M:I gegen KI
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Bewertung:
Große Unterhaltung, keine Frage! Auch der Begriff Actionspektakel trifft zu. Aber rasant, raffiniert, humorvoll und ironisch? Leider nicht so wie es hätte sein können! Ja, es sind sogar einige zähe Dialogszenen zu vermelden, die das angepeilte Tempo und Amüsement deutlich drosseln. Ähnlich wie beim neuen Teil um den Abenteuerhelden Indiana Jones ist auch dem halben siebten Teil der Mission: Impossible-Saga anzumerken, wie er unter der Last der frühen Erfolge an vielen Stellen ächzt und quietscht. So wie Superstar und Koproduzent Tom Cruise bei einer der spektakulärsten Szenen mit Vollgas per Motorrad von einem Bergzipfel düst und anschließend versucht, mit seinem Gleitschirm nicht rückwärts gegen die schroffe Felswand zu knallen, so hat auch diese Episode der M:I-Saga einige Mühe, die Erinnerung an die vorigen Teile produktiv zu nutzen, aber nicht von der gesteigerten Erwartung erdrückt zu werden.
Die Ausgangssituation ist raffiniert erdacht und schürt Neugier: Ein großer Unbekannter hat eine Künstliche Intelligenz erschaffen, die mühelos alle Firewalls dieser Welt überwindet und die Datenreservoirs von Regierungen, Geheimdiensten und Konzernen infiltriert – nicht um diese zu unmittelbar zu schädigen, sondern Wissen zu sammeln und sich weiterzuentwickeln, bis sie als Gedächtnis der Welt die abgeschöpften Machtquellen quasi zu Untertanen degradiert. Solcherart ist sie denjenigen, die sie bekämpfen wollen, immer ein paar Schritte voraus, weil sie antizipieren kann, was die Gegner sich ausdenken werden.
Unter dieser Prämisse ist ein variantenreiches Spiel wie Schach zu erwarten, bei der Spezialagent Ethan Hunt (Tom Cruise) und seine Mitstreiter*in Benji Dunn (Simon Pegg), Luther Stickell (Ving Rhames) und Ilsa Faust (Rebecca Ferguson) versuchen müssen, die Erwartungen des KI-Virus zu unterlaufen – und ihre jeweiligen Aktionen aus einer Metaebene zu betrachten. Die erforderliche dramaturgische Doppelbödigkeit setzt Drehbuchautor (und Koproduzent und Regisseur) Christopher McQuarrie leider nur in Ansätzen und bisweilen schwerfällig um. Am wirkungsvollsten geschieht dies bei einer Bombenentschärfung durch Benji, der statt Knöpfe zu drücken unter Zeitdruck Rätsel lösen muss (eine noch sadistischere Variante dieses Spiels gab es übrigens zu Beginn der Episode Game von 1970 in der Kultserie Mit Schirm, Charme und Melone).
Deutlich umständlicher gerät das Um-die-Ecke-Denken schon bei der ersten Konfrontation des Mission-Teams mit dem Mastermind hinter der KI-Krake in einem Club in Rome (nicht "of Rome", Scherz am Rande). Das Hinterfragen der jeweiligen Absichten und Motive der Beteiligten und der Risiken ihrer Handlungsoptionen werden dabei doch etwas zu lang und breit erörtert. Auch wenn es um die Gefahr einer globalen Wissensdiktatur geht: Dialoge, die aus einem Proseminar über Existenzphilosophie oder Computer-Ethik entlehnt scheinen, bremsen die Spannung unnötig aus und untergraben zudem die Bemühungen der Filmemacher, die Story zu ironisieren.
