Wenn aus
Kriegspielen
Ernst wird
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Bewertung:
Mit Monos – Zwischen Himmel und Hölle hat der kolumbianisch-ecuadorianische Regisseur Alejandro Landes ein bildgewaltiges Kinoepos auf die Leinwand gezaubert, das sowohl vom Inhalt wie auch von der kinematografischen Umsetzung her mit internationalen Erfolgen wie Apocalypse Now (Regie: Francis Ford Coppola, 1979) und Fitzcarraldo (Regie: Werner Herzog, 1982) mithalten kann, insofern sie Höllentrips durch einen Dschungel zeigen. In Monos soll eine Gruppe von jugendlichen Kindersoldaten und -soldatinnen im Urwald auf die Geisel Doctora (Julianne Nicholson) aufpassen, die von „der Organisation“ entführt wurde und nach der von Polizei und Militär gesucht wird. Es werden keine spezifischen Guerilla-Bewegungen, kein einzelnes Land oder eine konkrete Gegend genannt, Landes und sein Co-Drehbuchautor Alexis Dos Santos haben die Geschichte bewusst zeitlos und universell gehalten.
Die fünf Jungen und drei Mädchen bekommen eine Kuh „geliehen“, damit sie genug Vitamine erhalten, die sie unversehrt wieder abzugeben haben. Als die Kuh bei einer Herumballerei aus Spaß versehentlich erschossen wird, glaubt der Anführer Wolf (Julián Giraldo), dass er dafür zum Tode verurteilt werden wird, obwohl es Hund (Paul Cubides) war, der den Schuss abfeuerte. Mit einem Schlag wird aus den jugendlichen Raufereien und Angebereien blutiger Ernst, der die elementarsten Überlebenstriebe freisetzt. Das Drehbuch ist in Anlehnung an William Goldings Kultroman Herr der Fliegen entstanden, in dem eine Gruppe von durchschnittlich gut sozialisierten Kindern sich selbst überlassen ist und sich unter extremen Bedingungen allmählich spaltet und gegenseitig Jagd aufeinander macht. Auch Landes schildert den Verlust kindlicher, sogar allgemein menschlicher, Unschuld unter entsprechend harten Umständen.
Die Jugendlichen stehen zwischen zwei Fronten: Die Gefahr besteht zum einen durch ein Funkgerät, durch das sie ihre Anweisungen von der Organisation erhalten und den gelegentlichen Besuchen von Commandante (Wilson Salazar), ist aber ansonsten unsichtbar. Etwas greifbarer sind die Hubschrauber und ein Angriff des Militärs, das die Geisel befreien will. Beide werden zu einer lebensgefährlichen Bedrohung, denn ihre Auftraggeber dulden keine Fehler, und die Regierung wird mit Rebellen keine Gnade walten lassen. Es entsteht eine Atmosphäre von Angst, Misstrauen und Denunziation, aus der es kein Entrinnen mehr gibt. Lady (Karen Quintero) hat nicht lange Zeit zu trauern, nachdem ihr Geliebter Wolf ums Leben kam, und wird die Geliebte des neuen Anführers Bigfoot (Moises Arías), und wie „die Schwedin“ (Laura Castrillón) in den südamerikanischen Bürgerkrieg hineingeraten ist, wird gar nicht erst erklärt. Die Jugendlichen tragen keine Geburtsnamen, sondern Merkmale: Der kindlichste von ihnen heißt Schlumpf (Deibi Rueda) und der wildeste Boom Boom (Sneider Castro).
Die DarstellerInnen wurden nach einem ausführlichem Casting gefunden und sind sehr gut zusammengewürfelt. Die junge Sofía Buenaventura ist eine Offenbarung. Sie spielt Rambo, ein androgynes Mädchen, das äußerlich maskulin und kriegerisch wirkt, sich aber einen weichen Kern behält.
Das gesamte Filmteam hatte eine anstrengende Aufgabe zu bewältigen, denn der Dreh im Dschungel und in Höhenlagen von über 4.000 Metern mit sauerstoffarmer und eisiger Luft war sehr herausfordernd. Die Jugendlichen mussten hoch über den Wolken zudem noch exerzieren, trainieren und sich mit der Machete ihren Weg durch den Urwald bahnen, vom fehlenden Komfort behaglicher, trockener und warmer Häuser ganz abgesehen. Für das Publikum machen aber gerade diese gewaltigen Drehorte ganz wesentlich die Faszination des Films aus, unter der Kameraführung von Jasper Wolf, wie auch die angemessene Filmmusik der Britin Mica Levi. Landes verzichtet auf überzogene Dramatisierungen und Showeffekte und lässt das fundierte Skript und die grundsolide Umsetzung auf uns wirken.
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Der Hintergrund des Films ist der Bürgerkrieg in Kolumbien, der seit etwa 50 herrscht, um die 220.000 Todesopfer sowie Millionen von Flüchtlingen gekostet hat und für den viele KindersoldatInnen rekrutiert wurden. Der Krieg hat, wie die Filmhandlung, eine Eigendynamik gewonnen, aus der es kaum einen Ausweg gibt. Die Rebellenorganisation FARC führt seit 1964 ihren Kampf, der sich zu Anfang gegen Paramilitärs und Drogenkartelle richtete, aber dann sehr wechselvoll wurde. Sie hat sich auf Lösegelder durch Entführungen spezialisiert, mit all den Risiken, die das birgt und die der Film auch zeigt. 2016 gab es einen Friedensvertrag mit der FARC und der Regierung, der aber 2019 von einigen Rebellen wieder aufgekündigt wurde, was zu erneuten bewaffneten Einsätzen führte. Zur Ruhe gekommen ist Kolumbien noch nicht, und wie will man Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene, die unter solchen Umständen gelebt und schlimme Taten begangen haben, wieder in die „normale“ Gesellschaft integrieren.
Da ist es kein Wunder, dass sich die Probleme des Landes auch in anderen kolumbianischen Spielfilmen widerspiegelt. Wie in Maria voll der Gnade (2004) und Birds of Passage (2019).
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Exerzieren fernab der Zivilisation | © DCM
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Helga Fitzner - 4. Juni 2020 ID 12279
https://dcmworld.com/portfolio/monos-zwischen-himmel-und-hoelle/
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