Wer wagt,
gewinnt
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Bewertung:
Die Lebensgeschichte von Vera Brandes schreite geradezu nach einer Verfilmung, und dem aus Israel stammenden Drehbuchautoren und Regisseur Ido Fluk gebührt Dank, dass sein Film ohne große Übertreibungen auskommt, sondern sich auf die Fakten fokussiert, die spektakulär genug sind: Die aus wohlhabendem bürgerlichen Hause stammende Vera Brandes (hin- und mitreißend: Mala Emde) ist Anfang der siebziger Jahre noch ein pubertierendes Mädchen, als sie eher zufällig erste Erfahrungen als Konzertmanagerin sammelt. Während des Besuches eines Jazzkonzerts des englischen Tenorsaxophonisten Ronnie Scott in ihrer Heimatstadt Köln bietet Vera dem Musiker zunächst einen Flirt und dann ihre Hilfe bei der Organisation einer Tournee durch Deutschland an.
Ohne fremde Hilfe bringt sich die junge Frau als Autodidaktin das Verhandeln von Auftritten und Verträgen bei. Mit der erfolgreichen Mischung aus jugendlicher Unbekümmertheit und weiblichem Charme organisiert Vera quasi aus der väterlichen Zahnarztpraxis heraus auch Tourneen für andere Jazzgrößen, darunter dem niederländischen Jasper van’t Hof. Diese Stationen handelt der Film aber relativ schnell ab, denn der Kern der Story ist Veras Vermittlung eines Konzertes des damals anerkanntesten Improvisationskünstlers im Bereich des Jazz, des US-Pianisten Keith Jarrett (John Magaro) im Kölner Opernhaus.
Wie so viele Fans avantgardistischer Musik ist auch die 18-Jährige Vera von dem besonderen Spiel Jarretts begeistert. Nach einem Konzertbesuch setzt sich Vera in den Kopf, Jarrett für ein großes Konzert nach Köln zu locken. Dafür setzt die junge Managerin eine große Summe Geldes ein, die ihre Mutter (Jördis Triebel) ihr leiht – unter der Bedingung, bei einem Flop den Beruf der Konzertmanagerin aufzugeben. Nun steht für Vera alles auf dem Spiel, entsprechend engagiert und leidenschaftlich bereitet sie das Konzert vor, wobei es ihr sogar gelingt den renitenten Leiter des Kölner Opernhauses für den Auftritt Jarretts zu gewinnen. Allerdings gibt der den heiligen Tempel der Hochkultur nur für eine späte Abendvorstellung her, nachdem vorweg noch eine Oper über die Bühne ging.
Das Drehbuch erzählt also eine klassische Heldengesichte, in der es darauf ankommt, dass der Held die gewaltigen Hindernisse überwindet und die Herausforderungen besteht, um gereift und charakterlich gestärkt ans ersehnte Ziel zu gelangen. Allerdings handelt es sich in diesem Fall um eine Heldin, die noch dazu ausgesprochen jung und zumindest in beruflichen Dingen anfangs sehr unerfahren ist. Das macht die Story zu einer originellen Emanzipationsgeschichte, bei der das Publikum am Schicksal der ebenso sympathischen wie naiven Protagonistin starken Anteil nimmt. Mit jeder weiteren Herausforderung und jedem weiteren Schritt der autodidaktischen Qualifizierung steigt die Bewunderung für diese ungewöhnliche Frau, deren Leistungen nun endlich auch außerhalb der Musikszene bekannt gemacht werden und Anerkennung finden. Der Film zeigt auch, dass dies ausgerechnet Veras Vater (Ulrich Tukur) ihr nie zugesteht, was durchaus als generationentypisch aufgefasst werden kann.
Das eigentliche Drama entspinnt sich um das abgehalfterte Klavier, auf dem Keith Jarrett spielen soll, weil in der Kölner Oper scheinbar kein großer exklusiver Konzertflügel aufzutreiben ist. Es bedarf einer (wohl historisch belegten) Überredung mit Engelszungen, damit Jarrett seinen Auftritt nicht komplett absagt. In den Szenen dieser Zuspitzung zeigt sich das Talent des Regisseurs zum wohldosierten Slapstick innerhalb einer ohnehin recht humorvollen und temporeichen Inszenierung. Mals Emde ist – wie durchweg alle Schauspieler/innen – die beste Besetzung für die Rolle. Ihre Gradwanderung zwischen nackter Verzweiflung und trotziger Entschlossenheit lässt zähen Momenten keine Chance. Erfreulich auch, dass jeder Nebenfigur ein mehrschichtiges Profil zugestanden wird, das die Darsteller/innen mit ihrem Spiel ausfüllen und die Handlungsstränge bereichern können.
Vielleicht ist es in diesem Fall ein Vorteil gewesen, dass es sich um eine internationale, nämlich deutsch-polnisch-belgische Koproduktion mit einem deutsch-englischsprachigen Cast und einem israelischen Regisseur handelt. Denn der Hauch des Internationalen war prägend für die Karriere der realen Vera Brandes. Ohne ihr Faible für die globale Jazzmusik wäre sie keine Managerin geworden. Und ohne ihren Weitblick und ihre Beharrlichkeit wäre es nie zu dem legendären Auftritt Jarretts in Köln gekommen, dessen ungeplantes ‚Nebenprodukt‘ eine der meistverkauften Jazz-LPs aller Zeiten war.
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John Magaro als Keith Jarrett in dem Spielfilm Köln 75 | (C) Wolfgang Ennebach/Alamode Film
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Max-Peter Heyne – 13. März 2025 ID 15185
Weitere Infos siehe auch: https://www.polyfilm.at/film/koeln-75/
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