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Nicht nur Spider-Man, auch die gesamte Marvel-Comic-Filmreihe ist weit gekommen: heruntergekommen! Hätten die Produzenten es doch bloß nach dem gelungen Avengers-Abschluss dabei belassen! Doch das Gesetz der popkulturellen Serie duldet keine Pause oder gar Ende. Der zweite Film des (ohnehin überflüssigen) Neustarts der Spider-Man-Reihe bietet allenfalls Zerstreuung, wenn man über folgende Mängel hinwegsieht: eine unzulängliche Dramaturgie ohne Spannungsbögen, für den Handlungsprozess bedeutungslose Konflikte, oberflächliche Charaktere, unglaubwürdige Figurenbeziehungen, substanzlose Dialoge, schmierige computergenerierte Spezialeffekten an der Grenze zur Lächerlichkeit, konventionelle Postkartenansichten europäischer Großstädte, ein Dutzend Witze verteilt auf über 120 Minuten.

Als jemand, der grundsätzlich weder etwas gegen Mainstream-Movies noch Comicverfilmungen noch eskapistisches US-Unterhaltungskino einzuwenden hat, wenn denn die Zutaten stimmen, ist dieser Film eine ebenso große Zumutung wie ein trister, dialog- und handlungsarmer, langweiliger Feel-bad-Movie aus Slovenien, den ich ironischerweise am selben Tag auf dem selben Filmfestival gesehen habe, nämlich im böhmischen Karlovy Vary/Karlsbad. Der tschechischer Verleiher war verständlicherweise stolz, inmitten der Arthaus-Filme des Festivals im großen Saal für die Massen-Gaudi sorgen zu können, was mit dem Umstand zusammenhing, dass Teile des Films in Prag gedreht wurden. Aber ebenso wie Venedig, Berlin und London sind die Städte austauschbare Kulissen für diverse substanzlose Kämpfe, die Spider-Man (ein blasser Tom Holland) mit einem neuen Supergegner austragen muss. Erst nach einer Weile kommt er dahinter, dass die martialischen Zerstörungen, die ein Wasser- und ein Feuermonster in den europäischen Metropolen vom Stapel lassen, auch innerhalb der Filmhandlung nur CGI-Tricks sind, nämlich Trugbilder aus einer Amarda tausender Drohnen, die mit Laserprojektoren ausgestattet sind. An sich eine interessante Idee, dass der Bösewicht einen Budenzauber veranstaltet, um sich dann als vermeintlicher Retter der Menschheit aufzuspielen. Jake Gyllenhaal als zwielichtiger Mr. Mysterious, der sich eher auf die Manipulationsmacht von Digitaltechnik und Massenmedien stützt als auf seine Superkräfte, ist einer der wenigen Pluspunkte des Films.

Doch die Drehbuchautoren halten es lieber wie die Monster: Sie reißen ihre eigenen guten Ideen gleich wieder ein und verzichten darauf, die Illusionen von Mr. Mysterious innerhalb des mit Illusionen arbeitenden Spider-Man-Films zu nutzen und eine doppelte Bedeutungsebene einzuziehen. Stattdessen lässt man es krachen, ohne dass dies irgendetwas Substantielles für die Charakter- oder Dramturgieentwicklung beiträgt. Krater werden nicht in Venedigs und Prags Zentrum gerissen, sondern nur in die Glaubwürdigkeit der Handlung: Selbst wenn die Monster nur Luftschlösser sind, sollen die Menschen im Film doch glauben, dass sie echt sind – sie sollten also auch als Filmbilder im Film überzeugend wirken. Doch die mithilfe eines runden Dutzend verschiedener CGI-Butzen gebastelten Bildergewitter wirken als seien sie während eines IT-Wochenend-Workshops an der örtlichen Volkshochschule entstanden.

Und überhaupt: Mir ist noch nicht bekannt, dass es bei 4K oder 8K-High Definition-Projektionen auch spritzt, stürmt und brennt und die Zuschauer anschließend im Rauch stehen oder pitschnaß sind. Auch wundert man sich, dass die Nachrichten weltweit von Zerstörungen berichten, die kaum Spuren hinterlassen haben. So aber ist der ganze Film veranlagt: Nichts ist ernst gemeint, nichts hat Bedeutung, nichts hat Folgen außer der nächsten Fortsetzung. Aber Null mal Null mal Null bleibt Null. Letztlich lässt einen die Handlung kalt und bleiben einem die Figuren relativ egal. So taugt der Film lediglich als (trauriges) Beispiel dafür, was die soziokulturellen Theorien zur Massen- bzw. Populärkultur über Blockbuster-Kinofilme als Teile der Mainstream-Kultur beschrieben und analysiert haben: Was im kapitalistischen Verwertungszyklus endlos wie eine alte Zitrone augequetscht wird, verliert irgendwann jede Substanz. In Bezug auf dieses verunglückte Spektakel muss man kein Anhänger der strengen Kritischen Theorie der Frankfurter Schule à la Adorno sein – auch wer die affirmative, auf die individuellen Werke bezogenen Cultural Studies eines Frederic Jameson bevorzugt, findet hier ein Untersuchungsobjekt par excellence.

Ach ja: Es gab in Karlsbad höflichen Applaus.



Spider-Man: Far From Home | (C) SONY Pictures

Max-Peter Heyne - 5. Juli 2019
ID 11547
Weitere Infos siehe auch: https://www.spidermanfarfromhome.movie/


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