Mit Hüftschwung
ins neue Leben!?
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Bewertung:
Tony (Franck Dubosc) ist ein „Anti-Hipster“: Alles, was da an Trends und Neuerungen vor sich geht, ignoriert er von jeher. Dass er mit seinem Schnauzbart, der Lederjacke und den Cowboy-Stiefeln für den einen oder anderen wie eine Lachnummer aussieht, prallt an ihm ab. Er arbeitet als zuverlässiger Schulbusfahrer, pflegt aber keine Freundschaften und Beziehungen. Das ändert sich an dem Tag, an dem der Mitfünfziger einen Herzinfarkt erleidet, im Krankenhaus aufwacht und sich seiner Sterblichkeit schmerzlich bewusst wird. Das hätte schiefgehen können, wenn ihn sein Kollege Gilles (Jean-Pierre Darroussin) nicht rechtzeitig gefunden und wiederbelebt hätte. Der Krankenhausarzt Dr. Mory (Michel Houellebecq) nimmt kein Blatt vor den Mund und macht dem vermeintlichen „lonesome Cowboy“ klar, dass er nicht alleine auf der Welt ist.
Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus macht Tony sich auf die Suche nach seiner ehemaligen Geliebten Carmen (Karina Marimon), die er vor 20 Jahren mit ihrem gemeinsamen Kind hat sitzenlassen. Carmen ist mittlerweile glücklich verheiratet, geht überraschenderweise sehr friedlich mit ihm um, und verrät ihm sogar, dass ihre gemeinsame Tochter Maria (Louna Espinosa) an einer Schule für Gesellschaftstanz in Paris arbeitet. Da er zu feige ist, sich Maria einfach so als ihr Vater zu offenbaren, will er sich unter falschem Namen in der Tanzschule anmelden, um sie erst einmal besser kennenzulernen. Aber sie nimmt nur Fortgeschrittene an, und so schellt Tony eines Tages bei seiner Nachbarin Fanny (Marie-Philomène Nga), die ist schwarz, also muss sie tanzen können, meint er. Kann sie aber nicht, doch die resolute alleinerziehende Mutter nimmt sich des unbeholfenen Möchtegern-Vaters an und übt mit ihm Rumba, mit der sie sich um einen Platz in Marias Gruppe bewerben.
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Für Die Rumba Therapie hat Franck Dubosc das Drehbuch geschrieben, die Regie geführt sowie die Hauptrolle übernommen, und alles ist aus einem Guss und gut gelungen. Dabei ist der Film zu ernsthaft für eine herkömmliche Komödie und zu witzig für eine Tragödie, was ihn von den vielen Wohlfühl-Filmen, die derzeit die Kinolandschaft bevölkern, etwas absetzt. Da ist alles zutiefst menschlich, es gibt keine Übertreibungen, keinen Humor auf Kosten anderer, er karikiert aber Klischeevorstellungen und baut einige durchaus kritische Untertöne ein: Der weiße Tony benimmt sich ziemlich prollig. Die erste Zigarette gibt es sofort nach dem Aufstehen, nach der Arbeit sitzt er vor dem Fernseher (am liebsten Kriegsfilme) und unternimmt sonst nicht viel. Seine schwarze Nachbarin Fanny dagegen hat studiert und unterrichtet als Geschichtslehrerin an einer renommierten Pariser Schule. - Sein Kollege Gilles begibt sich an einem Wochenende auf die Suche nach einem amourösen Abenteuer, ist sich aber auf einmal seiner sexuellen Orientierung nicht mehr sicher. Er ist ebenfalls eifriger Fernsehzuschauer (sehr gerne auch Eiskunstlauf). - Als Tony versehentlich in eine kostümierte Samba-Klasse gerät, betrachtet er staunend halbbekleidete, wackelnde Popos. Kulturgut oder Sexismus?
Wenn Tony überhaupt seine eingefahrenen Verhaltensweisen ändert, dann nur sehr zögerlich und mit Hilfe einer Reihe wohlwollender Menschen um ihn herum. Denn nur nach und nach kann er sich sein Scheitern im Leben eingestehen, wie die nicht realisierten und diffusen Träume von „Amerika“, die Unfähigkeit, über den eigenen Schatten zu springen, Verantwortung zu übernehmen und Beziehungen einzugehen. Dr. Mory hat es ihm klar gemacht: „Im Leben gibt es Momente, wo wir andere brauchen. Allein sind wir nichts.“ Und danach befragt, ob Tony seinen Herzinfarkt überleben wird, erklärt er ihm lakonisch: „Sterben kann jeder, aber leben ist schwer.“. - Dr. Mory wird von Michel Houellebecq gespielt, der im Vorfeld darum gebeten hatte, von Dubosc eine Rolle zu bekommen. Die bekam er und auch noch einige der besten Dialoge auf den Leib geschrieben, in denen er die Einsame-Wolf-Attitüde seines Patienten genüsslich zerpflücken kann. Das macht der umstrittene Autor und Intellektuelle Houellebecq ganz vorzüglich, der als enfant terrible gilt, unangepasst ist und von den Medien deswegen des Rassismus' und anderer Vergehen beschuldigt wird. Auf seine Rolle im Film wirkt sich das eher nicht aus, wobei seine Besetzung grundsätzlich schon ein Statement ist.
Dubosc vermeidet es, irgendetwas Weichgespültes oder Sentimentales zu inszenieren, denn das gibt es schon zuhauf. Er geht im Prinzip liebevoll mit seinen Charakteren um, benutzt keinen Klamauk auf Kosten ihrer Würde und ist sehr differenziert, erzählt aber nicht alles im Detail. So erfahren wir nicht, seit wann genau Maria weiß, dass der neue Tanzschüler ihr Vater ist, und es wird nicht ersichtlich, ob Tony klar ist, wie gut er den Schulkindern tut, wenn er sie während der Fahrt unterhält und nach der Ankunft jedes einzelne von ihnen mit einem kleinen Abschieds-Ritual in den Schultag entlässt. Ganz verlässlich an jedem Schultag.
Doch nein, Tony „gewinnt“ am Ende nicht, genau genommen, scheitert er schon wieder, wenn da nicht...
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Der knurrige Kauz Tony (Franck Dubosc) hat tanzen gelernt und bekommt von seiner Tochter Maria (Louna Espinosa) eine Chance | © Neue Visionen Filmverleih
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Helga Fitzner - 22. Juni 2023 ID 14262
Weitere Infos siehe auch: https://www.neuevisionen.de/
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