Über den Tod
als tiefem
Gipfel der
Vergänglichkeit
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Bewertung:
Robert Schwentkes Film Seneca handelt über die letzten Tage des römischen Philosophen, Dramatikers, Naturforschers, Politikers und Stoikers Lucius Annaeus Seneca, genannt Seneca der Jüngere (* etwa im Jahre 1, † 65 n.Chr.):
"Rom im Jahre 65 nach Christus. Der junge Nero blüht in einer Mischung aus Größenwahn, Paranoia und körperlicher Gewalt auf.
Der berühmte Philosoph Seneca ist von Kindheit an Neros Lehrer, Mentor und enger Berater, er ist maßgeblich an seinem Aufstieg beteiligt. Trotzdem wird Nero Seneca überdrüssig und so nutzt Nero einen vereitelten Anschlag auf sein Leben, um Seneca fälschlicherweise als Mittäter anzuklagen.
Ein Bote überbringt Seneca während einer dekadenten Feier auf dessen Landsitz das überraschende Todesurteil von Kaiser Nero. Bis zum Morgen soll er sich selbst töten. Er hat die Wahl, sich freiwillig Neros Zenturien auszuliefern, die bekanntermaßen sehr brutal sind – oder aber seinen Tod angenehmer zu gestalten und im Beisein seiner Freunde zu sterben. Seneca akzeptiert sein Schicksal und will sich wie Sokrates mit einer letzten Lektion seiner Lebensphilosophie an seine Anhänger aus dem Leben verabschieden. Danach plant er, sich seine Handgelenke aufschlitzen zu lassen und so seinen Platz in die Geschichtsschreibung zu zementieren. Genauso passiert es, allerdings stirbt Seneca quälend langsam. Er hält eine hochtrabende Rede nach der anderen und versucht immer wieder sich zu töten. Doch er ist alt und das Blut will nicht aus seinen Adern fließen: Sein Körper widersetzt sich, er will einfach nicht sterben.
Diese letzte Nacht wird zu seiner Bewährungsprobe: Wer ist er wirklich? Ein Opportunist, Heuchler und Kollaborateur oder, seinem Selbstbild entsprechend, ein moralisch aufrechter, weiser Mensch, der dem Tod ohne Angst ins Antlitz schaut?"
(Quelle: Weltkino Filmverleih)
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Seneca mit John Malkovich (als Titelfigur) und Tom Xander (als Nero) Bildquelle: filmgalerie451.de
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Die 112 Minuten Filmdauer vergehen wie im Flug - die Konzentration auf die gesprochenen Dialoge (und Monologe) geschieht fast zwangsläufig; das, was geredet wird, klingt ziemlich gut, und eigentlich empfindet es sich - trotz des sichtbar optischen Aufwands (Außenaufnahmen in Marokko; Kostüme von Anna Wübber, Make-up und Hair Design von Julia Böhm & Friederike Schäfer) - mehr als Kammerspiel, als wäre man in einem Freilichttheater, wo der eigentliche Protagonist, halt Seneca (überzeugend wie überragend performt von John Malkovich!), die Aufmerksamkeit aller bei und mit ihm Außerdem-Agierenden auf sich zieht. Schwentke hat mit Matthew Wilder das Drehbuch verfasst; das meiste nach historischen Quellen und mit heutigem Sprech gewürzt und angereichert.
Im Zentrum der ersten Spielfilmhälfte steht eine Liebhaberaufführung von Senecas Tragödie Thyest; der Theater- und Opernregisseur Ersan Mondtag wurde für die szenische Realisierung eigens engagiert: Es geht um eine antike Bruder-Rache-Geschichte, in der Atreus (der Bruder von Thyestes) die Söhne seines Bruders tötet, sie anschließend zu einem Mahl bereitet und es dem unter Drogen stehenden Thyestes kredenzt o.s.ä. Die Aufführung gerät zu einem Splatter; tatsächlich werden zwei mitspielende junge Sklaven aufs Bestialische abgeschlachtet, und Samuel Finzi (als Statius) hackt und kocht sie endgültig zu Brei. Das alles vor den Augen eines handverlesenen Publikums aus römisch-aristokratischen Kreisen; darunter die geniale Geraldine Chaplin (als Cevilia), Julian Sands (als Rufus) oder Wolfram Koch (als Fabius).
Lilith Stangenberg (!!) ist als Senecas junge Frau zu sehen und zu hören - nachdem der von Kaiser Nero zu Seneca entsandte Todesbote (Andrew Koji) die unausweichliche kaiserliche Note überbrachte und sich bis zum Morgengrauen erst mal wieder fortempfiehlt, beschließt das ungleiche Paar gemeinsam zu sterben; ihr inszenierter "Liebestod" klappt aber nicht, denn: Nachdem Finzi dem Malkovich und der Stangenberg alle an ihnen verfügbaren Schlagadern mit einem scharfkantigen Messer aufschlitzt, verblutet zwar die Lilith langsam und allmählich, während Johns Pulse überhaupt nicht funktionieren, sprich, es fließt bei ihm partout kein Blut; auch das dann wieder splatterhaft-naturalistisch dargestellt und nichts für schwache Nerven.
Zum bitteren Ende lässt Seneca all das Vergeblichseiende und -werdende seiner eigenen Theorien deutlich verlautbaren frei nach dem Motto: Unser aller Ende erfolgt entweder deutlich vor oder halt (spätestens) zum baldigst nahenden Weltuntergang. Grandiose Aussicht.
Sehens- und hörenswerte Gewalt-Groteske, sehr intelligent gemacht.
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Andre Sokolowski - 22. März 2023 ID 14113
Weitere Infos siehe auch: https://www.filmgalerie451.de
https://www.andre-sokolowski.de
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