Ausbruch (aus) der Gewaltspirale
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Bewertung:
Für afroamerikanische Kinder in den USA gibt es eine zusätzliche Art der Aufklärung und in George Tillman Jr.s Verfilmung von The Hate U Give geht „the talk“, dieses Gespräch, ziemlich unter die Haut, in dem die schwarzen Eltern ihren Kindern ihre Rechte beibringen, sie aber auch zur Vorsicht gegenüber der Polizei ermahnen. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Jugendbuch von Angie Thomas, für das die Debütautorin 2017 gefeiert wurde und das Audrey Wells zu einem feinfühligen und differenzierten Drehbuch adaptiert hat. Es thematisiert an einem fiktiven Fallbeispiel die Erschießung eines unbewaffneten schwarzen Jugendlichen durch einen weißen Polizisten und die menschlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Tat.
Nach einer Party fährt der junge Khalil (Algee Smith) die 16jährige Starr (Amandla Stenberg) nach Hause und wird unterwegs von Polizisten angehalten. Während Starr den „Talk“ verinnerlicht hat, die Hände auf das Armaturenbrett legt und sich besonnen verhält, nimmt Khalil die Situation nicht ernst und holt eine Haarbürste aus dem Wagen. Der Polizist hält diese für eine Waffe und erschießt den Jugendlichen. Starr ist die einzige Zeugin und schweigt, zum einen ist sie traumatisiert, zum anderen will sie die Zukunft, die ihre Eltern ihr ermöglichen, nicht aufs Spiel setzen. Diese wohnen zwar in einem ärmlichen Distrikt mit afroamerikanischer Bevölkerung, lassen ihre Kinder aber auf eine Privatschule gehen, die überwiegend von Weißen besucht wird. Es ist für die Jugendlichen ein Doppelleben, aber insbesondere Starr hat sich damit arrangiert. Ihr Vater Maverick (Russell Hornsby) und ihre Mutter Lisa (Regina Hall) arbeiten hart für ihren Nachwuchs.
Dann wird das Ergebnis der internen Polizeiuntersuchung veröffentlicht, die den Polizisten unbehelligt freispricht. Nun kommt es zu öffentlichen Protesten der Schwarzen, und es ist eine Frage der Zeit, bis es durchsickern wird, dass Starr Augenzeugin des Geschehens war. Starr kannte Khalil seit ihren Kindertagen und überlegt nun, ob sie nicht die Verantwortung hat, für Gerechtigkeit zu sorgen. Ihr Onkel Carlos (der Rapper Common) arbeitet bei der Polizei und schildert ihr, welche Überlegungen und Ängste ein Polizist bei einer Verkehrskontrolle von Schwarzen hat. Hin und her gerissen von ihren widersprüchlichen Gefühlen erinnert sich Starr plötzlich an ein Kindheitstrauma, bei dem sie auch geschwiegen hat. Damals war sie noch klein, nun aber steht sie an der Schwelle zum Erwachsenwerden und ist eine starke junge Frau geworden.
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Die Eltern Maverick (Russell Hornsby) und Lisa (Regina Hall) diskutieren die Lage mit ihrer Tochter Starr (Amandla Stenberg) und deren Onkel Carlos, dem Polizisten (gespielt vom Rapper Common) | © 2018 Twentieth Century Fox
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Der Filmtitel bezieht sich auf das Album des Rappers Tupac Shakur (1971-1996) The Hate U Give Little Infants Fucks Everybody, und an der Aussage, dass der Hass, den man kleinen Kindern gibt, auf jeden „zurückfällt“, hat sich seit der Ermordung Tupacs noch nichts geändert. Als Akronym gelesen ergeben die Anfangsbuchstaben das Wort THUGLIFE, was Schlägerleben bedeutet. Doch der Film zeigt den steinigen Weg zu einer möglichen Verbesserung. Die Autorin Angie Thomas stand unter dem Einfluss der Ermordung einer ganzen Reihe von jungen Schwarzen, als sie den Roman schrieb: Oscar Grant, 22 Jahre, Michael Brown Jr., 18 Jahre, Trayvon Martin, 17 Jahre und Tamir Rice 12 Jahre. Sie lässt Starr erwachsen werden und über sich hinauswachsen. Allerdings muss die Jugendliche die Erfahrung machen, dass die anfangs friedlichen Proteste der Afroamerikaner mit unverhältnismäßiger Polizeigewalt beantwortet werden und nun der Protest der Schwarzen ebenfalls in Gewalt umschlägt, was genau die Spirale ist, aus der sie ausbrechen will.
Regisseur George Tillman Jr. ist Afroamerikaner und Jahrgang 1969, wurde also in der Zeit der Black Power Bewegung geboren und ist mit dem Thema aus persönlichem Erleben heraus vertraut. Daher sind die Charaktere sehr glaubwürdig inszeniert. Starrs Vater Maverick hat alles andere als eine unbefleckte Vergangenheit und auch das Opfer, Khalil, verdiente sein Geld teilweise auf unsaubere Art. Der Stress der Polizisten wird bei den gewalttätigen Ausschreitungen gezeigt, und simple Angebote für eine Konfliktlösung werden angesichts des komplexen Themas tunlichst unterlassen. Auch auf Schwarzweißmalerei wird verzichtet. Die Rollen sind großartig besetzt, insbesondere spielt Amandla Stenberg die schwierige Hauptrolle mit großer Virtuosität. Selbst Humor und Selbstironie fehlen in dem fesselnden Drama nicht. Es wird hinterfragt, ob es eine Lösung ist, wenn Schwarze das Leben der Weißen imitieren und ihre afroamerikanische Identität verleugnen. Starr begegnet bei einer Protestkundgebung einer ungeheuren Feindseligkeit und erfährt insgesamt eine solche Ungerechtigkeit, dass ihr klar wird, dass der Rassismus ein integraler Bestandteil eines großen Teils der US-amerikanischen Gesellschaft ist. Quasi ein Systemfehler, an dem die Afroamerikaner ebenfalls ihren Anteil haben. Der lässt sich vielleicht beheben, wenn man - frei nach Tupac – den kleinen Kindern diesen Hass nicht mehr mit auf den Weg gibt, sondern sich ihm mutig entgegenstellt. Das geschieht nicht ohne couragierten Einsatz.
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Helga Fitzner - 27. Februar 2019 ID 11251
Weitere Infos siehe auch: http://www.fox.de/the-hate-u-give
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