Was willst du,
Adam?
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Bewertung:
Ruhiger Film. Ruhig und beschaulich. Langsam erzählt, mit leisen Tönen, vielen stillen Momenten, schweigsamen Charakteren. Das gibt es also noch, und das ist auch gut so, denn Getöse gibt es ja genug im Kinoalltag. Dabei erzählt die Handlung – die es bei aller Ruhe durchaus gibt – von der Zeit des Untergangs der DDR, des sozialistischen Deutschlands im Sommer 1989. Ich erinnere mich gut daran: selbst in Westberlin vergingen die Tage damals so ruhig wie vormals. Doch wegen der Umbrüche im so genannten Ostblock ahnte man, dass durch den Renovierungsstau die Fassaden nicht lange mehr halten würden.
Dass der Kapitalismus untergeht, ist ein hartnäckiges Gerücht. Dass der Sozialismus untergehen würde, pfiff der RIAS von den Dächern. Und auch der SPIEGEL sprach vom 40. Jahrestag der DDR Anfang Oktober 1989 als einem „Trauerspiel“; der damalige Herausgeber Rudolf Augstein stellte angesichts der Reformen in der UdSSR fest, die DDR „lebte immer auch von geborgtem Licht“.
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Licht gibt es im "Wende-Film" Adam und Evelyn reichlich, obwohl er im verregneten Spätsommer 2017 gedreht wurde. Dass der ganze Regen den Weg in die Bilder nicht schaffte, ist eine imponierende Leistung. Dass die Drehbuchautoren Andreas Goldstein und Jakobine Motz ausgerechnet auf den Witz und die Ironie der Vorlage des renommierten Romanciers Ingo Schulze verzichtet haben, eher nicht. Gottlob haben sie den Plan "ernst sein ist alles" nicht zu hundert Prozent erfüllt. Aber viel fehlte nicht. Drei Schmunzelmomente gibt es: wie Evelyn (Anne Kanis) und der hergelaufene Westler (Christian Alexandrow) ungelenk in den Balaton stapfen, wenn der verunsicherte Ossi und der allzeit bereite Wessi über ihre Karriere sinnieren (Schneidermeister gegen Molekularbiologe!) und wenn ein netter, aber fantasieloser West-Beamter (großartig: Bernhard Schütz, der Helmut Schmidt aus Lebensfragen von 2013) das Interpretieren der Grautöne eines Lebens überfordert.
Dann auch Textauszüge von Schulze! Aber ansonsten wird über die großen Themen wie das Ende heißer Gefühle und das Ende des Kalten Krieges, und die Unsicherheiten, mit denen beides verbunden ist, mehr geschwiegen als gesprochen. Adam (Florian Teichtmeister) geizt ohnehin mit Erklärungen. Aber auch seine Evelyn, die kurzentschlossen einen lange geplanten Ungarnurlaub zum Wechsel in den Westen nutzt (Flucht wäre zu viel gesagt, dazu geht es zu leicht) und das leidlich hilfreiche Wessipaar sowie eine von Adam aufgelesene junge Frau (Laura Lauzemis) geben sich wortkarg.
Die Anspannung und die Unruhe in der politischen Großwetterlage jener Tage dimmen Drehbuch und Regie (Goldstein) unter das sinnvolle Maß herunter – in Form von eingestreuten Radionachrichten. Muss man den sattsam bekannten Kontext unbedingt zeigen? Ist es nicht viel origineller, die aufwallende Weltgeschichte in Bild und Dialog außen vor zu lassen und stattdessen die Versonnenheit und Melancholie des Abschieds von Gestern zu betonen?
Wohlwollend gesagt: Ich weiß sehr wohl, dass die Askese ein wohlüberlegtes Konzept ist, wohl mit dem Ziel, die Feinheiten und Akzente umso deutlicher werden zu lassen, dem Unauffälligen und der Ruhe Raum zu verschaffen. Sicherlich mühsamer, lassen sich sogar Weltkriege und der Untergang der Titanic anhand von überwiegend ruhigen Szenen schildern. Aber eine Geschichte, die auf Dramatik verzichtet, hat es schwer, über 90 Minuten Interesse an ihren Themen zu erzeugen. Eine, die auch auf große Entwicklungen bei den Stimmungen und Figuren verzichtet, hat es doppelt schwer. Und eine Geschichte, die auch noch Humor, Kontraste und Reibungen auf Sparflamme setzt, schafft dies kaum noch. Denn Kontraste zwischen den Szenen (etwa von Emotion zu Illustration) oder dem Davor und dem Danach, in dem sich die Figuren befinden, bräuchte es – auch dann, wenn der Weltkrieg irgendwo weit weg stattfindet und nicht ins Bild kommen soll.
Einzig denkbare Alternative ist ein strikt minimalistisches Kammerspiel wie Robert Bressons Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen (1956), dessen Reiz die Reizlosigkeit der Darstellung auf engstem Raum trotz dramatischer Ausgangssituation ist. Adam und Evelyn sind sich ja uneinig und unterwegs. Doch die Melancholie, die Unentschiedenheit und das Schweigen beherrschen das Ende wie den Anfang. Nicht eine, sondern alle Figuren sind und bleiben phlegmatisch. Die Ruhe ist nicht das Problem des Films, sondern die fehlende Unruhe. So bleibt insbesondere den Hauptdarstellern wenig Gelegenheit, ihr schauspielerisches Können zu entfalten. Und selbst die handwerklichen Potentiale bleiben in Ansätzen stecken: Zu Beginn gibt es noch Stilmittel wie das Verharren der Kamera, wenn die Figuren schon aus dem Bild sind. Aber bald schon häufen sich visuelle Lückenfüller: vorbeiziehende Landschaften, Blicke auf die (besonders stumme) Flora.
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So bleibt auch dieser Film zur Wende ein Versprechen ohne Erfüllung. Und der nach wie vor überzeugendste Film über das (nahende) Ende der DDR und die Missverständnisse zwischen West-Männern und Ost-Frauen bzw. vice versa bleibt ausgerechnet der schon 1989 gedrehte Fernsehfilm Karambolage von TV-Routinier Franz Peter Wirth (1919-1999) mit Iris Berben und der so schmerzlich vermissten Constance Engelbrecht. Wirths Beispiel zeigt, dass es nicht notwendigerweise viel historischen Abstand braucht, um die Evidenz eines Geschehnisses künstlerisch abzubilden.
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Florian Teichtmeister in Adam und Evelyn | (C) Neue Visionen Filmverleih
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Max-Peter Heyne - 9. Januar 2019 ID 11142
Weitere Infos siehe auch: http://oktoberfilm.de/adam-und-evelyn/
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