UNSERE NEUE GESCHICHTE (36)
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Das alte
Lied vom
Gold
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Bewertung:
Erdene (Yalalt Namsrai) gilt als Anführer in seiner Gemeinschaft und hat eine dringende Sitzung der Nachbarn in seine Jurte, dem abbaubaren Zelt der Mongolen, einberufen. Es geht darum, einen Widerstand gegen internationale Bergbauunternehmen zu organisieren, die den Lebensraum der traditionell lebenden Nomaden zerstören wollen. Es ist bedrohlich. Auf die in der Steppe ansässigen Menschen wird Druck ausgeübt, weil man auf deren Land Gold abbauen will. Die Nachbarn stimmen ihm zu. Es bestehen Zweifel daran, ob den verlockenden Versprechungen der Unternehmer zu trauen ist und ob das dann durch den Bergbau nachhaltig zerstörte Land jemals renaturiert werden würde. Erdenes Frau Zaya (Enerel Tumen) beobachtet die Gruppe genau. Ihr dämmert zuerst, dass die Nachbarn längst ihr Land verkauft haben, und für ihren Mann bricht eine Welt zusammen - und damit auch der Widerstand.
Das Ehepaar lebt mit dem zwölfjährigen Sohn Amra (Bat-Ireedui Batmunkh) und der kleinen Altaa (Algirchamin Baatarsuren) wie ihre Vorfahren. Sie halten Ziegen, aus deren Milch Zaya Käse herstellt, den Erdene in der Stadt verkauft, wo er zusätzlich die Familie mit Reparaturen von Autos und Generatoren über Wasser hält. Mit seinem Sohn betet er regelmäßig an einem heiligen Baum. Die Nomaden verstehen sich als Teil der Schöpfung und gehen entsprechend wertschätzend mit ihr um. Die Minenbetreiber werden ihnen im wahrsten Sinne des Wortes den Boden unter den Füssen wegziehen, denn der Abbau erfolgt im Tagebau mit giftigen Chemikalien und trocknet die natürlichen Wasserquellen aus. Die Steppe, das natürliche Habitat der mongolischen Nomaden, wird ihnen genommen. Zaya geht davon aus, dass sie auf jeden Fall ihr Land verlieren, und auch sie will lieber das versprochene Geld nehmen, solange das Angebot steht und sie nicht ohne Entschädigung vertrieben werden. Gegen die Allmacht der Minenbetreiber haben sie keine Chance. Wie und wo sie weiterhin im Einklang mit der Natur leben könnten, ist unklar. Die mongolischen Nomaden ziehen zwar zu jeder Jahreszeit an einen anderen Ort, aber sie kehren immer zu den selben vier Plätzen zurück. Sie sind also halbwegs sesshaft.
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Die Regisseurin und Drehbuchautorin Byambasuren Davaa wurde 1971 in der Mongolei geboren, studierte aber auch in Deutschland, an der Hochschule für Film und Fernsehen in München. Sie kehrte vor ein paar Jahren für ein anderes Projekt in die Mongolei zurück und war entsetzt, wie weit die Vereinnahmung des rohstoffreichen Landes schon fortgeschritten war und entwarf das Drehbuch zu diesem Spielfilm auf dokumentarischer Grundlage. Die Adern der Welt ist ihr vierter Film, in dem sie die Lebensweise und die schamanischen Rituale der Nomaden illustriert. Mit ihrem ersten internationalen Erfolgsfilm Die Geschichte vom weinenden Kamell rührte sie 2003 ein Weltpublikum.
„Mein Blick von außen auf meine Heimat soll die Menschen in der Mongolei wachrütteln, dass sie ihr Land nicht der Verwüstung preisgeben. Ich wünsche mir, dass in der Mongolei das Bewusstsein wächst, dass wir mehr sind als ein billiger Rohstofflieferant. Die Mongolei kann der Welt in der heutigen ökologischen Krise Wissen und Achtsamkeit gegenüber der Natur vermitteln“, wünscht sie sich.
Die geschilderte achtsame und liebevolle Familie stellt sich dem Fortschritt auch nicht in den Weg. Amra besucht die Schule in der nächstgelegenen Stadt, spielt mit dem Handy und integriert derartige Errungenschaften in sein Leben. Eines Tages kommen Talent-Scouts in seine Schule und suchen Kinder für die Fernsehshow „Mongolia's Got Talent“. Amra kann gut singen und will daran teilnehmen, aber sein Vater zögert, das Schreiben mit der Einwilligung zu unterschreiben. Amras gewähltes Lied basiert auf der Lebensweisheit: „Wenn die letzte Ader Gold aus der Erde gezogen ist, wird diese zu Staub zerfallen.“ Eigentlich wäre es doch ganz gut, wenn Amra die Mongolen in einer Fernsehsenung mit hoher Einschaltquote an ihre Ursprünge und die Gefahren für ihr Land erinnern könnte. Doch es geschieht ein Unglück, das die Lebenssituation der Familie drastisch verändert.
Die weibliche Sicht der Regisseurin wird von dem libanesischen Kameramann Talal Khoury in Bildern eingefangen, die zwischen poetischer Schönheit der Natur und der Wucht der grausamen Zerstörungen derselben durch die Riesenbagger liegen. (Wir alle kennen wohl die Bilder vom rheinischen Tagebau am Hambacher Wald. So ähnlich sieht das großflächig in der Mongolei aus). Da in der mongolischen Erde noch Rohstoffe von unschätzbarem Wert liegen, ist ein Ende der Machenschaften nicht in Sicht. Der Bergbau ist auch als Arbeitgeber und Wirtschaftsfaktor von Bedeutung. In Form eines Spielfilms durch die Augen eines zwölfjährigen Jungen gesehen, ist es Davaa gelungen, eindrücklich und feinfühlig auf die Auswirkungen und Nöte aufmerksam zu machen, die durch den Raubbau verursacht werden. Und wenn am Schluss der junge Amra seinen Beitrag leistet, dann geht das richtig zu Herzen. Ein Knabe steht für den Erhalt seiner Kultur ein, die von der Natur untrennbar ist, und damit für seine eigene Zukunftsfähigkeit. Die Mongolei steht dabei stellvertretend für die ganze Erde.
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Der zwölfjährige Amra (Bat-Ireedui Batmunkh) hilft seiner Mutter Zaya (Enerel Tumen) | © Pandora Film
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Helga Fitzner - 29. Juli 2021 ID 13054
Weitere Infos siehe auch: https://www.die-adern-der-welt.de/
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