Außergewöhnliches
Spielfilmdebüt
|
|
Bewertung:
Robert Gwisdek ist vor allem als Schauspieler (Sterben; 3 Tage in Quiberon) bekannt. Unter dem Künstlernamen Käptn Peng betreibt er mit seinem Halbbruder Johannes Gwisdek auch die Alternative-Hip-Hop-Band "Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi". Außerdem ist er Autor des Romans Der unsichtbare Apfel und des Kinderbuchs Der Habicht und der Hahn. Nach einigen Kurzfilmen und Musikvideos (u.a. für die Band Rammstein) hat Robert Gwisdek mit Der Junge dem die Welt gehört sein Spielfilmdebut vorgelegt. Der Film feierte seine Premiere bei den Hofer Filmtagen 2023, wo Gwisdek den Hofer Kritiker-Preis für die Beste Regie erhielt.
Gwisdek hat seinen Film ganz ohne staatliche Förderung in einer Villa in Palermo während der Corona-Pandemie gedreht. Die kleine Filmcrew lebte und arbeitete hier die ganze Zeit eng zusammen. Das alte Haus wird somit zum atmosphärischen Mitspieler in dem komplett in Schwarz-Weiß gedrehten Spielfilm. Hauptfigur ist der Musiker Basilio (gespielt vom Schweizer Singer-Songwriter Faber, bürgerlich Julian Pollina, Sohn des italienischen Sängers Pippo Pollina). Gwisdek, der selbst aus einer Künstlerfamilie stammt, hat mit der Figur des Basilio auch so etwas wie ein Alter Ego geschaffen. Ein mit sich ringender Künstler, der am Klavier in der alten Villa immer wieder nach Ausdruck ringt, aber ein ums andere Mal scheitert. Ansonsten scheint Basilio ein recht lebensfroher, fantasiebegabter Mensch zu sein. Ein wenig verträumt vielleicht, aber nicht unsympathisch.
An seiner Seite erscheint öfter der ziemlich verrückt erscheinende Kasimir, in einem alten einteiligen Unterwäsche-Body gekleidet. Wie ein Mentor treibt er Basilio immer wieder an, die wahre Poesie zu finden. Als Darsteller des quirligen, stets schreiend und gestikulierend herumrennenden Kasimir hat Gwisdek den französischen Schauspieler Denis Lavant gefunden. Lavant ist u.a. aus Filmen wie Die Liebenden von Pont-Neuf und Holy Motors von Regisseur Leos Carax bekannt. Er passt in seiner Eigenart sehr gut in Gwisdeks außergewöhnlichen Filmplot, der durchaus eine gewisse Nähe zu Filmen von Carax oder etwa auch Jean-Pierre Jeunet (Delikatessen; Die fabelhafte Welt der Amelie) aufweist, die alle ein bestimmter Hang zur Skurrilität auszeichnet. In Deutschland sieht man so etwas höchstens noch in Filmen von Veit Helmer (Tuvalu; Absurdistan) oder Aron Lehmann (Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel; Was man von hier aus sehen kann). Eine Abkehr vom fast schon kanonischen Realismus hin zu einer fantastischen, poetischeren Filmsprache. Was natürlich auch immer ein gewisses Risiko zum Kitsch in sich birgt.
Das zumindest vermag Robert Gwisdek hier halbwegs glücklich zu umschiffen. Seinem Protagonist mit dem recht bald als inneren Dämon ersichtlichen Antreiber Kasimir stellt der Autor und Regisseur die nicht minder rätselhafte Karla (Chiara Höflich in ihrem vielversprechenden Schauspieldebut) an die Seite. Ihr Kennenlernen spielt sich als absurder Handel um den Preis einer Flasche Wasser im Laden des mit Basilio befreundeten Verkäufers Ricardo (Paolo Mannina) ab. Die in Italienisch geführten Dispute um den Wert von Geld des in den Tag hineinlebenden Basilio mit Ricardo gehören zu den humorigsten des Films. In Karla sieht Basilio offensichtlich das, was ihm bisher als poetische Inspiration gefehlt hat. Wobei die Annäherung und Verbindung der beiden nicht nach dem alten Muster Künstler und Muse erfolgt, sondern beiderseits nicht ganz ohne Konflikt abläuft. Vorm Notar (in einer Nebenrolle der ehemalige sizilianische Kommunalpolitiker, Europa-Abgeordnete und Mafia-Bekämpfer Leoluca Orlando) ist schnell ein sogenannter Ehevertrag geschlossen.
Dass der titelgebende Junge seine Welt plötzlich teilen muss, was ihm zunächst nicht schwer fällt, bringt allerdings die für den jeweils anderen nicht sichtbare Welt durcheinander. Heißt, dass auch Klaras Persönlichkeit in mehrere innere Stimmen aufgeteilt ist. Als rätselhaft im Lehnsessel stickende Edna kommt noch Gwisdeks Mutter, die Schauspielerin Corinna Harfouch, hinzu. Ihre Stimme ist auch als Erzählerin zu hören. Fast albtraumhaft metaphorisch reit Gwisdek hier eine symbolbeladene Szene an die andere, deren Bedeutung sich nicht immer sofort erschließen lassen. Das macht den Film, zu dem Janos Mijnssen und die Schweizer Pop-Musikerin Sophie Hunger einen atmosphärisch passenden Soundtrack beigesteuert haben, nicht weniger interessant. Wenn man sich darauf einlässt.
Der von Gwisdek und seiner Frau Marie Höflich selbst produzierte Film kommt im Eigenverleih am 2. Mai in einige wenige deutsche Kinos. Und auch das neue Spielfilmprojekt von Robert Gwisdek ist bereits abgedreht. In Ein Film über den Tod (so der Arbeitstitel) wird neben Corinna Harfouch und Gwisdek selbst auch der Schweizer Musiker und Produzent Bonaparte sowie der Schauspieler Christian Friedel (Das weiße Band; Babylon Berlin; The Zone of Interest) zu sehen sein.
|
Der Junge dem die Welt gehört | (C) Kreisfilm GbR
|
Stefan Bock - 2. Mai 2024 ID 14726
Weitere Infos siehe auch: https://www.kreisfilm.com
Post an Stefan Bock
Dokumentarfilme
Fernsehfilme
Spielfilme, international
Neues deutsches Kino
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Rothschilds Kolumnen
BERLINALE
DOKUMENTARFILME
DVD
EUROPÄISCHES JUDENTUM IM FILM Reihe von Helga Fitzner
FERNSEHFILME
HEIMKINO
INTERVIEWS
NEUES DEUTSCHES KINO
SPIELFILME
TATORT IM ERSTEN Gesehen von Bobby King
UNSERE NEUE GESCHICHTE
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|