Sissi im
Korsett
|
|
Bewertung:
Heute kommt Corsage (Buch und Regie: Marie Kreutzer) in die deutschen Kinos, und es handelt sich hierbei um einen Sissi-Film mit ernstnehmbarem künstlerischen Anspruch - also keinesfalls so eine mozartkuglige Kopie, die lediglich auf den zurückliegenden Sissi-Schrott (besonders dem in der Beliebtheitsskala nicht nur österreichischer sondern auch deutscher Sissi-Fans nicht totzukriegenden Kino-Dreiteiler aus den Jahren 1955 bis 1957) aufzusatteln sich erdreisten würde, dass der Sissi-Rubel auch schön weiter rollt. Erinnert sei in dem Zusammenhang daran, dass Romy Schneider, die an ihren halbwüchsigen Sissi's Jahre später furchtbar litt, weil sie mit jener Sissi-Göre fast ein Lebenlang von ihrem Sissi-Publikum "verwechselt" worden war, eine für sie rechtzeitig noch vor ihrem Quasi-Suizid erlösende Metamorphose der Elisabeth von Österreich vom alternden Visconti angeboten kriegte, wo sie als etwas gealtertere Sissi in dem Film Ludwig II. (an der Seite Helmut Bergers) triumphal bestach und sich höchstselbst, als Sissi, nachgerade korrigieren konnte.
Sissi scheint ja nach wie vor - nicht nur aus der weltweiten Touri-Perspektive - ein genauso starker Inbegriff mit Österreich zu sein wie Sachertorte, Prater oder Hofreitschule. So gesehen war es schon ein Wagnis, dass sich ausgerechnet eine Österreicherin mit ihr filmkünstlerisch jetzt auseinandersetzte; die fast zweistündige aufwändige Produktion entstand im letzten Jahr; Luxemburg, Deutschland, Frankreich waren, was die Drehorte (und auch das Produktionsgeld) anging, mitbeteiligt.
"Weihnachten, im Jahr 1877: Elisabeth ('Sisi'), Kaiserin von Österreich, begeht ihren 40. Geburtstag. Damit hat sie die durchschnittliche Lebenserwartung im späten 19. Jahrhundert erreicht und gilt offiziell als eine 'alte Frau'. Elisabeth hat ausschließlich repräsentative Pflichten und fühlt sich vom höfischen Ritual stark eingeengt. Sie gilt gleichermaßen als angehimmelte wie kritisch beäugte Modeikone und hat ihr Bild als elegante, schöne und anmutige Frau mit dem rosigen Teint des bayrischen Mädels kultiviert. Ihr ist bewusst, dass ihre Zeit bald abläuft. Mit vierzig Jahren wird sie bald kein Schönheitssymbol mehr sein können. Elisabeth ist verunsichert darüber, was sie noch wert ist, wenn sie ihrem eigenen Abbild nicht mehr gerecht wird und ihr nur noch Respekt zuteilwird. Sie verlässt unruhig Wien und reist nach England und Ungarn, um ihrer aufregenden Jugendzeit nachzueifern. Während ihrer Reise besucht Elisabeth ehemalige Liebhaber und politische Verbündete. Sie entwickelt dabei einen Plan, um ihr Vermächtnis zu schützen." (Quelle: Wikipedia)
*
Die sensationelle Vicky Krieps ist die besagte Sissi in dem Marie-Kreutzer-Film. Ja und man sieht und man "erlebt" sie als hochfortschrittlich, d.h. sie raucht, sie onaniert unter der Bettdecke bzw. in der Badewanne, und sie hängt (am Schluss des Filmes) an der Heroinspritze. Das Allerbeste an ihr sind jedoch ihr Blick und ihre Körpergesten, also immer dann, sobald sie nichts oder so gut wie nichts sagt; aber auch, wenn sie schon mal was sagt, ist es die Art und Weise, wie sie's wiederum dann sagt, die ganz besonders auffällt. Und da fallen unter anderem so Sätze wie "du Arschloch" (zu einem ihrer Bediensteten) oder "irgend so ein Tratschweib hat meinen Sohn aufgehetzt" und "mit ihrer hässlichen Visage mir den Tag ruinierte" (zu einer ihrer Hofdamen) etc. pp.
Die Gesamtattitüde dieses Films ist also ziemlich heutig; und die Sängerin Camille singt immer wieder "Go, go, go, go..." und zementiert gleichsam das Feministisch-Fortschrittliche, das die Filmerin dann ihrer Hauptfigur, die sich dann, nicht nur nebenbei, beinahe ganzfilmig in ein Korsett hineinzwängt resp. -zwängen lässt und das dann trotzdem immer wieder überlebt (daher wohl auch der Filmtitel Corsage), zugestand.
Die Filmhandlung endet auf einer hochmodernen Adria-Fähre, von deren Bugspitze sich Sissi - 20 Jahre vor ihrer Ermordung auf dem Quai Mont Blanc am Genfer See - ins Meer stürzt; und in dieser Schlussszene vermochte man evtl. so eine Art von Wachtraumzustand der im Jahre 1878 seelisch stark Lädierten zu erkennen.
Von Krieps' kongenialer Kollegenschaft seien an dieser Stelle Florian Teichtmeister (als Sissis Gatte Kaiser Franz Joseph), Aaro Friesz (als Sissis Sohn Kronprinz Rudolf), Manuel Rubey (als Sissis Cousin Ludwig II.) oder Katharina Lorenz, Jeanne Werner und Alma Hasun (als Sissis Hofdamen) sowie der blendend gut aussehende Colin Morgan (als Sissis Reitlehrer und Geliebter Bay Middleton) erwähnt.
Sehr eigenwilliges und unsentimentales Sissi-Abbild.
Durchaus sehens- als wie hörenswert.
|
Vicky Krieps als 40jährige Sissi in dem Film Corsage | (C) 2022 Alamodefilm
|
Andre Sokolowski - 7. Juli 2022 ID 13702
Weitere Infos siehe auch: https://mk2films.com/en/film/corsage/
https://www.andre-sokolowski.de
Neues deutsches Kino
Spielfilme, international
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Rothschilds Kolumnen
BERLINALE
DOKUMENTARFILME
DVD
EUROPÄISCHES JUDENTUM IM FILM Reihe von Helga Fitzner
FERNSEHFILME
HEIMKINO
INTERVIEWS
NEUES DEUTSCHES KINO
SPIELFILME
TATORT IM ERSTEN Gesehen von Bobby King
UNSERE NEUE GESCHICHTE
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|