Es bleibt leider nicht die einzige Szene, in denen die Texte eher wichtigtuerisch ausgeatmet als elegant in die Runde geworfen werden. Zu viel steht für die Menschheit auf dem Spiel – und gerade, wenn das Spiel aus fortwährenden Intrigen und Finten besteht, müssen es die Helden wie die Schurken scheinbar immer wieder einmal in dunklen Tonlagen wispern und raunen. Damit die KI nicht gar so seelen- und körperlos wirkt wie dereinst der Supercomputer als dem dystopischen Science-Fiction-Film Colossus von 1970 (PR damals: i>„Bedroht ein Gehirn aus Stahl die Welt?“), wird ein zweiteiliger Schlüssel ins Spiel gebracht, also ein überraschend physisches Handwerkszeug, der die Geheimnisse der KI quasi aufzuschließen vermag. Auf diese Weise machen auch die sehenswerten und teils originellen Verfolgungsjagden Sinn, die man sich bei Beschränkung auf eine KI hätte sparen können.
Dass der Oberschurke Gabriel (Esai Morales) schon relativ früh im Film auftaucht, seine Boshaftigkeit übereindeutig ausbreitet und sich als ein Gespenst aus Ethan Hunts Vergangenheit entpuppt, wirkt dramaturgisch weder originell noch überzeugend. Hunt hatte vor seiner Arbeit als Spezialagent nämlich dicke, hässliche Flecken auf seiner weißen Weste, die nun wieder zum Vorschein kommen – no shit! Dass dabei die Frauen und nicht er über die Klinge springen müssen, ist zumindest in diesem ersten Teil von Teil 7 der Filmreihe wieder Gesetz der Serie. Der eine oder andere Abgang bleibt zu verschmerzen, denn das Auftauchen der eloquenten, smarten und fitten Meisterdiebin Grace (Hayley Atwell) ist der größte Gewinn des Films. Auch einige Nebenrollen, darunter ein Wiedersehen mit b>Henry Czerny als Geheimdienstmanager aus dem ersten M:I-Teil 1998, würzen die bisweilen ungewohnt schwerfällige Handlung.
Das wohl gravierendste Manko dieses M:I-Teils sind beileibe nicht die – für meinen Geschmack zu wenigen – protzigen Actionszenen. Sondern es ist die protzige Attitüde, mit der wichtige Themen wie eine KI-Bedrohung verhandelt werden: als grenzenlos-mäandernde Superkraft in unseren technischen Geräten, die zugleich mit einem putzigen Gimmick wie aus einem alten Yps-Comic abgeschaltet werden kann. Das erzeugt merkwürdige Schieflagen, deren Unglaubwürdigkeit stärker auffällt als früher: Könnte Ethan Hunt nicht einfach mit einem Verkleidungstrick in den Orientexpress einsteigen, anstatt dass er von den Alpen hunderte Meter weit in den Zug hineinspringen muss? Braucht es pittoreske Dolche, Schwerter und Säbel, damit Zweikämpfe z.B. auf kleinen Brücken in Venedig in die Länge gezogen werden, wo man sich doch einfach erschießen könnte?
Wichtigtuerisch oder gewollt wirken nicht nur diese Einfälle, sondern auch etliche Gesten (der Bösewicht steht wie eine Eins auf dem Dach des in voller Fahrt befindlichen Zuges; die erstochene Martial Arts-Kämpferin schafft es noch mit einem Messer in der Brust, zwei Erwachsene mit einer Hand aus dem Abgrund hochzuziehen). Sicherlich, all das ist angesichts der vielen effektvollen Szenen Meckerei auf hohem Niveau. Aber lieber wäre es mir gewesen, ich bräuchte nicht meckern. Nun bleibt zu hoffen, dass Christopher McQuarrie sich von seiner erfundenen KI eine dicke Scheibe abschneidet, damit der zweite Teil von Teil 7 meine Erwartungen noch mehr erfüllt.
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Mission: Impossible. Dead Reckoning (1) | (C) Paramount Pictures
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Max-Peter Heyne - 13. Juli 2023 ID 14288
Weitere Infos siehe auch: https://www.missionimpossible.com/
Post an Max-Peter Heyne
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