Aufstand der
„Idioten“
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Bewertung:
„Dem Wörterbuch zufolge ist ein Idiot eine etwas langsame Person, der es an Klugheit und List mangelt. - Auch wenn wir alle wissen, dass all die ehrlichen Menschen, die sich an die Regeln halten, am Ende als Synonym für 'Idiot' stehen. Aber irgendwann wird die Ausbeutung, an die wir Idioten gewöhnt sind, zu einer echten Last. Man sagt: Schluss damit. Und plötzlich macht man was, für das man sich nie fähig gehalten hätte.“
Mit diesem Off-Kommentar [s.o.] beginnt die Filmkomödie Glorreiche Verlierer des argentinischen Regisseurs Sebastián Borensztein, in dem eine Gruppe von Verlierern des Raubtierkapitalismus gemeinsam versuchen will, ihre Lebenssituation zum Besseren zu wenden. Der ehemalige Fußballheld Fermín Perlassi (gespielt vom argentinischen Superstar Ricardo Darín) ist in die Jahre gekommen, betreibt eine Tankstelle und führt eine harmonische Ehe mit seiner liebevollen Frau. Es ist Anfang 2001 in Argentinien, und das Land hat schwerwiegende wirtschaftliche Probleme. Deswegen will Fermín mit einigen anderen eine Kooperative gründen. Er will einen stillgelegten Kornspeicher wieder aktivieren, damit die verarmten Bauern das Getreide speichern und gute Preise abwarten können. Der Besitzer ist einverstanden, und nun sammelt Fermín Geld, um den Plan in die Realität umsetzen zu können. Der alte Antonio macht mit: „Das ist genau der richtige Moment. Beschissener könnte es uns überhaupt nicht gehen“, glaubt er. Alle Interessenten kramen ihre wenigen Ersparnisse hervor. Die reichen bei Weitem nicht, doch sie haben Glück, dass sich die Unternehmerin Carmen Largio mit einem großen Betrag am Projekt beteiligt.
Fermín nimmt sich ein Bankschließfach für das Geld, wird aber durch Lug und Betrug dazu überredet, es auf sein Konto einzuzahlen. Am nächsten Tag geschieht ein Börsencrash, und das Geld ist weg. Wer glaubt, dass es schlimmer nicht kommen könne... Es geschieht auch noch ein Unglück. - Über ein Jahr später erwachen die „Idioten“ aus ihrer Starre. Sie haben erfahren, dass der betrügerischer Anwalt Manzi, der sie und viele andere um ihr Geld gebracht hat, einen hoch gesicherten Tresor mitten auf einem einsamen Stück Land errichtet hat. Die Gurkentruppe entwickelt einen riskanten Plan zur Wiederaneignung ihres Geldes, der die Benutzung von Dynamit einschließt und technisches Wissen und Begabung voraussetzt. Die „Idioten“ laufen zur Höchstform auf. Jeder von ihnen hat andere Fähigkeiten, und sie wachsen in der Gemeinschaft zu einem durchaus kompetenten Team zusammen.
Es sind keine smarten Supermänner, die den komplizierten Raub versuchen. Antonio ist schon sehr alt (gespielt vom 1940 geborenen „Urgestein“ Luis Brandoni) und muss einen uralten Schaufelbagger wieder in Gang bringen und fahren. Die Brüder Gomez sind nicht die hellsten Sterne am Firmament, aber sie haben Mobiltelefone. Es gibt einen Mechaniker in der Gruppe, und auch die jungen Männer Hernán und Rodrigo erweisen sich als nützlich. Auch die Unternehmerin Carmen unterstützt die Gang mit ihrem Geld und ihrer Entschlossenheit. Im Film heißt es: „Gewissen ist nur etwas für Idioten wie uns“, und sie haben tatsächlich eins. Wenn es klappt, wollen sie nur ihr eigenes Geld behalten. Das übrige soll an soziale Zwecke verteilt werden. Und so lautet die Definition am Ende: „Ein Idiot ist eine Person, die immer wieder aufsteht und niemals aufgibt.“
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Die Geschichte, die Personen und die Handlung sind alle bodenständig und glaubhaft. Das macht es um so erstaunlicher, was am Ende alles passiert. Es zeigt, dass auch die kleinen Leute etwas auf die Beine stellen können. Dabei mag auch mal etwas schief gehen, aber so ist halt das Leben. Glorreiche Verlierer bezieht seinen Humor aus den Situationen heraus, menschlichen Schwächen und manchmal unerwarteten Stärken. Der Witz ist nie diffamierend oder auf Kosten von anderen. Man lacht nicht über jemanden, sondern miteinander. In den tragischen Momenten brillieren Ricardo und Chino Darín, die im Leben wie im Film Vater und Sohn sind, und der Geschichte Tiefe verleihen. Borensztein ist ein politisch bewusster, sozialkritischer, witziger und sehr menschlicher Film gelungen. Die Welt der Relevanten zeigt er in den städtischen Aufnahmen, auf der Bank, im Büro des Anwalts, während die Ausgemusterten in einer ländlichen und verfallenen Gegend leben. Die Schlinge von Armut und Ausgrenzung zieht sich immer enger um sie zusammen, doch sie kämpfen um ihren Selbsterhalt und ihre Menschenwürde. Auf den ersten Blick mögen sie wie Verlierer wirken, aber sie sind glorreich, weil sie sich ihres eigenen Wertes und des Wertes ihrer MitstreiterInnen bewusst bleiben.
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Die Gurkentruppe um Anführer Fermín Perlassi (Richardo Darín) schleicht sich an, obwohl weit und breit kein Mensch zu sehen ist | © Koch Films
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Helga Fitzner - 21. Dezember 2020 ID 12664
Link zur DVD Glorreiche Verlierer
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