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UNSERE NEUE GESCHICHTE (Teil 55)

Dem Leben

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Bewertung:    



Totalitäre Regimes werfen lange Schatten. So auch die Militärdiktatur, die in den Jahren 1964 bis 1985 Brasilien fest im Griff hatte. Der Spielfilm Für immer hier basiert auf der wahren Geschichte des Ehepaars Paiva, das ein idyllisches und privilegiertes Leben in einem Haus in unmittelbarer Strandnähe in Rio de Janeiro führt. Die Präsenz von Lastwagen mit Soldaten und niedrig fliegende Militärhubschrauber über dem Strand deuten zu Anfang schon auf die Gefahren hin. Doch noch genießen Rubens Paiva (Selton Mello), seine Ehefrau Eunice (Fernanda Torres) und ihre fünf Kinder ihr sorgenfreies Leben im Wohlstand. Die Eltern lieben einander und ihre Kinder über alles, und der Familienzusammenhalt ist stark. Dabei sind sie in eine Gemeinschaft ebenfalls wohlhabender Menschen eingebunden. Ihr Leben ändert sich schlagartig, als der Familienvater, der früher politisch engagiert und auch einmal Abgeordneter war, von fremden Männern zu einer Befragung mitgenommen wird und seitdem spurlos verschwunden ist. Es gibt keine Aufzeichnungen, die Militärregierung leugnet grundlegend etwas mit dem Verschwinden von Paiva und vielen anderen Menschen zu tun zu haben. Diese Geschichte hat der einzige Sohn der Familie, Marcelo Rubens Paiva, später in seinem Buch Ainda Estou Aqui verarbeitet, das Murilo Hauser und Heitor Lorega in ein fantastisches Drehbuch verwandelt haben.

Dem brasilianischen Regisseur Walter Salles war das Politdrama eine Herzensangelegenheit:


“Als ich Für immer hier von Marcelo Rubens Paiva zum ersten Mal las, war ich tief bewegt. Zum ersten Mal wurde die Geschichte der desaparecidos (der Verschwundenen), der Menschen, die von der brasilianischen Diktatur aus ihrem Leben gerissen wurden, aus der Perspektive der Zurückgebliebenen erzählt. Die Erfahrung einer Frau - Eunice Paiva... - erzählte einerseits eine Geschichte über die Bewältigung von Verlust und war andererseits ein Spiegelbild der Wunde, die eine ganze Nation erlitten hatte. Die Geschichte hatte zudem einen persönlichen Bezug für mich: Ich kannte diese Familie und war mit den Paiva-Kindern befreundet. Ihr Haus war tief in meiner Erinnerung verankert. Während der sieben Jahren, die wir mit der Produktion... verbrachten, kam das Leben in Brasilien dieser Vergangenheit gefährlich nahe - was es umso dringlicher machte, diese Geschichte zu erzählen.”


Für die Angehörigen ist die Qual der Ungewissheit besonders grausam. Es gibt offiziell kein Gefängnis, in dem der Ehemann und Familienvater inhaftiert ist, wo er kontaktiert werden könnte, und keinen Nachweis, ob er noch am leben ist. Eunice steht im Mittelpunkt der Geschichte, die mit großer Selbstdisziplin und Würde versucht ihre Kinder zu schützen. So lädt sie die Männer, die sich in ihrem Haus zur Beobachtung eingenistet haben, wie Gäste zum Essen ein, damit das vor den Kindern so normal wie möglich erscheint. Am kommenden Tag werden sie und die ältere Tochter Eliana (Luiza Kozovski) verhaftet. Während Eliana am nächsten Tag entlassen wird, wird Eunice zwölf Tage lang verhört, soll anhand von Fotos Personen identifizieren. Sie wird in eine schmutzige und fensterlose Zelle eingepfercht und hat keine Möglichkeit zur Körperhygiene oder zum Kleiderwechsel.

