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UNSERE NEUE GESCHICHTE (Teil 47)

Im Western

viel Neues



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The Dead Don't Hurt hat alles, was ein Western braucht: Wir haben einen erhabenen Helden, seine Herzensdame, ein Kaff mitten im Wilden Westen, böse Buben und einen Kampf zwischen Gut und Böse. Die Drehorte sind grandios, es wurde in den üppigen Wäldern von Kanada gefilmt und im mexikanischen Bundesstaat Durango, wo schon häufiger Western produziert wurden. Das Multitalent Viggo Mortensen hat in seiner zweiten Regiearbeit nicht nur das Drehbuch geschrieben, sondern führt auch Regie und ist als Produzent beteiligt. Den Filmscore komponierte er selbst, und da gleich mehrere Besetzungen für die männliche Hauptrolle ausfielen, spielte er sie selber. Das war den Finanziers ganz recht, weil Mortensen ein Zugpferd ist und allein seit seiner Rolle als Aragorn in Herr der Ringe immer noch seine Fangemeinde hat. Und auch Vicky Krieps, die für die weibliche Hauptrolle früh zugesagt hatte, riet Mortensen, selbst zu spielen, obwohl er eindeutig zu alt für die Rolle ist. Die Chemie stimmt, Krieps ist einfach superb und Mortensen immer noch ein attraktiver Mann. - Indianer kommen im Film allerdings nicht vor, denn die Westernkulisse dient nur als Hintergrund für ein ganz anderes Anliegen.

*

Im Mittelpunkt steht die Franko-Kanadierin Vivienne Le Coudy (Vicky Krieps, Der seidene Faden 2017), die in San Francisco als Blumenverkäuferin ihren Lebensunterhalt verdient und sich von den sie umwerbenden Männern der feinen Gesellschaft gelangweilt fühlt. Der wortkarge dänische Immigrant Holger Olsen (Viggo Mortensen) ist da schon ein anderes Kaliber, und sie ist fasziniert von ihm. Sie folgt ihm in das kleine Westernkaff Elk Flats in Nevada, in dessen Nähe er sich niedergelassen hat, wo das Leben nicht entschleunigter und bescheidener stattfinden könnte. Sein Zuhause ist eine kleine Holzhütte mitten in einer kargen Umgebung. Da wird erst einmal geputzt und verschönert, und Olsen pflanzt Bäume und hebt Erde für Blumenbeete aus, was die Umgebung zunehmend wirtlicher aussehen lässt. Vivienne nimmt eine Arbeit im Saloon von Elk Flats an, ohne Olsen zu fragen. Der respektiert seine Gefährtin aber genug, um ihr die Entscheidungsfreiheit zu lassen, und das führt zum eigentlichen Thema des Films. Er ist Mortensens Mutter gewidmet, die nach der Scheidung von ihrem Mann ihren Sohn Viggo und seine beiden Geschwister durchbringen musste. Er hat das heutige Konzept einer modernen Frau in eine andere Zeit und eine andere Örtlichkeit verlegt, die im diametralen Widerspruch dazu stehen.

In Elk Flats herrscht der Rancher Alfred Jeffries (Garett Dillahunt) mit eiserner Faust, der zusammen mit dem Bürgermeister Rudolph Schiller (Danny Huston) und dem Richter J. Blagden (Ray McKinnon) ein Unrechtsregime in der Gegend errichtet hat. Er kauft immer mehr Land und auch Menschen, indem er sie von sich abhängig macht. Die Macht des Vaters ist seinem Sohn Weston (Solly MeLeod) zu Kopf gestiegen, denn er terrorisiert den Ort, ist gewalttätig und tötet sogar. Er kommt aufgrund der korrupten Gesellschaft bislang immer davon. Auch Olson wird für den Bau einer Scheune von Alfred Jeffries engagiert, und weil er gut arbeitet, soll er weitere Aufträge bekommen. Da kommen eines Tages Soldaten in die Stadt und werben Männer an, die in der Armee der Union für die Abschaffung der Sklaverei kämpfen sollen. Olsen hatte in Dänemark schon im Militär gedient, nun meint er, sich auch für seine neue Heimat einsetzen zu müssen.

