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Filmkritik

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der Ehre



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Roman Polanskis neuer Film Intrige heißt im Original J'accuse (dt.: "Ich klage an"), was zum Synonym für die Dreyfus-Affäre im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde. Alfred Dreyfus (1859-1935) stammte aus einer jüdischen Familie und war aufgrund seiner Leistungen im französischen Militär zum Offizier aufgestiegen. Im erzkatholischen Frankreich, wie auch in vielen anderen Ländern, waren Juden nicht gut gelitten, schon gar nicht in höheren Rängen. Intrige zeigt, dass das nicht immer eine bewusste Entscheidung zum ausgesprochenen Antisemitismus war, Juden wurden einfach nicht als gleichberechtigt und ebenbürtig angesehen, da war man sich in seiner Selbstgerechtigkeit sehr sicher. Als nun ein Fall von Landesverrat begangen wurde, stand Dreyfus sehr schnell als Hochverräter fest, ohne dass man die Indizien allzu genau überprüft hätte. Er wurde nach dem Prozess auf die Teufelsinsel im Atlantik verbannt und so schien der Fall erledigt.

Polanski (Der Gott des Gemetzels, 2011 ) erzählt die Geschichte nicht aus der Sicht von Dreyfus (Louis Garrel), sondern aus der Perspektive des Marie-Georges Picard (Jean Dujardin; The Artist, 2012). Der wurde 1895 zum Chef des Auslandsnachrichtendienstes berufen und sollte zu Anfang Beweise gegen Dreyfus sammeln, von dessen Schuld auch er überzeugt war. Stattdessen entdeckte Picard aber Ungereimtheiten, Fälschungen und den wahren Täter, Ferdinand Walsin-Esterházy. Trotz der erwiesenen Unschuld und der bereits erfolgten Verurteilung von Dreyfus weigerten sich Picards Vorgesetzte, den Fall neu aufzurollen. Es ist ein sehr wirksamer Kunstgriff von Polanski, den Nicht-Juden Picard einem geballten Antisemitismus auszusetzen. Das Drehbuch schrieb Robert Harris nach seinem Buch Intrige zusammen mit Roman Polanski.

Picard geht es primär gar nicht darum, einen Juden vor lebenslanger Einzelhaft zu retten, er beharrt nur auf ethische Werte wie Ehre, Gerechtigkeit und Wahrheit. Das bringt ihm selbst einen Prozess und eine Inhaftierung ein. Ein öffentlicher Brief des Schriftstellers Émile Zola „J'accuse“ stellt all die Justizirrtümer und Beweisfälschungen einer Öffentlichkeit vor, sie sich nun spaltete. Die liberal bürgerlichen Intellektuellen gegen das Militär und den katholischen Klerus. Nun wird auch Zola angeklagt und verurteilt. Für diejenigen, denen die Geschichte noch nicht bekannt ist, nur so viel: Die Dreyfus-Affäre gilt als der Auslöser für die öffentliche Auseinandersetzung, die 1905 dazu führte, dass Frankreich ein laizistischer Staat wurde, also Staat und Religion getrennt wurden.

Robert Harris und Roman Polanski erzählen relativ detailliert die Sachlage, die zur Verurteilung Dreyfus führte. Denn in diesen Kleinigkeiten offenbart sich eine zersetzende Kraft, die dann zu einem ausgewachsenen Justizskandal führt. Picard ist auch nur bedingt ein Mann von Ehre, denn er hat ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau, was zur Zeit des Fin de Siècle ungeheuerlich war, (sofern man es nicht schaffte, es geheim zu halten). Vor Bigotterie und dem Glauben an die eigene Überlegenheit ist man je nach Umfeld nicht unbedingt gefeit. - Sowohl der historische als auch der filmische Dreyfus lassen sich nicht auf eine Opferrolle reduzieren. In den kurzen prägnanten Momenten, insbesondere in denen der Demütigung, ist Dreyfus aufrecht und sich seiner eigenen Würde bewusst. Er lässt sich nicht von der Überzeugung seiner Ebenbürtigkeit abbringen.

*

Die Persönlichkeit des Regisseurs Polanski ist ambivalent. Er wurde 1933 in Polen geboren und überlebte dort den Holocaust, bei dem mehrere seiner Angehörigen umkamen. Eine weitere Katastrophe in seinem Leben geschah 1969, als seine damalige Frau Sharon Tate und ihr ungeborenes Kind auf bestialische Weise ermordet wurden, aber ihm hängt in den USA immer noch ein Prozess wegen Kindesmissbrauchs aus dem Jahr 1975 an. Das erschwert es schon, seine großartigen und anspruchsvollen Filme unvoreingenommen zu bewerten. Intrige sieht wie ein Vermächtnis aus. Polanski hat mit seinem Lieblingskameramann Paweł Edelman mit intensiven, gemäldeartigen Bildern und mit der Filmmusik von Alexandre Desplat (Oscar für Shape of Water, 2018 ) ein cineastisches Glanzstück erschaffen. Er schildert darin die kleinen und großen Auswüchse des Antisemitismus und gleichzeitig die erschreckende Selbstverständlichkeit faschistischen Gedankenguts.



Alfred Dreyfus (Louis Garrel) steht allein der Macht des Militärs gegenüber | © Weltkino, Guy Ferrandis

Helga Fitzner - 6. Februar 2020
ID 11982
Weitere Infos siehe auch: https://www.weltkino.de/filme/intrige-2


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