Blick zurück
im Zorn
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Bewertung:
The Report, das meint den mehr als 6.000 Seiten langen, streng vertraulichen Bericht eines Untersuchungsausschusses des US-Senats, der zwischen 2009 und 2011 die heimlich angewandten Foltermethoden der CIA und von Geheimdienstmitarbeitern dokumentierte, die im Zuge der Antiterrorbekämpfung der amerikanischen Regierung unter Präsident George W. Bush hauptsächlich an muslimischen Gefangenen durchgeführt wurden („Committee Study of the Central Intelligence Agency’s Detention and Interrogation Program“). Die Recherchen und Ermittlungen des Geheimdienstausschusses wurden wesentlich von der demokratischen Partei und insbesondere der kalifornischen Senatorin Dianne Feinstein initiiert, die im Film angemessen diplomatisch von Annette Benning gespielt wird.
Feinstein, die damals bereits im hohen Alter und entsprechend unabhängig agierte, pickte sich den aufrechten, gewissenhaften Senatsmitarbeiter Daniel Jones (Adam Driver) heraus, der zusammen mit einer kleinen Gruppe an Rechercheuren jahrelang in einem unterirdischen Büro eines Senatsgebäudes in der US-Hauptstadt Washington nach beweisbaren Tatsachen für Folterungen suchte. Die schockierenden, nach US-Recht offenkundig illegalen, euphemistisch „erweiterte Verhörtechniken“ genannten und von hochrangigen CIA-Beamten genehmigten Folterungen fanden über viele Jahre in verschiedenen Teilen der Welt statt und oft von angeblichen Psychologen durchgeführt, die kaum mehr als Scharlatane waren – ohne dass handgreifliche Beweise für irgendeine kriminalistische Ermittlung zu Tage gebracht wurden.
The Report zeigt in verschachtelten Rückblenden, wie der Rückfall in (aus europäischer Sicht) mittelalterliche, menschenverachtende Methoden im Nachklang der Attentate vom 11. September 2001 dank Feinsteins und Jones‘ Hartnäckigkeit aufdeckt und dokumentiert wurden. Die Arbeit der Senatsmitarbeiter wurde von Anfang an behindert und mutmaßlich auch durch einen Watergate-ähnlichen Einbruch in das Büro der Rechercheure torpediert; der trotz aller Widrigkeiten entstandene Bericht durfte nicht eins zu eins, sondern auf Druck des Weißen Hauses (in dem dann auch irgendwann Barack Obama saß) nur geschwärzt und verkürzt veröffentlicht werden.
So weit, so schlecht. Der Film – der übrigens vom Amazon-Studio produziert wurde und entgegen der Gepflogenheiten besonders rasch in deren Streaming-Portal gestellt wird – bietet für pessimistische wie optimistische Sichtweisen auf die Entwicklung der westlichen, speziell US-amerikanischen Politik reiche Nahrung: Die faktenorientierte Story gibt auf ebenso spannende wie bedrückende Weise Aufschluss darüber, wie das politische Klima in Washington seit 9/11 zunehmend vergiftet wurde. Das normale Für und Wider, das in jeder parlamentarischen Demokratie durch konkurrierende Parteien, Institutionen und deren Interessensgeflechte zustande kommt, ist in den 2000er Jahren in Washington zu einem unappetitlichen, weil von ethischen und moralischen Erwägungen vollkommen abgekoppelten, parteipolitische Hick-Hack degeneriert. Die Demokraten im Senat müssen hinter den Kulissen ihre aufrechte Gesinnung teilweise preisgeben, um überhaupt ein Stück Aufklärung und Kooperation zu erreichen.
Gebessert hat sich das überhitzte, gereizte und irrationale politische Klima in Washington trotz der achtjährigen Regierungszeit Barack Obamas nur teilweise. Mehr denn je dominieren Populismus und Propaganda, Anfeindungen und Machenschaften vor allem die Innenpolitik. Optimisten mögen hingegen in Jones und seinen Mitstreitern jene stillen Helden erkennen, die unterhalb der oberen politischen Ebenen dafür rackern, dass Rechtstaatlichkeit und Rationalismus noch eine Adresse und einen langen Atem haben, während Präsidenten, Minister und CIA-Direktoren kommen und gehen. Auch hat die institutionelle Ausbalancierung zumindest soweit funktioniert, dass der Skandal überhaupt öffentlich wurde.
Doch am Schluss bleibt – bei einem Regisseur und Drehbuchautoren wie Scott Z. Burns (Das Bourne Ultimatum, Der Informant) sicher beabsichtigt – ein sehr bitterer Nachgeschmack, wie er im amerikanischen Politthriller seit Die drei Tage des Condor (1975) nicht mehr üblich war. Damals wurde der von Robert Redford gespielte Held – ebenfalls ein um Aufklärung bemühter Regierungsbeamter auf relativ machtloser Ebene – am Ende mit der beunruhigenden Frage konfrontiert, ob seine Aufdeckungen über die schmutzigen Machenschaften des CIA die Medien und die Wähler überhaupt interessieren würden. Nach dem Trauma des Vietnam-Krieges, des Nixon-Rücktritts und einer allgemeinen gesellschaftspolitischen Verunsicherung war das eine berechtigte Frage. Der von Adam Driver mit einer Mischung aus Wut und Verantwortungsgefühl gespielte Daniel Jones ist am Ende ein gerupfter ‚Sieger‘, der sich ebenfalls nicht sicher sein kann, ob seine Bemühungen ein kritisches, öffentliches Echo finden. Heute wissen wir: Eine große Zahl an US-Wählern und Medienvertretern (um das Wort Journalisten zu vermeiden) haben sich für die Folterexzesse nicht nur nicht interessiert, sondern sich dröhnenden Parolen und Propaganda hingegeben. Da mag ein Optimist sagen: Sie kannten ja auch den ganzen Report nicht. Aber ob das eine Rolle spielte?
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The Report | (C) DCM Filmverleih
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Max-Peter Heyne - 9. November 2019 ID 11799
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