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Rezension


Filmstart: 12. Juli 2012

"90 Minuten - Das Berlin-Experiment" (D 2011)

Regie: Ivo Trajkov



Hetzjagd in Echtzeit - der Kinofilm 90 Minuten – Das Berlin-Experiment führt die Zuschauer ohne Unterbrechung quer durch die deutsche Hauptstadt

Ein junger Mann namens Sebastian (Blerim Destani), offensichtlich Schauspieler, wuselt während der festlichen Premiere des neuen Films, in dem er mitwirkt, auf den Treppen und im Foyer eines großen Kinopalastes herum. Sebastians große Nervosität scheint aber nichts mit dem Film zu tun zu haben. Er verdrückt sich schließlich auf die Toilette, nimmt dort heimlich eine Pistole an sich, hält noch einmal kurz inne und schleicht sich dann hinaus ins Berliner Großstadtgetümmel. Sebastian will einen Mann finden und dann töten: einen Sektenguru (kurze, aber wie immer überzeugende Auftritte: Udo Kier), den er für den Tod seiner Freundin (Nicolette Krebitz) verantwortlich hält. Die Filmpremiere ist sein Alibi: in 80 Minuten muss der Mord vollbracht und Sebastian wieder zurück sein.

Bei einer solch temporeichen, spannenden Story bedarf es eigentlich nur noch überzeugender Schauspieler und begabter Regie, damit halbwegs flotte Unterhaltung heraus kommt. Aber der Kinofilm 90 Minuten – Das Berlin-Experiment will nicht nur spannend unterhalten, sondern ist viel ambitionierter und raffinierter gestaltet als ein Durchschnittskrimi: Der mazedonische Regisseur Ivo Trajkov erzählt die Geschichte nämlich in Echtzeit, d. h. die 90 Minuten im Film entsprechen exakt den 90 Minuten, die der Film selbst dauert – noch dazu gedreht ohne einen (erkennbaren) Schnitt. Vom ersten Bild angefangen ist die ganze aufwändige Verfolgungsjagd quer durch die Hauptstadt eine einzige, lange Bewegung ohne Unterbrechung: Sebastian rennt – und die Zuschauer mit ihm. Genauer gesagt führt die Verfolgungsjagd zu Fuß, per Rad, U-Bahn und Schiff vom Bahnhof Zoo Richtung ICC über den Potsdamer Platz, den Hauptbahnhof, das Kreuzberger Schwimmbad Liquidrom bis hinauf auf die Dachterrasse des ehemaligen E-Werks in Berlin-Mitte. Doch bis es in schwindelnder Höhe vor Berliner Silhouette zur finalen Auseinandersetzung kommt, geht es im abenteuerlichen Zick-Zack durch Straßen, Parks, über Dächer und Brücken, durch Treppenhäuser, Flure und Keller wie die schummrigen Katakomben des Wasserwerks Friedrichshagen.




Blerim Destani - Foto (C) alpha medienkontor GmbH

Nicolette Krebitz und Blerim Destani - Foto (C) alpha medienkontor GmbH

Udo Kier - Foto (C) alpha medienkontor GmbH


Eine erstaunliche, herausragende Leistung des aus Bosnien stammenden Kameramanns Suki Medencevic, der nicht umsonst meistens in Hollywood tätig ist, dass diese ungewöhnliche Art des Berliner Sightseeings tatsächlich wie aus einem Guss aussieht. Sogar die Action und die zahlreichen Nebenfiguren sind elegant integriert. Selten hat ein Filmemacher die flirrende, kontrastreiche Atmosphäre Berlins in den letzten Jahren so originell abgebildet wie Ivo Trajkov. Fünf Tage hatte das Team Zeit, die über zwei Monate eingeübten, über Stock und Stein führenden Choreografien für die langen Szenen zu filmen. Wer bei 90 Minuten – Das Berlin-Experiment genau hinsieht, erkennt, dass es ähnlich wie bei Alfred Hitchcocks Rope – Cocktail für eine Leiche (1948) doch einige wenige Schnitte gegeben haben muss. Aber größere, die Topografie ignorierende Sprünge wie etwa bei Tom Tykwers Lola rennt gibt es nicht.

Der opulente Kostümfilm Russian Ark, den Alexander Sokurov 2000 in der St. Petersburger Eremitage gedreht hat, bleibt bislang der einzige 90 Minuten-Film, der tatsächlich gänzlich ohne Schnitt auskommt. Das damalige Unterfangen war minutiös geplant und wäre doch beinahe gescheitert. Ivo Trajkov und sein Team haben sich mehr Freiheiten gegönnt. Dennoch war der Dreh sicherlich ähnlich anstrengend wie bei Sokurov, denn wenn eine Szene nicht klappte, waren gleich 20-30 Minuten im Eimer. 90 Minuten – Das Berlin-Experiment ist, wie der Titel es sagt, ein Versuch, mit den Möglichkeiten des Films zu spielen. Dabei blieb die dramaturgische Überzeugungskraft des Kriminalfalls bisweilen auf der Strecke, aber sehenswert ist der Film allemal – und ein Platz in den Annalen ist ihm dank seiner originellen Machart, die höchstens noch eine Handvoll weiterer Produktionen der Filmgeschichte aufweist, ohnehin sicher.


Max-Peter Heyne - 13. Juli 2012
ID 6087

Weitere Infos siehe auch: http://www.90minuten.alpha-medienkontor.de


Post an Max-Peter Heyne



 

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