Liebe geht
durch den
Magen
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Bewertung:
Die deutsch-israelische Koproduktion The Cakemaker ist eine wahre Filmperle, wie sie selten vorkommt. Gedreht in den beiden Orten Berlin und Jerusalem, in denen Regisseur und Drehbuchautor Raul Ofir Graizer abwechselnd zu Hause ist, entspinnt sich behutsam und feinfühlig ein leises, sich steigerndes, aber nicht überdramatisiertes Drama, dass zutiefst berührt, weil es die Gefühle seiner Protagonisten in all seiner Komplexität und Widersprüchlichkeit ernst nimmt. Wahrscheinlich gibt es seit Sunday, Bloody Sunday (1971) des 2003 verstorbenen britischen Regisseurs John Schlesinger keinen Film, der eine bisexuelle Dreiecksgeschichte so mitfühlend und authentisch in Bilder gefasst hat.
Dass es eine Dreiecksgeschichte ist, wissen in The Cakemaker – anders als in Schlesingers Film – zwei der drei Liebenden nicht. Denn der israelische Geschäftsmann Oren führt ein perfekt getarntes Doppelleben: In seinem Heimatland ist er der liebende Ehemann von Anat (großartig: Sarah Adler) und Vater des gemeinsamen, kleinen Sohnes Itai, als Geschäftsreisender in Deutschland flirtet er mit dem Bäcker einer Konditorei in Berlin-Wilmersdorf, Thomas. Aus dem Flirt wird eine Liebesgeschichte, die jäh endet, als Oren bei einem Unfall in Jerusalem stirbt. Der entsetzte Thomas (ebenfalls großartig: der noch unbekannte Tim Kalkhof) erfährt nur durch Zufall davon. Er merkt, dass es ihn in die Heimat des verstorbenen Geliebten zieht, um festzustellen, wie dieser dort gelebt hat. Tapsig und unsicher erschließt sich Thomas die Stadt, belässt es dabei, Orens Witwe, die von seiner Existenz nichts weiß, in ihrem kleinen Bistro zu beobachten.
Als Anat ihn anspricht und mehr und mehr sympathisch findet, ihm sogar eine Stellung als Bäcker in ihrem Café anbietet, nimmt Thomas mehrfach Anlauf, um ihr die Wahrheit über ihn und ihrem verstorbenen Mann zu beichten. Aber teils traut er sich nicht, teils verpasst er den richtigen Zeitpunkt. So wird er für Anat und Itai allmählich zu einem Dauergast, der ihnen in ihrer Trauer Trost spendet – Trost, den er selbst ebenfalls empfindet, wenn er bei Anat ist. Skeptisch bis ablehnend reagiert nur Orens Bruder (Zohar Shtrauss), der die konservative jüdische Gemeinde vertritt und auf Deutsche generell nicht gut zu sprechen ist.
Dass Thomas seine Homosexualität und sein Ex-Verhältnis lange geheim hält, wird in Graizers sanfter Inszenierung nicht als bloße Feigheit verengt, d.h. nicht die religiös oder gesellschaftlich grundierten Vorurteile und die Angst davor bestimmen das Nicht-Handeln des Protagonisten. Es ist stark auf die Personen bezogen, und damit womöglich noch komplexer als es bei einer Abrechnung mit dem Konservatismus innerhalb der israelischen Gesellschaft gewesen wäre: Es geht um Thomas‘ Unsicherheit in der Fremde, seinem Respekt vor der Frau seines Geliebten, der Angst, ihr weh zu tun und seine Diskretion in Bezug auf Privates.
Die Trauer führt beide Hinterbliebenen zusammen, bis die schmerzliche Wahrheit ans Licht kommt. Herausragend sind neben dem sensiblen Drehbuch, in dem jedes Wort stimmig wirkt, und der konzentrierten Regie auch die schauspielerischen Leistungen der Hauptdarsteller. Entstanden ist die Zusammenarbeit mit dem Berliner Produzenten Mathias Schwerbrock bei einer Präsentation von Drehbüchern auf der Berlinale 2014. Berlin hat Regisseur Graizer seitdem oft besucht und dabei auch Freunde kennengelernt, die ihn mit den Schönheiten der Uckermark bekannt gemacht haben. Die Region hat ihm so gefallen, dass Graizer sich vom Erbe seiner Großmutter ein Haus in Gerswalde in der Uckermark gekauft hat. Mit The Cakemaker, der jüngst fast alle nationalen israelischen Filmpreise abgesahnt hat, etabliert er sich schlagartig als einer der begabtesten Talente des israelischen – und letztlich auch deutschen – Films. Durch die Preise ist der Film automatisch als israelische Nominierung für die Kategorie Bester fremdsprachiger Film für die nächste Oscar-Verleihung im Februar vorgeschlagen.
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The Cakemaker | (C) missingFILMs
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Max-Peter Heyne - 2. November 2018 ID 11009
Weitere Infos siehe auch: https://www.missingfilms.de/index.php/filme/10-filme-neu/283-the-cakemaker
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