch stilistisch und dramaturgisch zuspitzen: die Opferrolle der Wehrmacht. Die Täterrolle wird jedoch nicht direkt hinterfragt.

Natürlich haben wir die Grausamkeiten der Wehrmacht im ersten Drittel des Films beleuchtet! Es ist sogar moralisch notwendig, diese Frage zu stellen. Wir hatten in unserem Pool an Interviews auch einen Zeitzeugen, der gesagt hat „natürlich waren die Soldaten auch Mörder“. Doch wir haben diese Aussage nicht reingenommen, denn sie hätte zuviel losgetreten.
Ich muss Ihnen hier deutlich widersprechen, die Opferrolle bleibt nicht stärker hängen, dann haben Sie das rein subjektiv so wahrgenommen. Ich denke, der einzelne Soldat hat auch das Recht Opfer zu sein, besonders in der Schlacht von Stalingrad. Wie der Film zeigt, war er ja nur das kleine Rädchen im Getriebe.
Was wir zeigen wollten ist, dass viele Soldaten durch die Stalingraderfahrung bewusst mit ihrer bisherigen Rolle gebrochen haben und diese Ereignisse für sie eine persönliche Wende darstellte. Viele sind ja nach ihrer Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft gezielt in DDR gegangen, genau aus diesen Gründen.
Herr Dehnhardt, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.


Simone Schlindwein / 10. Januar 2006
ID 00000002195
Siehe auch die Filmbesprechhung:
Stalingrad

von Simone Schlindwein

Weitere Infos siehe auch:






 

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