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Filmkritik

Über die Selbstliebe

und andere

Widrigkeiten



Bewertung:    



Rosa (Candela Peña) steht kurz vor ihrem 45. Geburtstag und ist an einem Punkt angelangt, an dem es nicht mehr weiter geht. Sie ist immer für alle da gewesen, doch von ihrer Familie und auf ihrer Arbeitsstelle als Kostümbildnerin wird sie nur ausgenutzt. Wertschätzung erfährt sie dabei nicht. Als nun auch noch ihr verwitweter Vater (Ramón Barea) gegen ihren Willen bei ihr einziehen will, entzieht sie sich durch Flucht. Wenn sie jetzt nicht lernt, für sich selbst einzustehen, dann wohl nie. Ohne ihren Freund Rafa (Xavo Giménez) darüber zu informieren, beschließt Rosa zu heiraten: und zwar sich selbst.

Die spanische Regisseurin Icíar Bollaín hat zusammen mit der Drehbuchautorin Alicia Luna ein Drehbuch entwickelt, das ein Phänomen beschreibt, das in den letzten Jahren vermehrt auftaucht. Menschen, insbesondere Frauen, wollen eine Beziehung zu sich selbst aufbauen und sich selber heiraten. Daraus ist bereits ein kleiner „Industriezweig“ inklusive Workshop-Angeboten entstanden. Wir sind so eingebunden in die Anforderungen von Familie, Arbeitgebern und Gesellschaft, dass oft keine Zeit bleibt, nach uns selbst zu schauen. Rosas Hochzeit ist ein Unterhaltungsfilm, eine Komödie mit tragischen Anteilen im besten Sinne. Dieser ist allerdings leichter und weniger sozialkritisch als Bollaíns eindrücklicher Film Der Olivenbaum von 2016. Rosa will nun von der Großstadt Valencia weg und in einen kleinen Küstenort ziehen, um den brach liegenden Schneiderladen ihrer Mutter und sich selbst wieder zum Leben zu erwecken.

Bollaín hat in dem Drehbuch Rosa natürlich einige Hürden in den Weg gestellt. Ihre in Großbritannien lebende Tochter Lidia (Paula Usero) hat sich von ihrem Partner getrennt und kehrt mit zwei Kleinkindern nach Hause zurück, weil ihr Traum vom Glück im Ausland gescheitert ist. Rosas Schwester Violeta (Nathalie Poza) hat gerade ihren Job als Dolmetscherin verloren und ihr Bruder Armado (Sergi López) ist dabei, seine Ehe und Familie zu ruinieren. Die lebenskluge Regisseurin lässt Rosa die Erfahrung machen, dass es gar nicht immer gut ist, den Menschen zu helfen. Violeta ist nun gefordert, sich ihrer Alkoholsucht zu stellen, und Armado muss mit den Konsequenzen umgehen lernen, die seine Macho-Macher-Attitüden auslösen, ohne dass Rosa das immer wieder abfedert. Auch hier wäre es nicht Bollaín, wenn es ihr nicht gelänge, den Möchtegern-Patriarchen in seiner Hilflosigkeit sympathisch erscheinen zu lassen. Er meint es gut und kann halt nicht aus seiner Haut heraus. Wenn er arbeitet und arbeitet und noch mehr arbeitet, muss es doch beruflich wieder aufwärts gehen. Glaubt er.

Die Geschwister müssen nun ihre seit der Kindheit geprägten Rollenmuster erkennen und überdenken. Violeta kommt trotz ihres Alkoholnebels Rosas Anliegen am nächsten und kann zwischenzeitlich auch zuhören. Sie macht ihr klar, dass die Familie ohne Rosa längst zusammengebrochen wäre, versteht aber auch, dass das auf Kosten von Rosas Leben gegangen ist. Insgesamt stehen Rosas Chancen auf Unabhängigkeit schlecht, denn da sind die kleinen Zwillinge ihrer alleinerziehenden Tochter, vor denen eine ungewisse Zukunft liegt. Da sich in der Familie aber keiner so richtig zuhört, droht aus der sehr kleinen und intimen Feier eine ausufernde Geschichte zu werden, weil jede/r meint, für eine Überraschung sorgen zu müssen. Da ist bei allem Chaos auch sehr viel Liebe und Familiensinn. Der Showdown...

Bollaín hat sich für eine Komödie entschieden und es ist eine ziemlich hohe Kunst, Menschen zum Lachen zu bringen. Sie erreicht das durch die nur leichte Übertreibung allgemeinmenschlicher Schwächen, mit denen sich jede/r identifizieren kann, und durch die Ausrichtung auf ein ungewöhnliches Ziel. Denn viele können mit einer Hochzeit mit nur einer Person nichts anfangen. Jede einzelne Figur ist so genau gezeichnet, dass man Anteil an ihr nimmt. Außerdem ist jede/r in der Blase seines eigenes Selbst gefangen mit nur wenig Schnittmengen mit den anderen. Daraus entstehen immer wieder skurrile Situationen und einige Lacher. Bollaín erklärt aber auch:


„Außerdem behandeln wir im Film ernste Themen. Was Rosa erlebt, ist sehr ernst, ihr bricht die Decke über dem Kopf zusammen. Nicht ins Oberflächliche abzurutschen und nicht zu dramatisch zu werden, das war der schmale Grat, auf dem wir uns die ganze Zeit bewegt haben, beim Schreiben, beim Drehen mit den Schauspielern, aber auch in der Musik, den Farben, dem Rhythmus, der Kamera, der Montage.“


Der beschriebene Balance-Akt ist Bollaín gelungen. Rosas Hochzeit ist Sommer-Sonne-Wohlfühl-Kino, aber mit authentischen Figuren, relevanten Themen und wunderbaren SchauspielerInnen. Der Film wurde im Jahr 2020 gedreht, als wir das Ausmaß und die Dauer der weltweit zunehmenden Fremdbestimmung noch nicht erkennen konnten. Wer den Weg der Eigenverantwortung und Selbstermächtigung einschlägt, hat mit Widrigkeiten zu kämpfen, die Bollaín auf humorvolle Art aufs Korn nimmt. Es ist auch nicht so, dass Selbstliebe zu Rücksichts- und Verantwortungslosigkeit führen muss. Vielmehr beendet sie diese Art der Selbstsabotage und Selbstmissachtung, die dann zu einem befreitem Umgang mit sich selbst und anderen befähigt. So sind am Ende fast alle ein wenig erwachsener geworden, obwohl diese freiwillige Abhängigkeit von Rosa doch so bequem war.



Rosa (Candela Peña) träumt von einer eigenen kleinen Schneiderei | © Piffl Medien GmbH

Helga Fitzner - 30. Juni 2021
ID 13006
Weitere Infos siehe auch: http://www.rosas-hochzeit.piffl-medien.de/


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