Gelebte
Schwermut
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Bewertung:
Das Genre des so genannten Heimatfilms hat schon einen gewissen Makel, und zumeist geht es um Freundschafts-, Liebes- und Familiengeschichten, die sich in traditionell bedingter Enge eines dörflichen oder auch kleinstädtischen Handlungsraums ereignen. Ab den 1930ern wurden diverse Vorlagen von Ganghofer auf Celluloid verewigt, Trencker oder Riefenstahl galten als die vielleicht berühmtesten "Autorenheimatfilmer" ihrer Zeit, und sie bedienten freilich auch die Blut-und-Boden-Komponente des sie tragenden Naziregimes, die ihrerseits gar nicht so weit von der von ihnen propagierten Volk-ohne-Raum-Doktrin entfernt gewesen war. Die Resonanz beim Publikum war riesig... Nach dem Zweiten Weltkrieg ebbte diese hochsentimentale und doch kleingeistige Sehnsucht nach bebildeter Vermittlung einer heilen Welt nicht im Geringsten ab; Grün ist die Heide (1951) oder Der Förster vom Silberwald (1954), zwei Beispiele für wahre Kino-Kassenschlager dieser Jahre, spielten ihren Machern unvorstellbar hohe Summen ein. Bis 1960 entstanden sage und schreibe 300 (!) Heimatfilme. "Unberührte und idyllische Landschaften, wie Almwiesen, Täler und Berghänge, aber auch die norddeutsche Heidelandschaft, dienten vielen Menschen nach dem Krieg als Projektions- und Imaginationsfläche. Urbanität, städtische Tristesse, Alltagssorgen wichen so dem scheinbar Einfachen, Unschuldigen und Ewigen." (Quelle: Wikipedia)
Ab den frühen 1970ern nahmen die Heimatfilme-Produktionen nochmals kräftig zu, ab da etikettierte sich das Genre gar als "neu" oder sogar "modern". Einer der Nutznießer dieser Entwicklung war das Fernsehen, wo (in Endlosschleife) solche Serien wie Die Schwarzwaldklinik, Forsthaus Falkenau oder Der Bergdoktor bis heute laufen.
Künstlerisch Bedeutendes - unter der nach wie vor nicht unanrüchigen Vokabel "Heimatfilm" - gab es selbstredend auch: die mehrteilige Heimat-Saga Edgar Reitz' gilt als ein Meilenstein der deutschen Fernsehfilmgeschichte.
Heute nun kommt ein ganz andersartig aufgeschriebener und (zwischen April und Dezember 2020, wo in Österreich und allerorten der Corona-Lockdown allumfassend überwog) gedrehter Spielfilm in die Kinos, der mit diesem Heimatfilm-Begriff insofern nur zu tun hat, dass er auch a) auf der Alm, b) auf dem Bauernhof und c) in traditionell bedingter Einengung menschlicher Regungen und Taten spielt.
Märzengrund heißt dieser österreichische Film von Adrian Goiginger und fußt auf einem gleichnamigen Volkstheaterstück von Felix Mitterer.
"Die Erwartungen an Elias sind hoch: Er ist nicht nur ein ausgezeichneter Schüler, sondern auch Sohn der reichsten Großbauern im Zillertal. Bald schon soll er den Hof und die Besitztümer übernehmen. Doch je mehr der 18-Jährige versucht, die für ihn vorgesehene Rolle zu erfüllen, desto stärker droht er daran zu zerbrechen. Elias schlittert in eine Depression, die ihn mehrere Wochen ans Bett fesselt. Als er langsam wieder zu Kräften kommt, schickt ihn sein Vater auf Auszeit in den Märzengrund, einem Almgebiet, um das sich Elias einen Sommer lang kümmern soll. Doch als seine Familie nach einem halben Jahr kommt, um ihn abzuholen, lehnt Elias dies ab. Er zieht weiter hinauf in die Berge, über die Baumgrenze, wo ihn Wildnis und Einsamkeit erwarten. Elias entwickelt eine nahezu paradiesische Beziehung zur Natur und zu den Tieren. Nach vierzig Jahren zwingt ihn eine schwere Krankheit zurück in die Zivilisation." (Quelle: metafilm.at)
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Jakob Mader (als junger Elias) in Märzengrund (C) PROKINO Filmverleih GmbH
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Die zwischen den Jahreszeiten wechselnden Landschaftsaufnahmen von Kameramann Klemens Hufnagl sind in ihrer Wucht und Schönheit atemberaubend, sie assoziieren - jedenfalls bei mir - sofort den Film Die Wand (2012).
Und Elias' einsamkeitssüchtige und für ihn vollkommene (oder auch nicht oder viel weniger vollkommene) Lebensgeschichte ließ mich zwanghaft an die Außenseiter-Psychologien und -erzählungen der Kärnten-Romane eines Josef Winkler denken.
Jakob Mader und Johannes Krisch verkörpern suggestiv wie glaubwürdig den jungen wie den alt und krank gewordenen Elias.
Die unerfüllt gebliebene Liebesgeschichte des wegen ihrer traurigen Unerfülltheit anhaltend in Schwermut geratenen Elias zur irrlichtig vorangestellten Moid (Verena Altenberger) wird behutsam und zugleich erinnerungsbestimmend durchkommuniziert.
Das immer übergriffiger gezeigte Klammern von Elias' Mutter (Gerti Drassl) an den Sohn hat seinen unerwarteten Kulminationspunkt kurz vor dem mit einem Kleiderbügeldraht verübten Suizid des Schwermütigen, wo sie ihrem Sohne abverlangte, nicht vor ihr sein Erdendasein aufzukündigen, erreicht; sensationell auch, wie Tim Scheidig & Désirée Schober (zuständig für Maske) die mit einem Schlaganfall Gezeichnete brutal veränderten.
Grandiose Bilder und grandiose Schauspielkunst!!
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Andre Sokolowski - 25. August 2022 ID 13766
Weitere Infos siehe auch: https://metafilm.at/film/maerzengrund/
https://www.andre-sokolowski.de
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