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Neues deutsches Kino

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Über den Dächern von Berlin geschehen nachts seltsame Dinge. Eine Frau, der Erzengel Michaela (Lina Beckmann), öffnet auf einem Flachdach eine Art Kiosk und legt Bücher aus. Nach und nach erscheinen allegorische, schwarz gekleidete Gestalten aus dem Nichts und holen die Lebensbücher ab. Sie sind der Tod und machen sich auf den Weg, die sterbenden Menschen abzuholen und bei ihrem Übergang zu begleiten. Der Tod Morten (Marc Hosemann) bekommt einen noch jungen Mann zugewiesen, dessen irdische Zeit ebenfalls abgelaufen ist. Reiner (Dimitrij Schaad) ist Altenpfleger und eigentlich mit dem Sterben vertraut, aber als Morten vor seiner Tür steht und ihm erklärt, dass er noch drei Minuten zu leben habe, kann er das nicht fassen. Er hat Glück, dass die Diskussion mit Morten und das Auftauchen seiner Ex Sophia (Anna Maria Mühe, Geschichte einer Familie 2023) den Zeitplan durcheinander bringt und Reiners Ableben vorerst verhindert. Morten ist wegen des Fehlschlags jetzt an irdische Gesetze gebunden und muss die beiden im Auge behalten, bis Michaela sich der Sache annimmt.

Sophia, der Tod und ich ist das fulminante Debüt als Spielfilmregisseur des Schauspielers Charly Hübner und basiert auf dem Romanbestseller von Thees Uhlmann sowie dem Drehbuch von Lena May Graf. Er spielt in einer mittelmäßigen Welt mit durchschnittlichen Personen, die alle ein etwas desillusioniertes Dasein fristen. Reiner ist ziemlich verpeilt, antriebsschwach und greift gerne zur Flasche. Seine Ex Sophia ist da etwas heller, nörgelt aber – wohl zurecht – ständig an ihm herum, denn er hat den Geburtstag seiner Mutter vergessen, obwohl die beiden die Reise zu ihr nach Norddeutschland fest geplant hatten. Trotz aller gebotenen Eile verpassen sie den rechtzeitigen Zug und kommen ziemlich angetrunken erst drei Minuten vor Mitternacht an, als Lores (Johanna Gastdorf) Geburtstag fast vorüber ist. Als sie Lore dann erklären, was es mit dem Tod Morten in ihrer Begleitung auf sich hat, kommt das in seiner Tragweite erst einmal nicht an.

Erst als der Tod Morck (Carlo Ljubek) auftaucht und Reiner ans Leben will, wird allen der Ernst der Lage und die Unausweichlichkeit von Reiners Ableben bewusst. Als Reiner nach dieser Begegnung immer noch lebt, erwacht vor allem seine Mutter aus der Erstarrung. In einer wilden Flucht vor Morck fahren sie mit ihrem Auto nach Süddeutschland, weil Reiner dort noch etwas zu erledigen hat. Denn er hat einen siebenjährigen Sohn, den er noch nicht kennt und immer zu feige war, sich ihm vorzustellen. Das soll gelingen, bevor er stirbt, und mittlerweile hat Erzengel Michaela den Chef eingeschaltet, G. (Josef Ostendorf), der die göttliche Ordnung wiederherstellen will.

Auf ihrem Roadtrip kehren sie in einem abgeschiedenen Hotel ein, in dem sie einem unwirschen Wirt (Charly Hübner, Mittagsstunde 2022) begegnen; ein komödiantischer Ausgleich für die zunehmende Tragik und Ernsthaftigkeit der Geschichte. Das Hotel und sein Betreiber sind von einer Spießigkeit an der Schmerzgrenze, bieten Reiner und Sophia aber die Möglichkeit, sich einander wieder anzunähern. Derweil stellen sich die drei Protagonisten den existentiellen Fragen des Lebens, die Mutter muss mit dem anstehenden Verlust ihres Sohnes umgehen, Sophia mit dem ihres Freundes, an dem sie irgendwie immer noch hängt. Reiner lebt in einer mittelmäßigen Welt, in einem Haus mit schäbigem Hausflur und einem Leben, in dem es keine Perspektiven gibt, zumindest keine, denen er die Kraft und Vision hätte, zu folgen. Jetzt läuft ihm die Zeit davon und Versäumtes lässt sich nun schwerlich nachholen. Trotzdem hängt er natürlich an diesem Leben und die Endgültigkeit des Todes setzt ihm zu.

War es am Anfang noch ein leichtes Spiel für die superben Mimen, so sind ihre Fähigkeiten gegen Ende mehr und mehr gefragt, und sie erfüllen ihre Aufgabe hervorragend, inklusive Charly Hübner, der als Wirt ein herrliches Ekelpaket spielt. Derweil läuft die Zeit und der Weg nach Süddeutschland ist weit...

Hübner hat es bewusst vermieden, einen Hochglanzfilm zu drehen, sogar die Bilder sind körnig und alles andere als brillant, wirken angekratzt wie Reiners Leben. Die Banalität alltäglicher Aktivitäten, wie Bahnfahren, steht im Kontrast zur Schwere des kommenden Ereignisses. Ein Kampf zwischen Morten und Morck ist eine herrliche Persiflage auf Martial Arts Filme, die Wortkargheit erinnert an skandinavische Filme. - Der Soundtrack des Films ist maßgeschneidert mit Kompositionen von Jörg Gollasch sowie Steiner & Madlaina, die auch eigene Songs beigesteuert haben, und mit dazu beitragen, dass dieser Film ein Juwel ist.



Mutter Lore (Johanna Gastdorf), Reiner (Dimitrij Schaad), seine Ex Sophia (Anna Maria Mühe) und der Tod Morten (Marc Hosemann) auf einem Roadtrip | © DCM Mike Krüger

Helga Fitzner - 31. August 2023
ID 14361
https://dcmstories.com


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