Die Eigendynamik
des Machtwahns
|
|
Bewertung:
Die Kinofassung der erfolgreichen Theaterinszenierung Macbeth: Ralph Fiennes & Indira Varma belegt nun auch auf der großen Leinwand, dass die Modernisierung eines Shakespeare-Stücks bei relativer Werktreue möglich ist. Die Live-Aufzeichnung fand in dem umgebauten Warenlager Dock X in der Nähe der Londoner Canary Werft statt. Der britische Regisseur Simon Godwin hat sich seit Jahren darauf spezialisiert, Theaterereignisse für ein größeres Kinopublikum aufzubereiten. In Deutschland läuft der Film in ausgewählten Kinos mit englischen Untertiteln! Deswegen haben wir für alle Fälle den Inhalt ausführlicher als sonst beschrieben:
Shakespeares Drama ist im 11. Jahrhundert angesiedelt, wurde aber von Simon Godwin modern inszeniert z. B. mit Artilleriefeuer und dem Geräusch von Militärhubschraubern im Hintergrund. Gerade hat Schottland eine norwegische Invasion abwehren können. Der Heerführer Macbeth (Ralph Fiennes) hat sich besonders bewährt, und als er mit dem Heerführer Banquo (Steffan Rhodri) nach Hause unterwegs ist, werden die beiden von drei Hexen angehalten. Sie prophezeien Macbeth, dass er zum Thane of Cawdor befördert werden würde, was dieser nicht glaubt. (Ein Thane ist ein hochrangiger, ernannter Dienst-Adliger). Deswegen schenkt er der weiteren Prophezeiung, dass er König von Schottland werde, auch keinen Glauben. Seinem Mitkämpfer Banquo wird vorausgesagt, dass zwar nicht er, aber sein Nachkomme König werden würde. Da treffen Boten ein, die Macbeth als Thane of Cawdor grüßen, denn König Duncan (Keith Fleming) hat den amtierenden Cawdor wegen Verrats zum Tode verurteilt. König Duncan ist Macbeth für seine Dienste unendlich dankbar und wird in Kürze ausgerechnet in dessen Burg übernachten und damit ist sein Schicksal besiegelt, denn Macbeth und vor allem seine Frau Lady Macbeth (Indira Varma) sind sehr ehrgeizig. Macbeth begeht den Königsmord selbst und Duncans Söhne fliehen, was den Anschein erweckt, dass sie die Schuldigen sind. Macbeth wird zum König gekrönt, hat seitdem aber keine ruhige Minute mehr.
Das multifunktionale Bühnenbild ist schmucklos und verfügt über eine mehrstufige Treppe sowie eine milchige Schiebetür im oberen Bereich, die zwischenzeitlich transparent werden kann. Sie wird u.a. für die Erscheinung von Banquos Geist genutzt, Macbeth hat Banquo vorsorglich aus dem Weg schaffen lassen. War zu Anfang Lady Macbeth die treibende Kraft beim Königsmord, so ist es nun Macbeth, der aus Unsicherheit ein blutiges Regime führt, indem er seine Gegner töten lässt. Er ist in seinem Blutrausch nicht mehr aufzuhalten, während seine Frau aus Verzweiflung und von ihrem Gewissen geplagt wahnsinnig wird. Die drei Hexen halten sich immer häufiger in Macbeths Burg auf (entgegen der Vorlage) und repräsentieren sichtbar die zunehmende Präsenz des Bösen. Anders als bei Shakespeare beschrieben, sind es recht gut aussehende Frauen, Lucy Mangan, Danielle Fiamanya und Lola Shalam, die nur etwas ramponiert wie heutige Kriegsflüchtlinge aussehen. Es sind unsichtbare dunkle Mächte, die sich ihrer bedienen.
Macbeths anhaltende Tyrannei ruft Macduff (Ben Turner), den Thane of Fife, auf den Plan, der den geflüchteten Sohn von König Duncan, Malcolm (Ewan Black), in England aufsucht. Er überredet ihn, Schottland mithilfe der englischen Armee zu befreien, aber Malcolm hält sich nicht für würdig genug. Da geht die Nachricht ein, dass Macbeth das Schloss von Macduff überfallen und seine Frau und Kinder töten ließ. Die englische Armee unter Malcolm und Macduff machen sich auf den Weg nach Schottland.
