Der letzte
seiner
Art
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Bewertung:
Die älteren unter uns werden sich noch ungern erinnern: Der erste Top Gun-Film mit dem deutschen Untertitel Sie fürchten weder Tod noch Teufel von 1986 über eine Gruppe von Kampfpiloten der United States Navy strotzte vor machohaftem Militarismus, penetrantem Patriotismus, unreflektierter Armeeverklärung, Technologie-Fetischismus und Küchenpsychologie. Die Frauenfiguren waren nicht doof, aber in erster Linie schönes Beiwerk für klebrige Romantik. Trotzdem – oder womöglich auch deswegen – war der schamlos konstruierte Actionfilm ein großer Erfolg in der westlichen Hemisphäre. Die Action war in der Tat spektakulär, enthob die Helden buchstäblich in höhere Sphären – und ließ sie übermütig und auch ein bisschen albern wirken.
Der zweite Teil, der nun mit allem PR-Cannes-Cruise-Flugstaffel-Gedöns in die Kinos katapultiert wird, bietet all das oben Erwähnte mindestens in gleicher Dosierung, was die Action betrifft sogar noch gesteigert. Damit – aber auch mithilfe der Story – knüpft Top Gun Maverick an das ursprüngliche Erfolgskonzept an. Die ungeheure Dreistigkeit, mit der Top Gun überholten Männlichkeitsidealen frönte und Heldenverehrung betrieb, wird in der Fortsetzung unvermindert fortgesetzt. Aber die Filmemacher begnügen sich nicht damit. Nun wird auch den Soldatinnen Kampfesgeist und Todesmut zugebilligt (ebenso wie den Nerds und den Farbigen). Die meisten Figuren bestehen allerdings eher aus Marotten als aus Emotionen.
Mit seiner dick aufgetragenen Psychologie und seinen stumpf zugespitzten Konflikten zwischen den Charakteren und den Nationen (die NATO-Feinde bleiben gesichtslos und undefiniert) lässt der Film wenig Raum für Zwischentöne, was aber zur ganzen Konzeption des "bigger than life" passt. Dazu gehört das unverblümte Anteasern und Triggern der Toleranz des Publikums, wie sehr es sich auf all die aufgeplusterten Anachronismen einlässt. Schon zu Beginn wird dem rein technisch mit der Zeitgehenden, ansonsten aber in Nostalgie hängengebliebenen Leutnant Mitchell (Tom Cruise) unmissverständlich klar gemacht, dass er und sein Fliegerspielzeug bald von der Künstlichen Intelligenz einer Drohne abgelöst werden. Die Story will es dann, dass ausgerechnet ein Dinosaurier wie Mitchell einer neuen Generation an Kampffliegern noch einmal alte Werte und Tricks beibringen soll.
Die Selbstironie, mit der in Top Gun Maverick die Hauptfigur und der erste Teil behandelt werden, ist entscheidend für die ausschlaggebende, sympathische B-Note des Spektakels. Die Drehbuchautoren Christopher McQuarrie, Ehren Kruger und Eric Warren Singer haben klar erkannt, dass die Fortsetzung eines Films, der schon 1986 in vielerlei Hinsicht anachronistisch wirkte, nach 36 Jahren gänzlich aus der Zeit gefallen ist – und dass ihnen gar nichts anderes übrigbleibt, als dies offensiv zu thematisieren.
Da Tom Cruise alias Pete Mitchell gealtert, aber nicht rostig wirkt, kauft man ihm den Wunsch nach Unsterblichkeit bzw. das Provozieren des Heldentods ab. Wäre Mitchell ein Jasager, ein Rädchen im militärischen Getriebe ohne eigene Ambitionen, wäre der Film unausstehlich. So aber glorifiziert die Story nicht nur Heldenmut und Patriotismus, sondern auch Eigenwilligkeit und Widerspruch. Angesichts des gegenwärtigen Kriegsgeschehens in der Ukraine wünschte man sich mehr Mitchell-hafte russische Offiziere, auch wenn eine so kecke und freche Figur wie die von Cruise verkörperte wohl in jeder Armee der Welt nicht lange ihren Eigensinn behalten könnte.
Dieser Film mit seinen markerschütternden Toneffekten brachial dröhnender und aufheulender Düsen in Dolby Surround, vor denen man im wahren Leben vor Schreck ins Unterholz abtaucht, funktioniert tatsächlich auf gewünschte Art nur auf der großen Leinwand. Seine Technikaffinität passt in technologisch aufgepeppte Filmtempel, wo er seine Zurschaustellung von Wehrhaftigkeit dem Kino im Abwehrkampf gegen die digitalen Angreifer zur Verfügung stellt.
Der Film ist wie eine Achterbahnfahrt, bei der man noch dazu eine ebenso spannende wie sentimentale, leidlich humorvolle Geschichte erzählt bekommt. Aus einer ideologiekritischen Haltung heraus mag vieles an diesem Spektakel grässlich anmuten. Aber vor einer Achterbahnfahrt fragt man sich auch nicht, ob sie den eigenen Alltag tiefsinniger macht – und da Cruise, die Drehbuchautoren und die Regie (Joseph Kosinski) die Story so hemmungslos als Geschmacksverstärker benutzen, werden die meisten Zuschauer*innen die chauvinistischen, überholten Konnotationen auch diesmal aktiv wegstecken.
Der Held darf noch einmal Held sein, noch einmal sein altes Programm absolvieren. Das Kino darf für eine solche perfekt choreografierte Perfidie, die zur Parodie neigt, noch einmal die Arena sein. Cruise ist der letzte große, authentisch wirkende Weltstar, dem es gelang, seinen (Scientology-)Skandalen zu entkommen. Das Kino ist der letzte, adäquat wirkende Ort für solche visuellen Extravaganzen. Aber ihre Glanzzeit haben beide hinter sich. Nicht nur in Cannes lautete deshalb die Devise: Lassen wir’s nochmal krachen!
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Top Gun Maverick | (C) Paramount Pictures
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Max-Peter Heyne - 26. Mai 2022 ID 13641
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