Lechts und
Rinks
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Bewertung:
Der hagere Fabrice Luchini zählt zu meinen liebsten Lieblingsschauspielern aus Frankreich, von denen es einige gibt. Kein anderer lebender französischer Kollege kann so unterhaltsam den egozentrischen Zyniker oder zurückgezogenen Sonderling geben, dem andere Menschen per se suspekt sind. Insofern ist er für die Rolle des vermeintlich kaltherzigen, rücksichtslosen Werbefachmanns Alain Wapler prädestiniert und erledigt die Aufgabe mit Bravour. Dass dies der Tragikomödie von Regisseur Hervé Mimran nur bedingt hilft, liegt an dem zuweilen unentschiedenem Drehbuch, dass zwar mit warmherzigem Humor durchwirkt ist, aber dessen Autoren (Mimran und Hélène Fillières) vor den tiefenpsychologischen und seriösen Aspekten ihrer Geschichte bisweilen zurückschrecken.
Das zweite Leben des M. Alain Wapler beginnt, als der nach einem Schlaganfall nur dank der Geistesgegenwart seines Chauffeurs dem Tod von der Schippe gesprungen ist. Wapler ist ein unter Dauerstrom stehender Managertyp, der den Stress als Adrenalinkick benötigt wie Süchtige den Stoff. Seine Umgebung,egal ob im Automobilkonzern oder in der Familie, bekommt von ihm nur das Nötigste an Kommunikation und Beachtung – Aufmerksamkeit wäre zu viel gesagt –, damit die Dinge so flutschen, wie er sich das ausgedacht hat. Solchermaßen umstritten, ist er aufgrund seines leidenschaftlichen Engagements für die Sache (die Entwicklung fortschrittlich designter Automobile) doch ein begehrter Fachmann und Medienstar innerhalb der Branche. Umso härter trifft ihn der durch den Schlaganfall verursachte, teilweise Verlust der Sprachfähigkeit, der Motorik und des Orientierungssinns.
Dass Wapler Glück gehabt hat, weil er in der Lage ist, die verloren gegangenen Fähigkeiten wieder zu erlernen und zu regenerieren, erkennt er nicht. Denn der umtriebige Turbo-Manager ist es gewohnt, dass sein Körper und seine Kollegen ihm gehorchen, dass er mit Eloquenz und Entschlossenheit zu überzeugen, wenn nicht zu überrumpeln vermag. Die größte Hürde für Waplers Logopädin (streng, aber geduldig: Leïla Bekhti) ist also, den Sturkopf überhaupt dazu zu bringen, den Ernst der Lage einzusehen und für die Behandlung im eigenen Interesse die nötige Muße aufzubringen. Dass der Film nach dem dramatischen Auftakt dann schnell, allzu schnell in einen recht harmlosen Tonfall gerät, liegt ausdrücklich nicht an den vielen guten Pointen, die aus Waplers sprachlichen Verdrehungen und Verhedderungen entstehen. Sie wirken auch nicht deplatziert oder despektierlich, versinnbildlichen sie doch den Widerspruch zwischen der Selbstwahrnehmung des Protagonisten und seinem tatsächlichen Zustand.
Nein, vielmehr mangelt es den Schilderungen von Waplers Rekonvaleszenz an Dramatik und Tiefe, wenn man bedenkt, dass hier ein Mann – wenn auch nur vorübergehend – einen großen Teil jener charakteristischen Merkmale verloren hat, die in als Individuum auszeichnen. Nur selten wird die in Fachkreisen Aphasie genannte Störung in angemessener Tragik illustriert, z.B. wenn Alain Wapler, der einstige Star in Pariser Managerkreisen, einem Arbeitsvermittler statt seines Lebenslaufes eine Suada assoziativer Satzfetzen herunterrattert – und dieser das Problem aufgrund seiner Erfahrungen im Familienkreis dennoch gut einordnen kann. Auch der Spannungsborgen, der sich ergibt, weil Wapler den Ehrgeiz hat, eine Ansprache auf einer bevorstehenden Automesse zu halten, ist wirkungsvoll.
Doch in den meisten Szenen geht es im flotten, leichten Feelgood-Komödienstil voran, der keinen wirklichen Zweifel und keine wirkliche Angst am Schicksal der Hauptperson aufkommen lässt. Auch die dramatische Entwicklung im letzten Teil des Films, als Wapler den so nötigen Rückhalt seiner von ihm zeitlebens vernachlässigten Tochter (Rebecca Marder) wieder zu verlieren droht, kann nicht vergessen machen, wie viel authentischer und gefühlsintensiver Filme wie Schmetterling und Taucherglocke (2007) und vor allem die sehr ähnliche gelagerte, ebenfalls französische Tragikomödie Lieber leben (2016) wirkten.
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Das zweite Leben des Monsieur Alain | (C) Filmwelt Verleihagentur
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Max-Peter Heyne - 22. August 2019 ID 11632
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