Nach ihrer Entlassung befragt sie einen Freund der Familie nach den Aktivitäten ihres Mannes. Paiva war im gewaltlosen Widerstand engagiert und half Verfolgten des Regimes. Er war offensichtlich nur in Dinge involviert, die unter demokratischen Verhältnissen im Rahmen des Gesetzes gewesen wären. Eunice hält bei ihren jüngeren Kindern den Glauben auf eine baldige Rückkehr des Vaters aufrecht. - Nach und nach verschärft sich die Situation der Familie. Das Haus und das Telefon werden überwacht, Eunice holt die Kinder direkt von der Schule ab, die nun nicht mehr am Strand spielen dürfen und im Hause bleiben müssen. Dann geht das Geld aus, und ohne Unterschrift ihres Mannes kommt sie nicht an dessen Konto heran. Sie kann weder die Hausangestellte Maria José (Pri Helena) weiterhin bezahlen, noch das herrliche Haus halten. Nach einiger Zeit verlässt die Familie Rio, um sich in São Paulo mit der Familie zu vereinen, auf deren Unterstützung sie angewiesen ist. So wird durch das Verschwinden des Familienoberhaupts das Leben seiner Frau und Kinder zersetzt…

*

Eunice Pavia (1929-2018) war eine sehr starke und bewundernswerte Persönlichkeit. In São Paulo studierte sie Jura, setzte sich für die Aufklärung des Schicksals ihres Mannes und anderer Verschwundener ein sowie insgesamt für die Menschenrechte, insbesondere die der indigenen Bevölkerung. Auch ihr Sohn Marcelo, der als 20jähriger einen Badeunfall erlitt und seitdem gelähmt ist, studierte und machte Karriere als Schriftsteller. Auf seinem Buch basiert der Film, und er taucht im Film als Erwachsener auf, gespielt von Antonio Saboia. Auch ohne Militärdiktatur erlitt die Familie genug Schicksalsschläge: Eunice erkrankte in den letzten 15 Jahren ihres Lebens an Alzheimer. Doch die Familie hält immer zusammen, erhebt sich mit ihrer inneren Einstellung über das Leiden und bleibt dem Leben zugewandt. Wie Eunice verzichten ihre Kinder auf Revanche, Wut und Aggression, wie auch der Film sehr zurückgenommen ist und auf die Spannung verstärkende Momente und Bilder verzichtet. Doch gerade diese Ruhe lässt die Erzählung unter die Haut gehen, weil sie den zunächst schleichenden, aber immer stärker werdenden Einfluss des Verschwindens auf das Leben so „alltäglich“ macht.

Im Film wird im Jahr 1996 stolz die hart umkämpfte Sterbeurkunde von Rubens Pavia gefeiert, 25 Jahre nach dessen Verschwinden. Pavia muss aber darin nur für tot erklärt worden sein und immer noch als vermisst verzeichnet. Kurz nach dem 25. Januar 2025 geschah Unerwartetes: Fernanda Torres hatte für ihre Darstellung der Eunice Pavia den Golden Globe als beste Hauptdarstellerin erhalten, und der Film war an diesem Tag für einen Oscar (den er später auch bekam) als bester ausländischer Film nominiert worden. Da ging eine echte Sterbeurkunde ein, die die Ermordung Rubens Paivas durch das damalige Regime bestätigt. Er ist 1971 bereits am zweiten Tag seiner Inhaftierung den Folgen der Folter erlegen. Es hat über 53 Jahre gedauert, bis die Familie die Gewissheit dokumentiert bekam. Auch hier ist sie privilegiert, denn auf die meisten der vielen Desaparecidos in Brasilien und anderen Ländern trifft das nicht zu. Für sie konnte es noch zu keinem Abschluss kommen. Der Leichnam von Rubens Pavia ist bis heute nicht gefunden worden, die Familie hält die Erinnerung an ihn jedoch aufrecht, er ist „ für immer hier“. Der Film ist Weltkino und ein Meilenstein in Sachen Aufarbeitung der Vergangenheit.



Eunice Pavia (Fernanda Torres) verbirgt ihre Sorgen und versucht mit aller Kraft, ihre Kinder zu schonen | © Alile Onawale / Video Films / DCM


Helga Fitzner – 13. März 2025
ID 15184
Weitere Infos siehe auch: https://dcmstories.com/movie/fuer-immer-hier/


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