Schwanengesang auf die chinesische Unterwelt
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Bewertung:
Die Unterweltorganisation Jianghu gehörte zur alten chinesischen Kultur und war ein Netzwerk von Familien und örtlichen Clans. Ihr spirituelles Totem war General Guan Yu, der Loyalität und Gerechtigkeit symbolisierte und die Mitglieder zusammenhielt, die wiederum den Unterprivilegierten halfen und einen strengen Ehrenkodex beachteten. Nach der Machtübernahme der Kommunisten im Jahr 1949 verschwand Jianghu und erstarkte in veränderter Form in den 1980er Jahren wieder. Die eigenen Werte und Verhaltensregeln sind in etwa geblieben, aber die tiefe kulturelle Anbindung ging zum Teil verloren.
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Bin (Liao Fan) ist ein Gangsterboss in der Provinz Shanxi und mit der jungen Qiao (Zhao Tao) liiert. Die beiden sind ein stadtbekanntes Pärchen und leben in einer rauen Bergbaugegend mit kaltem Klima, einem Spiegel des sich öffnenden Chinas im Jahr 2001, in dem die Geschichte beginnt. Die Bergarbeiter sind von Massenentlassungen bedroht und fürchten um ihre Existenz, denn die maroden Minen können mit den globalen Standards nicht konkurrieren. In der Millionenstadt Datong gibt es Rivalitäten unter den Organisationen, und eines Tages wird Bin in einen Hinterhalt gelockt. Qioa kann sein Leben nur retten, indem sie mit einer Pistole in die Luft schießt. Da Waffenbesitz in China streng bestraft wird, wandert sie für fünf Jahre ins Gefängnis. Die Traditionen des Jianghu wirken, denn Qioa nimmt die Haftstrafe stumm auf sich ohne die Hintergründe zu verraten.
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Qiao (Zhao Tao) muss eine Waffe benutzen, um ihren Geliebten zu retten | © Neue Visionen Filmverleih GmbH
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Als sie nach fünf Jahren entlassen wird, lässt Bin sich nicht blicken und sie findet sich in einer Welt wieder, die sich in dieser relativ kurzen Zeit rasant verändert hat. Sie ist aber immer noch eine entschlossene Person und schafft es mit einem Trick Bin zu treffen. Sie will von ihm selber hören, dass er kein Interesse mehr an ihr hat und mit einer anderen Frau zusammen ist. Qioa ist aber von keinen Rachegedanken beseelt. Sie kehrt am Schluss in die Provinz Shanxi zurück und eröffnet dort eine Art Kantine, die zum Treffpunkt für die alte Gang wird.
In Asche ist reines Weiß geht es gemächlich zu. Der Regisseur Jia Zhang-Ke lässt sich über zwei Stunden Zeit, um den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel zwischen 2001 und 2018 zu illustrieren. Die früheren Unterweltbosse sind jetzt Unternehmer mit schicken Büros, und den Unterprivilegierten wird nicht mehr so geholfen wie früher. Sie sind auch in China die Verlierer der globalen Wirtschaft. In Qioas Haus treffen sich immer noch einige frühere Mitglieder der Organisation regelmäßig, doch es besteht kein so unverbrüchlicher Zusammenhalt wie einst. Wenn sich Qioa nach dem Ehrenkodex der Jianghu verhält, wird das nicht einmal mehr erkannt, schlimmer noch als Schwäche ausgelegt. Für Solidarität und Fürsorge ist kein Platz mehr in der modernen Zeit.
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Jia Zhang-Ke wurde in der Provinz Shanxi geboren und filmte 2001 dort schon mit seiner ersten Videokamera. Als er sich diese Bilder wieder einmal anschaute, erschrak er, weil sie das Ausmaß und die Geschwindigkeit der Veränderungen zeigten. Von diesen Aufnahmen wurden rund 10 Minuten verwendet als Milieustudie, die Menschen an allen möglichen Orten zeigen, sei es in Bussen, Saunas oder Karaokebars. So gelang ihm ein authentisches Bild der Zeit. Der zweite Teil von Asche ist reines Weiß spielt am Drei-Schluchten-Staudamm, wo Zhang-Ke früher auch schon gedreht hatte und nun historisches Filmmaterial aus der Zeit der riesigen Umsiedelungsaktion und vor der Flutung der Schluchten verwenden konnte, als Zeichen für die Vergänglichkeit und die Unwiederbringlichkeit der alten Zeiten und Werte, denn der Staudamm ist längst in Betrieb.
Zhang-Ke, der auch das Drehbuch schrieb, entfaltet sein Drama um Liebe, Betrug, Verlust und den Zusammenbruch der bisher bekannten Welt in China sehr emotionsgeladen. Er ist den Menschen sehr zugewandt, auch wenn eine gesellschaftskritische Haltung mitschwingt. Mit Qiao hat er eine Heldin geschaffen, die trotz der ungerechten und undankbaren Behandlung durch Bin, wie auch der schwierigen Situation von Frauen in einer patriacharlischen und nun auch noch turbo-kapitalistischen Gesellschaft, ihren Weg geht und lernt sich dabei treu zu bleiben.
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Helga Fitzner - 28. Februar 2019 ID 11252
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