Anders als Macbeth hat Prinz Malcolm sich entschieden, ein guter König zu werden, und unter Godwins Regie werden diese Fragen und Nuancen sehr klar herausgearbeitet. Die Zeitgenossen mögen den Unterschied zwischen dieser friedvollen Vision und den realen Zuständen in ihrem Königreich erkannt haben, ohne dass es einen direkten Bezug gegeben hat.
Ralph Fiennes ist ein Sprachwunder. Er reiht die Worte wie kostbare Perlen aneinander, und obwohl die Sprache kaum modernisiert wurde, klingt alles verständlich und natürlich. Sein sehr differenzierter Macbeth hat sich nach einiger Überwindung für das Böse entschieden, anfangs angestachelt von seiner Frau. Indira Varma glänzt besonders bei der Beschwörung der dunklen Mächte. Die Szene ist unheimlich und gruselig, wahres „Hexenwerk“. Weitere Prophezeiungen der Hexen treffen alle zu, aber sie sind irreführend. Sie wiegen Macbeth in Sicherheit, da er nur besiegt werden kann, wenn sich der nahegelegene Birnam Wald auf das Schloss zubewegt und ihn nur jemand niederstrecken kann, der nicht von einer Frau geboren wurde. Macbeth stehen da fatale Überraschungen bevor. In der Inszenierung bewegt sich die englische Armee hinter Ästen aus dem Birnam Wald versteckt durch die Gänge im Auditorium direkt auf die Bühne zu...
Das Stück Macbeth wird auf 1606 datiert, nachdem Jakob I. die Nachfolge von Königin Elisabeth I. angetreten hatte. Er beschäftigte sich schon lange mit der Dämonologie und hatte in Schottland persönlich Hexenprozesse geleitet (Details weiter unten). Im 17. Jahrhundert waren die Theaterleute von der Gunst des Königs abhängig und so kann man davon ausgehen, dass sie sich mit der Hexenthematik beliebt machen wollten oder mussten.
Gegen Ende taucht in Godwins subtiler Inszenierung ein Doktor zur Begutachtung des desolaten Seelenzustandes von Lady Macbeth auf, dieser wird von einer Frau gespielt, der unlängst ermordeten Lady Macduff (Rebecca Scroggs) in einer Doppelbesetzung. Im fünften Akt erlaubt sich der Regisseur eine weitere „Fehlbesetzung“. Der schottische Edelmann Menteith spielt nur eine winzige Rolle, aber er ist eine Stimme der Gerechtigkeit und wird in dieser Inszenierung von einer Frau gespielt (Rose Riley). Solche Entscheidungen sind dem Original keineswegs künstlich aufgepfropft, sondern unterstützen die bei Shakespeare angelegten Strömungen mit modernen Mitteln. (Zu Shakespeares Zeit waren nur Männer auf der Bühne erlaubt).
Vermutlich vertraut Godwin auf Shakespeares Weisheit, Universalität und Zeitlosigkeit, der trotz starker Einschränkungen heikle Themen geschickt verkleidet anzubringen wusste. Im Fall von Macbeth hat er, wenngleich scheinbar unkritisch der Hexerei gegenüber, seinen Protagonisten immerhin so viel Macht gegeben, dass sie sich selber entweder für die lichte oder die dunkle Seite entscheiden konnten. Shakespeare lässt Macduff z.B. viel Zeit, um seine tote Frau zu trauern, bevor dieser sich der englischen Befreiungsarmee anschließt. Als Lady Macbeth sich kurz vor der Schlacht umbringt, meint Macbeth im Gegensatz dazu nur, dass sie hiernach hätte sterben sollen. Das Böse hat sich in Macbeths Burg verselbständigt und wird in seiner Sinnlosigkeit entlarvt. Macbeth ist kinderlos und wird den blutig erkämpften Thron nicht an einen Sohn weitergeben können. Ralph Fiennes gelingt es, den Tyrannen in bewundernswerter Klarheit mit all seiner Komplexität und der Aussichtslosigkeit seiner Lage darzustellen, die in einigen Monologen reflektiert werden. Die Rolle des jungen Dieners Seyton wurde ausgebaut. Der junge Mann sieht sich dem Terror ausgesetzt und muss darauf reagieren. Er ist in seiner anfänglichen Unschuld ein Spiegel der Geschehnisse. Der Jungschauspieler Jonathan Case brilliert in dieser Rolle und verfügt über eine außerordentliche Bühnenpräsenz.
