BERLINALE-Gewinnerin 2022 ("Silberner Bär")
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Reflexionen über
die Kunst und
das Leben
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Bewertung:
Es ist kein Wunder, dass den BERLINALE-JurorInnen der Film Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall des südkoreanischen Regisseurs Hong Sangsoo so gut gefallen hat, dass er 2022 den Großen Preis der Jury, den Silbernen Bären, erhielt. Geht es doch um Künstler, das Filmemachen, die Prioritäten, die man für sich im Leben setzt, und die Selbstverwirklichung. Die Protagonisten haben sich ins Private zurückgezogen und das Maskentragen, selbst im Freien, ist eher ein äußeres Zeichen für diesen inneren Prozess, als dass es mit Covid zu tun hätte. Der Film ist in Schwarzweiß gedreht und kommt morgen [Do, 10.11.2022] in der Originalfassung mit deutschen Untertiteln in die Kinos.
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Die Schriftstellerin Junhee (Hye-yeong Lee) besucht eine alte Kollegin und Freundin, die eigentlich gar nicht gefunden werden wollte, denn Sewon (Seo Younghwa) hatte ihr keine Adresse hinterlassen. Sie betreibt einen kleinen Buchladen in der Vorstadt von Seoul, hat an Gewicht zugenommen und gibt zu, dass sie sich gehen lässt. Sie liest nur noch, was sie mag, und nichts mehr aus Pflichtgefühl, wodurch sie die Freude am Lesen wiederentdeckt hat. Den Lesespaß teilt sie mit einer Gebärdendolmetscherin (Park Miso), die ihr gelegentlich im Laden hilft. Sewon versteht, dass Junhee an einer Schreibblockade leidet und deshalb längere Zeit kein Buch mehr geschrieben hat. Junhee fand auf einmal alles übertrieben, was sie bisher verfasst hat. Sie habe damals noch an ihre Gefühle geglaubt, jetzt aber nicht mehr, egal wie erfolgreich sie war.
Bevor Junhee wieder nach Hause fährt, besichtigt sie einen Aussichtsturm, der als Sehenswürdigkeit gilt. Dort trifft sie zufällig den Filmregisseur Hyojin (Kwon Haehyo), mit dem sie über das Filmemachen und das Leben spricht. Auch er macht jetzt weniger. Vorher fühlte er sich getrieben, jetzt ist er ruhiger, erzählt er. „Obwohl Zwang nicht unbedingt schlecht ist.“ Aber alles drehte sich nur um den Film. Das Leben bekäme man eh nicht in den Griff. Doch wenn man, so gut es geht, Ordnung im eigenen Leben schaffte, dann käme man auch mit den anderen Sachen klar, glaubt er.
Beim Spaziergang durch einen Park treffen sie eine berühmte Schauspielerin, die sich ebenfalls in die Vorstadt zurückgezogen hat. Kilsoo (Kim Minhee) will einfach nicht mehr spielen. Es ist von ihrem Partner die Rede, aber der taucht im Film nicht auf und wir erfahren auch kaum von Hintergründen, was die Beziehung angeht. Die Innenschau ist eine sehr persönliche Angelegenheit und geschieht vornehmlich außerhalb von Beziehungsgeflechten. - Es kommt zu einer Auseinandersetzung, als der Regisseur der Schauspielerin vorwirft, dass sie ihr Talent vergeuden würde. Junhee ereifert sich sehr und verteidigt die Schauspielerin. Diese sei nicht ihrem Talent verpflichtet und man habe ihre Entscheidung zu respektieren und sie dürfe über ihr Leben selbst bestimmen. Der Konflikt bleibt ungelöst und der Regisseur verlässt die beiden.
Interessanterweise denkt Kilsoo doch darüber nach, in einem Kurzfilm mitzuspielen, bei dem Junhee das Drehbuch schreiben und erstmals Regie führen will. Durch einen weiteren Zufall landen die zwei im Buchladen von Sewon, die dort einen Dichter zu Gast hat, den Junhee von früher sehr gut kennt. Es kommt zu einem Besäufnis, bei dem sich die Zungen lösen und einige Meinungen und Gefühle kundgetan werden.
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Die Schauspielerin, die Gebärdendolmetscherin, die Buchhändlerin, der Dichter und die Schriftstellerin beim Gelage (v. li. n. re.) | (C) Jeonwonsa Film Co. Production
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Der Film setzt auf Dialoge und hat relativ wenig Handlung. Die Reflexionen sind intellektuell, doch von der Gefühlswelt der Protagonisten bekommt man schon etwas mit, wobei Pausen und ein ins Stocken geratenes Gespräch bezeichnend sind. Es gibt kaum Nahaufnahmen und durch die Masken kann man keine Mimik sehen. Die Figuren sind so mit ihrer Innenschau und Wahrheitsfindung beschäftigt, dass sie keine Nähe wünschen, was die Kamera zu respektieren scheint. Die in ihrem Fall freiwillige Auseinandersetzung mit ihrem bisherigen Leben, ihren Hoffnungen, Sehnsüchten, Ängsten und Zweifeln ist schmerzlich, aber kathartisch Die Vermeidung von künstlichem inneren und äußerem Druck und die Suche nach Wahrhaftigkeit kommt sehr gut zur Geltung. Bei allem Minimalismus und bei aller Distanz ist der Film interessant und allgemeingültig. Und gegen Ende erklärt er sich selbst: Der Film, den Junhee machen will, soll so naturalistisch, wie möglich, werden. Es soll nichts künstlich strukturiert oder aufgebauscht werden. Genau das zeigt der ganze Film in seiner Beiläufigkeit. Wir erleben die Charaktere beim Kaffeetrinken, bei Mahlzeiten und Spaziergängen, also ganz alltäglichen Dingen. Der Regisseur Hong Sangsoo schärft aber den Blick für die Besonderheit im Alltäglichen. Für Cineasten ist das Werk ein Fest.
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Helga Fitzner - 9. November 2022 ID 13903
https://grandfilm.de/die-schriftstellerin-ihr-film-und-ein-gluecklicher-zufall/
Post an Helga Fitzner
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