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Südkoreanisches Kino

Schlaflos

in Südkorea



Bewertung:    



Seit rund 20 Jahren kommen einige der ungewöhnlichsten und hochwertigsten Filme aus Südkorea. Für das westliche Publikum sind die ostasiatischen Drehorte, das Ambiente sowie die für uns oft unverbrauchten Gesichter und Geschichten eine willkommene Abwechslung. Internationale Filmjurys bestehen überwiegend aus Filmemachern, und so wundert es nicht, dass südkoreanische Produktionen gerne ausgezeichnet werden, denn sie verwenden eine elaborierte Filmsprache und nehmen sich künstlerische Freiheiten, während z.B. viele deutsche Filmschaffende den Ansprüchen von einem halben Dutzend Filmförderungsanstalten gerecht werden müssen. Die südkoreanischen Produktionen waren Anfang des Millenniums vielfach extrem gewalttätig, was aber etwas nachgelassen hat, obwohl es immer noch zu sehr expliziten Brutalitäten kommt.

Einer der angesehensten Regisseure und Drehbuchautoren ist der vielfach preisgekrönte Park Chan-wook, (Die Taschendiebin, 2016), der im Jahr 2022 zum dritten Mal in Cannes ausgezeichnet wurde. Jetzt kommt die mit dem Regie-Preis gewürdigte Produktion Die Frau im Nebel auch in die deutschen Kinos, und uns erwartet ein Film, der sich oft erst hinterher im Rückschluss verstehen lässt, was aufmerksame Zuschauer erfordert. Diese werden aber mit einem fulminanten Genre-Mix aus Thriller, Film noir, Melodram und Kriminalfall belohnt sowie einer einzigartigen Liebesgeschichte, die unter die Haut geht. Die meisten Einzelteile sind nicht neu, aber die Zusammensetzung und das sich am Schluss zusammenfügende Gesamtbild sind entscheidend. Die beiden Hauptdarsteller sind so bezaubernd und gewinnend, dass sie einem das Herz stehlen, obwohl es sich bei der Rolle der Seo-rae um eine Femme Fatale und Mörderin handelt, die der Regisseur der chinesischen Schauspielerin Tang Wei auf den Leib schrieb. Das gilt auch für den südkoreanischen Mimen Park Hae-il, der als genialer, aber schlafloser Kommissar Jang Hae-joon brilliert, und anstatt den Mordfall zu lösen zunehmend der Hauptverdächtigen verfällt.

Der Filmemacher Park Chan-wook versteht es meisterhaft, das Publikum in einen Sog zu ziehen, enthält ihm manchmal Informationen vor, ohne es aber in die Irre zu führen. Der an einem exorbitanten Schlafdefizit und der Liebeskrankheit leidende Kommissar nimmt seine Umwelt oft rauschhaft wahr und wird mit ungewöhnlichen Kameraperspektiven eingefangen. In einer Bilderflut vermischen sich die Wirklichkeit und seine Vorstellungen. Die fragmentierten Bilder setzen sich im Nachhinein wie ein Puzzle zusammen, das aber immer beunruhigender wird, je mehr man erkennen kann. Der Regisseur traut sich eine sehr widersprüchliche Femme Fatale zu kreieren, die eine engagierte und fürsorgliche Altenpflegerin ist und bei ihrer Arbeit Kittelschürze trägt. Als Chinesin spricht sie nur gebrochenes Koreanisch, kann sich also verbal nur eingeschränkt mitteilen. Die Beziehung der beiden ist fast keusch, was auch sehr gewagt ist, aber auch ohne leidenschaftliche Sexszenen funktioniert, weil die beiden sehr sinnlich sind. Sie gehen sehr empathisch und liebevoll miteinander um.

Doch je öfter Jang seine Dienstpflichten verletzt, sich privat mit Seo-rea trifft oder Ausflüge mit ihr macht, desto alarmierter rutscht man als Zuschauer auf seinem Sitz herum. Das kann nicht gut gehen, das muss in einer Katastrophe enden. Wenn man dann sieht, mit welcher Zärtlichkeit und Hingabe Seo-rae versucht, den völlig übermüdeten Jang zum Einschlafen zu bringen, oder Jang für Seo-rae kocht, die sonst nur Eiscreme zum Abendessen zu sich nimmt, dann geht das zu Herzen. Diese gefühlsmäßige Intimität ist betörend und kommt oft mit kleinen, subtilen Gesten aus.

In der zweiten Hälfte des Films treffen die beiden nach einem Jahr wieder aufeinander. Die Handlung ist eine Konstellation, die den ersten Teil spiegelt unter anderen Vorzeichen, aber in der gleichen unaufhaltsamen Abwärtsspirale. Jang ist ein gebrochener Mann, der zunehmend verfällt. Bei seinem nächsten Mordfall versucht er die Nachlässigkeiten bei seinem letzten zu vermeiden, aber der Bann, den Seo-rae auf ihn ausübt, lässt ihn nicht los. Tang Wei schafft es, ihre Femme Fatale durchaus sympathisch darzustellen, ist verletzlich und einfühlsam zugleich. Ob sie aus Machthunger, bösem Willen oder aus Schwäche handelt, wird nicht ganz klar, aber sie ist der Grund, dass Jangs Leben aus den Fugen gerät. Und dann kommt es am erschütternden und aufwühlenden Ende...



Kommissar Jang (Park Hae-il) mit der Mordverdächtigen Seo-rae (Tang Wei) hat aus Faszination für diese Frau die berufliche Distanz aufgegeben | © Plaion Pictures

Helga Fitzner - 2. Februar 2023
ID 14031
Weitere Infos siehe auch: http://www.mm-filmpresse.de/film.php?film=412


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