Shakespeare und diese relativ werktreue Inszenierung zeigen die Eigendynamik, die Machtbesessenheit und Kontrollwahn entwickeln können sowie ihren Aberwitz und ihre Absurdität. Damit sind beide eine Absage an die Gewaltherrschaft. Bei allem Einfluss, den die dunklen Mächte ausüben, werden die Protagonisten nicht aus ihrer eigenen Verantwortung entlassen. Das Stück zeigt die zerstörerischen und auch selbstzerstörerischen Kräfte der Tyrannei, die an sich substanzlos ist, und dass eine nachhaltige Regierungsform nur durch Vernunft, Augenmaß und Empathie erlangt werden kann.
|
Macbeth (Ralph Fiennes) und Lady Macbeth (Indira Varma) planen den Mord an König Duncan | (C) Trafalgar Releasing
|
*
In ihrem 2023 veröffentlichten Sachbuch Hexen geht die britische Professorin Marion Gibson insgesamt 13 historischen Hexenprozessen auf den Grund, darunter auch denen von Jakob VI. von Schottland. Im 14. Jahrhundert wurde die Pseudowissenschaft der Dämonologie als Machtinstrument entwickelt, um eigenständig denkende Menschen und Heilkundige zu diskreditieren. Davon waren überwiegend Frauen betroffen. Die Hexenverfolgung war über Jahrhunderte eine Angst- und Schreckensherrschaft, und die meisten Verfolgten gestanden unter den horrenden Foltermethoden alles, auch das Unsinnigste, und beschuldigten oft auch völlig Unbeteiligte der Hexerei. Gibson untersuchte die Umstände und Prozesse einzelner Angeklagter sehr gründlich und fand heraus, dass es für die Bezichtigungen kaum Beweise gab, aber genug Hinweise darauf, dass die Beschuldigten den Machthabenden ein Dorn im Auge waren.
König Jakob VI. von Schottland war sehr an der Dämonologie interessiert, die im 16. Jahrhundert trotz ihrer Irrlehren schon weit verbreitet war. Als im Jahr 1589 seine Heirat mit Anna, der Tochter des dänisch-norwegischen Königs Frederik II., arrangiert wurde, schlugen wegen schlechten Wetters mehrere Versuche fehl, seine Braut per Schiff nach Schottland zu befördern. Das war peinlich und konnte einem gottgegebenen König nur passieren, wenn Hexenwerk im Spiel war. Der König selbst führte später die Hexenprozesse und schrieb ein Buch über Dämonologie, vermutlich um die Morde zu rechtfertigen. (Im Vorjahr der Ereignisse war seine Mutter Maria Stuart von ihrer Halbschwester Königin Elisabeth I. zum Tode verurteilt worden). - Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass allein bei König Jakobs ausufernden Hexenprozessen mindestens 70 Personen verurteilt und getötet wurden. Jakob VI. von Schottland wurde nach dem Ableben der kinderlosen Königin Elisabeth I. im Jahr 1603 zum König von England gekrönt und hatte damit auch Einfluss auf die Theater in London. Angesichts der bedrohlichen Lage konnte Shakespeare, oder wer immer der Autor der ihm zugeschriebenen Werke ist, die Gültigkeit der Dämonologie nicht anzweifeln.
In den Jahren 1563 bis 1736 waren Hexenprozesse in Schottland erlaubt. Über 2500 Menschen sollen in dieser Zeit allein in Schottland umgebracht worden sein, 85 Prozent davon waren Frauen. Seit 2022 gibt es aufgrund der eindeutigen Forschungslage Bemühungen, die zu Unrecht Ermordeten offiziell rehabilitieren zu lassen.
|
Helga Fitzner - 2. Mai 2024 ID 14725
Weitere Infos siehe auch: https://macbethincinemas.com/
Post an Helga Fitzner
Dokumentarfilme
Fernsehfilme
Heimkino
Spielfilme, international
Neues deutsches Kino
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Rothschilds Kolumnen
BERLINALE
DOKUMENTARFILME
DVD
EUROPÄISCHES JUDENTUM IM FILM Reihe von Helga Fitzner
FERNSEHFILME
HEIMKINO
INTERVIEWS
NEUES DEUTSCHES KINO
SPIELFILME
TATORT IM ERSTEN Gesehen von Bobby King
UNSERE NEUE GESCHICHTE
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|