Satire mit Biss
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Bewertung:
Wenn ein Hund dreimal zugebissen hat, wird er eingeschläfert, so will es das Gesetz in der Schweiz. Und Cosmos (Kodi) hat dreimal zugebissen. Sein Besitzer Dariuch Michovski (François Damiens) ist verzweifelt und engagiert die Anwältin Avril Lucciani (Lætitia Dosch), die sich auf aussichtslose Fälle spezialisiert hat - und diese auch regelmäßig verliert. Doch dieses Mal hat Avril eine Idee, denn Hunde werden vor Gericht als Sache angesehen, und das will sie ändern, indem sie ihn als Lebewesen vor Gericht stellen lässt. Die schweizerische Justiz ist alles andere als angetan, geht der Sache aber aufgrund der entstandenen Medienaufmerksamkeit auf den Grund. Denn die Todesstrafe ist schon sehr drastisch, aber Cosmos hat die portugiesische Gastarbeiterin Lorene Furtado (Anabela Moreira) ins Gesicht gebissen, wodurch deren linke Gesichtshälfte nun vernarbt ist.
In dem Film Hundschuldig spielt Lætitia Dosch nicht nur die Hauptrolle der Anwältin, sie hat zusammen mit Anne Sophie Bailly das Drehbuch verfasst und führt zum ersten Mal selbst Regie. Die Idee geht auf einen tatsächlichen Fall in der Schweiz zurück, bei der ein Hund per Gesetz eingeschläfert wurde. Dosch inszeniert aber keine tränenreiche Tiergeschichte, sondern eine bitterböse Satire, bei der sie den derzeitigen Zustand unserer Gesellschaft aufs Korn nimmt. Dabei geht es kunterbunt durcheinander zu, aber der Sexismus ist ein durchgehendes Element, wobei die Justiz, die Politik und die Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft auch ihr Fett weg bekommen. Dosch erklärt:
"Ich hatte immer das Gefühl, dass ich mich bestimmten Konventionen anpassen muss, um einen Zweck zu erfüllen. Wahrscheinlich schätze ich deshalb Menschen, die nicht so richtig dazugehören. In meinem Film gibt es eine ganze Reihe davon. Dariuch, der Besitzer von Cosmos, gespielt von François Damiens, ist sehbehindert und ein Außenseiter. Dann ist da Avrils punkiger Nachbar, ein Kind, das Gewalt erfährt. Und schließlich Lorene, gespielt von Anabela Moreira, eine portugiesische Putzfrau, die von dem Hund ins Gesicht gebissen wurde und sich dafür entscheidet, ihre Narben zu behalten und die Normen abzulehnen. Sie verkörpert eine der feministischen Ideen des Films."
Die Staatsanwältin Roseline Bruckenheimer (Anne Dorval) fährt schwere Geschütze auf, denn sie kandidiert derzeit als Bürgermeisterin und will den Fall für ihren Wahlkampf nutzen. Für sie steht fest, dass Cosmos sterben muss. Seine Verteidigerin Avril findet gute Argumente zugunsten ihres Klienten. Cosmos ist prinzipiell ein friedlicher Hund, er beißt nur, wenn er beim Fressen angefasst wird. Avril geht sogar so weit, der gebissenen Portugiesin über das Gesicht zu streicheln, worauf diese mit Empörung reagiert. Von einem Hund aber wird erwartet, so Avril, dass er sich ständig anfassen lässt. Es ist klar, dass Cosmos nur sein Futter verteidigt hat. Hundschuldig ist bis in kleinste Nebenrollen hervorragend besetzt, der Ethikrat besteht aus wundervoll skurrilen Figuren. Als einer von ihnen nachschaut, ob Cosmos wirklich nicht kastriert ist, wie sein Herrchen behauptet, lässt der Hund sich das gefallen. Soviel zum Thema bissig.
Als dann der verpeilte Hundetrainer Marc (Jean-Pascal Zadi) vor Gericht aussagt, dass statistisch gesehen mehr Frauen als Männer gebissen werden, schlägt die Stunde der Staatsanwältin. Sie fragt, ob man den Hund als frauenfeindlich bezeichnen kann, was der Zeuge bejaht. Daraufhin entfesselt Roseline Bruckenheimer öffentliche Proteste, die Feministinnen marschieren auf und liefern sich mit den Tierschützern gewalttätige Kämpfe. Die Demonstranten beider Seiten werden in ihrer Ignoranz entlarvt, und der Anlass ist nun wirklich nichtig. Aber sie lassen sich durch Manipulation und Propaganda aufhetzen und sind nicht zu einer kritischen Distanz fähig. Dosch erlaubt sich, die Menschen in ihrem mangelnden Urteilsvermögen, ihrer Lenkbarkeit und mit einer ziemlichen Vulgarität darzustellen.
"Ich mag es, dass sich die Leute unwohl fühlen. Ich mag es, vulgär zu sein und ein wenig zu schockieren. Dadurch fühle ich mich als Frau frei. Aber vor allem möchte ich den Zuschauern genug Raum lassen, damit sie sich die Zeit nehmen und sich selbst in Frage stellen können, um das Risiko einzugehen, ihre eigenen Urteile auf den Kopf zu stellen. Und ich möchte sie zum Lachen bringen."
Ob das alle zum Lachen finden, sei dahingestellt, so berechtigt die Vorgehensweise manchmal erscheinen mag. Es gibt in dem Film keine eigentlichen Sympathieträger, selbst der Hund ist nur eingeschränkt niedlich. Als Avril ihn trainieren will, sich während des Fressens anfassen zu lassen, misslingt das. Wie soll das Tier wissen, dass sein Leben davon abhängt. Für seine Leistung wurde Fellnase Kodi in Cannes mit dem Palm Dog Award 2024 belohnt, nachdem der Film in Cannes in die Festivalreihe "Un Certain Regard" aufgenommen worden war.
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Der angeklagte Hund Cosmos (Kodi) muss sich vor Gericht verteidigen | © Bandeapartfilms, Atelierdeproduction, RTS Radiotelevision Suisse, SRG, SSR, France 2 Cinema
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Helga Fitzner - 12. Februar 2025 ID 15145
https://weltkino.de/filme/hundschuldig
Post an Helga Fitzner
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