Die Weichzeichnung
des Bösen
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Bewertung:
Sommer in Berlin, 1942. Die gelernte Zahnarzthelferin und Versicherungsangestellte Hilde (Liv Lisa Fries) lernt über Freund:innen Hans Coppi (Johannes Hegemann) kennen, der als Funker im Widerstand gegen die Nazis arbeitet. Über ihn lernt sie weitere Mitglieder des linken Widerstandsnetzwerks „Rote Kapelle“ kennen, wächst schnell in den Kreis hinein, verliebt sich in Hans, vergisst ihren jüdischen Freund Franz, der im skandinavischen Exil ist, nimmt an widerständischen Aktionen teil – und gerät ins Visier des Nazis. Ihr Sohn Hans kommt im Frauengefängnis zur Welt; sein Vater kann ihn ein erstes und letztes Mal sehen, bevor er exekutiert wird. Auch Hilde steht neben weiteren Mitstreiter:innen der Roten Kapelle auf der Liste der Todeskandidaten.
Wer neben einer Geschichte von Todesmut und Widerstand gleichzeitig eine Liebesgeschichte auf der großen Leinwand erzählen will, braucht neben Erfahrung mit historisch-politischen Stoffen auch ein Gespür für die richtige Dosierung von Affekten, um die Pathosfalle zu umschiffen. Andreas Dresen hat beides, und ihm gelingt das Umgehen von Pathos, indem er die aufblühende Romanze zwischen Hilde und Hans in regelmäßigen Rückblenden erzählt, die in der Chronologie rückwärtslaufen: ein anspruchsvolles filmisches Erzählkonzept. Es funktioniert hier auch deswegen so gut, weil mit diesen Flashbacks die Linearität der letzten Lebenstage von Hilde Coppi durchbrochen und aufgelockert wird. Und dadurch, dass Dresen diesen krassen Kontrast von Horror im Gefängnis und Liebesglück am sommerlichen See schafft, erhält der Film seinen Drive – den es bei einer Filmlänge von über zwei Stunden allerdings auch braucht.
Bei all der Lagerfeuerromantik im zweiten Erzählstrang kommt allerdings der Widerstand als eigentlich zentrales Thema viel zu kurz. Was schade ist – denn die Momente, in denen Hilde mit Hans Zettel gegen die antisowjetische Ausstellung Das Sowjet-Paradies an Plakatwände klebt oder in denen beide in der Berliner Straßenbahn heimlich Morsecodes üben, sind klug in Szene gesetzt und bleiben haften. Die Motivationen der „Roten Kapelle“-Mitglieder bleiben indes ein wenig im Dunkeln. Da hätte Dresen, Regisseur von ausgezeichneten Spielfilmen wie Whisky mit Wodka oder Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush im Tandem mit der Drehbuchautorin Laila Stieler deutlich mehr rausholen können.
Lobend erwähnen muss man Dresens Casting-Entscheidung für die Hauptrolle: Eine bessere Darstellerin als Liv Lisa Fries für die Rolle der ruhigen, eigenwilligen Hilde Coppi hätte er kaum finden können. Fries, die viele aus der Serie Babylon Berlin kennen werden, liefert durchweg schauspielerische Glanzleistungen ab. In der Szene, in der sie zur Denunziation ihrer Kamerad:innen gezwungen wird, lässt ihre Mimik und die qualvoll lange Kameraeinstellung die Zuschauer:innen ihre innere Zerrissenheit nachfühlen, als säße man selbst neben ihr im Verhör.
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Hilde (Liv Lisa Fries) lernt von Hans( Johannes Hegemann) das Morsealphabet © Pandora Film, Foto: Frédéric Batier
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In Liebe, Eure Hilde ist fraglos ein gut gemachter, und sicher auch gut gemeinter Film, der dennoch einen bitteren Beigeschmack hat. Denn er entlässt sein – wir nehmen mal an: vorwiegend deutsches und nichtjüdisches – Publikum mit dem wohligen Gefühl, dass es damals so schlimm nicht gewesen sein kann, wenn selbst höhere Tiere im NS-Apparat „nur Menschen“ waren und durchaus des Mitgefühls für NS-Gegner und andere verfolgte Minderheiten fähig. Hitlers Helfershelfer, zumindest alle Figuren mit Sprechrollen, haben im Film ein menschliches Antlitz. Selbst die kaltschnäuzige Gefängniswärterin (gespielt von Lisa Wagner) wird am Ende „weichgezeichnet“ und offenbart Empathie, indem sie u.a. die Todeskandidatin Coppi bei ihrem Gnadengesuch unterstützt.
Die Nazis nicht (nur) als kaltblütige Monster darzustellen, sondern als ambivalente, widersprüchliche Personen, war von Andreas Dresen durchaus so beabsichtigt. Trotzdem bleibt das Problem der enormen Entlastungsfunktion des Films bestehen, vor allem, wenn wir uns noch einen zweiten Punkt anschauen: Einer Studie zufolge haben nur magere 0,3 % der Deutschen während der NS-Zeit potenziellen NS-Opfern geholfen. Im Vergleich mit dem von Deutschen vermuteten Anteil (28,7 %) also eine verschwindend geringe Zahl.
Es tun sich Fragen auf: Wer spricht über die jüdischen Widerständigen während der NS-Zeit? Weshalb wurde bisher noch kein Film über das ebenfalls linke, aber jüdische Widerstandsnetzwerk um Herbert Baum gegründet, das einen Anschlag auf Das Sowjet-Paradies verübte? Es soll nicht behauptet werden, neue Biopics über die Geschwister Scholl, von Stauffenberg oder eben die Coppis seien per se „zu viel des Guten“. Im Gegenteil: Das Thema Widerstand ist noch lange nicht durchgekaut. Wir müssen wieder und wieder daran erinnert werden, wie viel Courage es braucht, um in einem Unrechts- oder sogar Terrorsystem für banale menschliche Werte einzustehen – und dass wir es nicht erst so weit kommen lassen dürfen. Doch deutsche Held:innen-Biografien bedienen eben auch immer das Bedürfnis, von Schuld und Scham reinzuwaschen. Und sich zum Beispiel nicht mit der ungemütlichen Wahrheit beschäftigen zu müssen, dass Omas Nachbar:innen damals deportiert wurden, ohne dass jemand auch nur hingeschaut hat. Eben auch die eigene Oma nicht.
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In Liebe, Eure Hilde ist anspruchsvoll und gut erzählt – dem Film fehlt bloß der Mut zu unangenehmen Wahrheiten und nationalsozialistischen Antipathieträgern.
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Jo Ojan - 19. November 2024 ID 15016
https://www.pandorafilm.de
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