Blitz-
gescheit(ert)
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Bewertung:
Nachdem ich von der neuesten Marvelcomic-Verfilmung Spider Man – Far From Home so bitter enttäuscht war, hatte ich mich auf den deutschen Comic-Film Electric Girl besonders gefreut, zumal ich den ersten Film der Regisseurin Ziska Riemann, Lollipop Monster, als sehr originelles, eigenständiges Werk schätze und Riemann eine großartige Comiczeichnerin ist. Dass sich in ihrem zweiten Spielfilm die Fantasien der Heldin nicht nur verselbstständigen, sondern gezeichnete und reale Welten auch überkreuzen sollten, empfand ich daher als konsequenten, vielversprechenden Ansatz. Doch leider sind ausgerechnet die animierten Anteile in Electric Girl sehr gering und wenig originell geraten. Außerdem blitzt im Film nur wenig vom anarchistischen Witz und von den feministischen Frechheiten, den Riemanns Comics auszeichnet, auf.
Apropos Blitz: Es geht in Electric Girl um die leichtlebige, flippige Studentin Mia (Victoria Schulz), die scheinbar ohne Schlaf und Seminare auskommt, was beides scheinbar ohne Drogen funktioniert und relativ folgenlos bleibt. Anders sieht es mit ihren Jobs aus, die dann doch auf die Dauer gewisse Nebenwirkungen zeitigen: Nachts rotiert Mia in einem Hamburger Club als Tresenkraft, tagsüber synchronisiert sie in einem kleinen Studio eine Superheldin aus einem japanischen Anime. Nachdem sie im Club einen Stromschlag abbekommen hat, gehen in Mia Veränderungen vor, die zunächst nicht auffallen, da die junge Frau ohnehin einem unkonventionellen Lebensstil frönt. Doch die Identifikation mit der Anime-Figur nimmt immer stärkere Züge an, und schon bald hält sich Mia ebenfalls für unbesiegbar und absolviert abenteuerliche Sprünge vom Hausdach.
Als vermeintliche Retterin der Menschheit, die wie ihr gezeichnetes Vorbild aus der japanischen Zeichentrickserie als einzige von den geheimnisvollen Machenschaften unsichtbarer Monster weiß, die die Menschheit mit einer Überdosis elektromagnetischer Kräfte ausschalten wollen, bietet Mia jedem zufällig anwesenden Publikum eine groteske Performance, die jeden Butoh-Tänzer vor Neid erblassen lässt. Einige dieser aberwitzigen Showeinlagen sind amüsante Szenen, können aber die dramaturgischen Schwächen bei der Psychologisierung der Hauptfigur und dem Spannungsaufbau der Story nicht kompensieren. Dass die junge Frau sich durch die Anime-Heldin so schnell und so umfassend in eine Traumwelt flüchtet, lässt sich nicht nachvollziehen. Denn der Reiz, die reale mit der Comicwelt eintauschen zu wollen, wirkt unglaubwürdig, da die Anime-Figur sehr einschichtig wirkt und viel zu kurz zu sehen ist. Die Nebenfiguren, selbst Mias verpeilter Hausnachbar Kristof (Hans-Jochen Wagner), bleiben konturlose Stichwortgeber.
Nach einer schönen Verführungsszene gerät Mia nahezu übergangslos in einen Dauerrausch, wobei die wilden Ekstasen überwiegend Redundanz verursachen. Der familiäre Hintergrund als Motiv für die einsetzende Psychose wirkt aufgesetzt, da die Begegnung mit den Eltern und der Schwester erst sehr spät im Film erfolgt, die besser im ersten Drittel des Films hätte stattfinden sollen. All dies sind Drehbuchschwächen, während die Kameraarbeit, die Visualisierung der Drehorte und die Farbgebung bemerkenswert sind. Auch wenn Victoria Schulz als Typ die richtige Wahl ist, bleibt sie als naive, teils überkandidelte Psychopatin eine fremde Figur.
Mit dem Versuch, die Psychose der Hauptfigur überzeugend in visuelle Metaphern oder Symbole zu übertragen, ist schon bei etlichen Regisseuren auf Kosten der dramaturgischen Authentizität und Geschlossenheit schief gegangen. Besonders schade war dies bei dem raffinierten Psychothriller Fade To Black – Die feinen Morde des Eric Binford, den ein gewisser Vernon Zimmerman 1980 als US-Independent-Film drehte. Hier flüchtete sich der (Anti-)Held in ein Rollenspiel bzw. die Nachahmung seiner Lieblingsstars, um sich mordend an seinen Unterdrückern zu rächen. Ungeschlagene Meister der Umsetzung von Phantasmagorien und seelischer Krankheiten sind zweifellos David Cronenberg (Naked Lunch, 1991) und – mehr noch – Terry Gilliam, dessen König der Fischer (1991) und Fear and Loathing in Las Vegas (1994) Maßstäbe in Sachen Visualisierung von Rausch und Verrücktheit setzten. Natürlich lässt sich ein deutscher Low-Budget-Förderungsfilm wie Electric Girl damit nicht seriös vergleichen. Aber von einer so einfallsreichen Comiczeichnerin wie Ziska Riemann hatte ich zumindest überbordende Animationen erwartet, die die Story katalysieren. Aber in Riemanns Film ist die Heldin einfach verrückt, wohingegen die Verrücktheit der Visualisierung anders als in ihrem Debüt Lollipop Monsters (2011) zu kurz kommt.
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Electric Girl mit Hans-Jochen Wagner und Victoria Schulz | (C) NiKo Film
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Max-Peter Heyne - 15. Juli 2019 ID 11565
Weitere Infos siehe auch: http://electric-girl.de/
Post an Max-Peter Heyne
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