Vivienne ist wütend und entsetzt, aber er lässt sie tatsächlich allein zurück. Als er nach Jahren unversehrt zurückkehrt, hat sie einen kleinen Sohn, der nicht von ihm sein kann. Als er erfährt, dass Vivienne von Weston vergewaltigt wurde, nimmt er sein Gewehr und will sofort in den Ort reiten, aber Weston hat ein paar Menschen zu viel getötet und wurde irgendwohin nach Mexiko verbracht, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Vivienne und Olsen lernen sich neu kennen und schätzen. Sie liebt ihren Sohn, den sie nach ihrem früh verstorbenen Vater Vincent benannt hat, und auch Olsen ist dem Jungen zugetan, obwohl er der Sohn eines Mörders und Vergewaltigers ist, der völlig außer Kontrolle geraten ist. Die beiden haben einen totalen Gegenentwurf zu den Machthabern von Elk Flats. Vivienne hat sich mit der Familie des mexikanischen Klavierspielers im Saloon angefreundet, die ihr sehr geholfen hat, als Vincent auf die Welt kam und die ihn versorgt, während sie arbeitet. Das wird von den Bestimmern im Ort mit Misstrauen betrachtet, insbesondere von Weston.



Kommt es zum Showdown nach Western-Manier? Holger Olsen (Viggo Mortensen) und sein kleiner Ziehsohn Vincent (Atlas Green) (re.) treffen auf den Mörder und Vergewaltiger Weston Jeffries (Solly McLeod) | © Marcel Zyskind, Alamode Film


Vieles ist für einen Western ungewöhnlich. Die Hauptpersonen sind nicht angelsächsischer, sondern französischer und dänischer Herkunft. Der Protagonist ist eine Frau, die selbständig, selbstwirksam und selbstgenügsam ist. Das hat sie mit Olsen gemeinsam. Die beiden haben einen inneren ethischen Kompass, nach dem sie handeln, und sind einer Welt des Unrechts und der Gesetzlosigkeit ausgesetzt. Sie streben nach inneren Werten und nicht nach äußerer Anerkennung und materiellen Gütern. Dann kommt es zu einem schweren Schicksalsschlag.

Mortensen erzählt die Geschichte nicht chronologisch, sondern in zunächst nicht ganz verständlicher Reihenfolge. Sein Kameramann Marcel Zyskind hat aber derart intensive Bilder geschaffen, dass man als Zuschauer dran bleibt. Das versetzt das Publikum in die Lage, über ein größeres Wissen zu verfügen als die handelnden Personen. Es ist ganz klar, dass Olsens Entscheidung, Vivienne in dem rücksichtslosen Umfeld jahrelang sich selbst zu überlassen, eine falsche ist. Das sieht Olsen später auch ein, der zwar nichts sagt, aber seinen Kriegsorden in einen tiefen See wirft.

Der Film ist auch eine Abhandlung über Sühne und Rache. Im klassischen Western kommt es im Regelfall zu einem Showdown, einem Duell auf Leben und Tod, und damit sind der Rache und Sühne Genüge getan. Der Titel gibt Aufschluss darüber, dass Mortensen das differenzierter sieht. Als er mit dem kleinen Vincent unterwegs ist, schießt er zwei Vögel, damit sie zu essen haben. Der Kleine (Atlas Green) fragt, ob die Vögel Schmerzen haben. „The dead don't hurt“, erklärt Olsen ihm, die Toten haben keine Schmerzen. Das wird innerfilmisch nicht weiter erklärt, heißt aber im Umkehrschluss, dass wir nur leiden können, solange wir leben.

Wie schon in seiner ersten Regiearbeit Falling beeindruckt auch The Dead Don't Hurt durch sein entworfenes Menschen- und Gesellschaftsbild. Das ist durchaus modern, aber selbst in unserer Zeit von seinem idealtypischen Ansatz noch nicht annähernd Realität. Die Protagonisten ruhen in sich selbst, wissen um ihre eigene Wertigkeit und gehen gnädig mit ihren Defiziten um. Das versetzt sie in die Lage, genau das bei anderen zulassen zu können, und sie entwickeln sich stetig weiter. Vivienne und Olsen können separat für sich selbst stehen, haben ihre „Heimat“ in sich selbst gefunden. Dadurch können sie einander auf Augenhöhe begegnen und müssen nicht die Bedürftigkeit oder Kontrolle durch den jeweils anderen ausleben.

Mortensen plant einen dritten Film, in dessen Drehbuch es definitiv keine Rolle für ihn geben soll. Schade eigentlich, denn man sieht ihm gerne zu. Er gehört mit seinem zweiten Film/Skript zu den visionären westlichen Drehbuchautoren und Filmemachern und es wird spannend sein, das weiter zu verfolgen.
Helga Fitzner - 8. August 2024
ID 14865
Weitere Infos siehe auch: https://www.alamodefilm.de/


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