Ein schmaler
Grat
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Bewertung:
Der Fall Richard Jewell basiert auf der wahren Geschichte eines Anschlags im Centenniel Park in Atlanta, wo 1996 die Olympischen Spiele stattfanden. Der mittlerweile 90jährige Clint Eastwood konzentriert sich in seiner Regie auf die Person des naiven Richard Jewell (Paul Walter Hauser), der als Wachmann einen Rucksack mit einer Bombe entdeckt und Alarm schlägt, wodurch wenigstens mit der Evakuierung begonnen werden kann. Trotzdem kostet der Anschlag zwei Menschenleben und hinterlässt 111 Verletzte. Die Medien stilisieren Jewell zu einem Helden, doch die ehrgeizige Journalistin Kathy Scruggs (Olivia Wilde) findet heraus, dass der Wachmann vom Profil her zu den Leuten gehören könnte, die solche Taten selber verüben, um sich als Retter inszenieren zu können. Auch das FBI hält Jewell nun für den Täter und nach drei Tagen Heldentum folgt eine dreimonatige mediale und polizeiliche Kampagne gegen ihn.
So ganz von der Hand zu weisen ist der Verdacht nicht, denn auf den ersten Blick ist Jewell ein Nobody und Unglücksrabe. Er ist geistig unbeweglich, aufgrund seines starken Übergewichts nicht der Fitteste und doch von dem Traum beseelt, als Polizist für Recht und Ordnung zu sorgen. Das klappte aber wegen seiner fehlenden Voraussetzungen bislang nicht, und so versucht er als Wachmann über die Runden zu kommen. Einen dieser Jobs verlor er, weil er in einem College übertrieben und übergriffig für Ordnung sorgte und seine Kompetenzen überschritt. Sein Anwalt Watson Bryant (Sam Rockwell) ging eine Art Wette mit ihm ein: Viele Menschen können mit der Verleihung von Macht nicht gut umgehen und neigen dazu, sie zu missbrauchen. Jewell soll sich in Zukunft davor hüten, und er verspricht das auch.
Schaut man sich Jewells tristes und unbedeutend erscheinendes Leben an, kann man sich sehr gut vorstellen, dass er dabei nachhelfen könnte, sich Bedeutung zu verleihen. Doch Eastwood bringt ihn uns so überzeugend näher, dass wir zunehmend Empathie für ihn empfinden. Zu Beginn bekämpft er seine Frustrationen durch übermäßiges Essen, und er lernt erst in einem längeren und schmerzhaften Prozess, für sich einzustehen. Da weder die Presse noch das FBI Beweise gegen ihn vorbringen können und er sich mithilfe seines Anwalts auch nicht durch Tricks ins Bockshorn jagen lässt, wird die Anklage gegen ihn schließlich fallen gelassen. Jewell ist eine zutiefst ehrliche Haut und ein grundgütiger Mensch, was ihn aber auch immer wieder als Opfer prädestiniert. Erst Jahre später wird der wahre Attentäter Eric Rudolph gestellt.
Eastwood schildert den Umgang mit Macht anhand einer Privatperson, einer Medienvertreterin und eines Repräsentanten der staatlichen Ordnung, dem FBI-Agenten Tom Shaw (Jon Hamm). Der Grat zwischen dem Gebrauch und dem Missbrauch von Macht ist ein sehr schmaler. Jewell hatte sie als Wachmann vorher schon mal ausgenutzt und macht nun die Erfahrung, wenn man am empfangenden Ende des Missbrauchs steht. Er lernt dadurch, stärker für sich selber einzustehen, was ihm sehr schwer fällt. Aber seine Mutter (Kathy Bates) und sein Anwalt halten unverbrüchlich zu ihm, was am Ende dazu führt, dass er sich gegen die Beschuldigungen des FBI durchsetzt. Trotzdem glaubt er naiv und unerschütterlich an das System und an Recht und Ordnung, obwohl es ihm derart übel mitspielt.
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Die Reaktionen in den USA auf den Film waren bemerkenswert. Es hat keiner Anstoß daran genommen, dass Eastwood den Polizeiapparat und das FBI kritisiert, die sich ohne Beweise monatelang an Jewell festgebissen hatten, aber es gab massiven Protest an der Medienkritik im Film. (Die ist derzeit gar nicht en vogue). Wegen Eastwoods Interpretation der „durchsetzungsfähigen“ Journalistin Kathy Scruggs sahen heutige MedienvertreterInnen sich genötigt, sie zu verteidigen. Eastwood soll auf den Shitstorm mit der Gelassenheit seines Alters reagiert haben. Doch es ist verbürgt, dass die Medien eine Hetzjagd auf Jewell veranstaltet haben. Beide, Jewell und Scruggs, sind einen frühzeitigen Tod gestorben, woran die Ereignisse und deren Verlauf durchaus einen Anteil gehabt haben können.
Clint Eastwood (Hereafter, 2011, The Mule, 2019) und Paul Walter Hauser schaffen es, Jewell schnörkellos und empathisch zugleich darzustellen, auch als Muttersöhnchen, ohne ihn dabei lächerlich wirken zu lassen, und am Ende ist wohl selbst der kritischste Zuschauer für ihn eingenommen. Kathy Bates als seine Mutter ist wie immer grandios, und Sam Rockwell (Three Billboards Outside Ebbing, 2018; Jojo Rabbit, 2020) rockt das Ganze mal wieder.
Was Clint Eastwood angeht, ist wohl eine gehörige Portion Altersweisheit mit im Spiel.
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Anwalt Watson Bryant (Sam Rockwell) hat seine liebe Not mit seinem naiven Klienten Richard Jewell (Paul Walter Hauser) | © Warner Bros. Germany
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Helga Fitzner - 25. Juni 2020 ID 12319
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