Aus der
Spur
geraten
|
|
Bewertung:
Koinzidenz! Zwei Männer in zwei sehr sehenswerten Filmen auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, nach sich selbst… und dann irgendwann doch auch nach Zweisamkeit. Und das nicht kopflastig, sondern locker und humorvoll erzählt. Wer mag, kann sich aus In My Room und Whatever Happens Next ein schönes Doppelprogramm zum Wochenende zusammenstellen (sofern die Filme beide in einem Lichtspieltheater Ihrer Wahl zu sehen sind – das schränkt die Planung natürlich ein, gebe ich zu). Es gibt jedenfalls erstaunliche Ähnlichkeiten: Männer im vermeintlich besten Alter, die aus der Spur geraten sind und sich auf einen neuen, unsicheren Weg begeben, was letztlich eine jeweils reizvolle Kombination aus Roadmovie und philosophischer Komödie mit ernsten Untertönen ergibt.
Der Mann im Langfilmdebüt von Autorenfilmer Julian Pörksen ist mehr noch als Armin in Ulrich Köhlers Film ein richtiger Schluffi (kongenial Typ-besetzt: Sebastian Rudolph), der aber immerhin sein Schicksal vollständig selbst bestimmt: Paul tut das, wovon viele von uns bisweilen fantasieren, aber wohl so konsequent nie in die Tat umsetzen würden: Er steigt eines Morgens auf seinem Weg zur Arbeit vom Rad und damit von einer zur anderen Sekunde aus seinem bisherigen Leben. Paul läuft über blühende Felder und Wiesen davon – einfach so. Fortan schlägt er sich als Taugenichts und Hochstapler durch und schnorrt auf Partys und Beerdigungen was man so zum Leben braucht: Essen, Bier und Zigaretten.
Dabei kommt es zu skurrilen Situationen (und Situationskomik), denn manchmal irritiert Paul seine Mitmenschen mit seiner lässigen Dreistigkeit, und manchmal irritieren die Mitmenschen wiederum Paul. Zum Beispiel, wenn etwa eine augenscheinlich demenzkranke Rentnerin ihn schon nach wenigen Minuten nicht mehr wiedererkennt oder ein Ehepaar, von dem er sich im Auto mitnehmen lässt, seine Behauptung durchschaut, er gehöre zur Trauergemeinde, woraufhin er unsanft aus dem Wagen befördert wird.
Pauls irritierte Ehefrau (Christine Hoppe), die offenkundig einen solchen harten Schnitt von ihrem Mann nicht erwartet hat, schickt ihm einen Privatdetektiv (wunderbar nuanciert: Peter René Lüdicke) auf die Fersen. Der wortkarge Einzelgänger folgt Paul quer durch Norddeutschland und Polen, kommt ihm aber immer nur so weit auf die Spur, dass er Paul knapp verpasst. Paul erlebt inzwischen weitere, zunehmend dramatische Episoden: er bleibt mit einem Studenten auf freiem Feld mit dem Auto stecken, wird überfallen, wird zufällig Zeuge eines Herzinfarktes, woraufhin Paul sich im Krankenhaus als Verwandter des ihm völlig unbekannten Mannes ausgibt, um diesen besuchen zu können.
Als der Privatdetektiv schließlich zu wissen meint, wohin die Odyssee führen wird, nämlich nach Kiel, gerät Paul an eine junge Frau, Nele (Lilith Stangenberg), die noch spontaner lebt als er, aber der Realität auch noch ein ganzes Stück entrückter ist. Durch sie erinnert sich Paul an die Vorzüge eines geregelten Lebens jenseits der Straßen, fremden Wohnungen und Verschläge, aber mit Nele so ist so etwas wie ein normales Leben nicht möglich. Deswegen zieht es Paul wohl auch zu ihr – und dann hinan.
Drehbuchautor und Regisseur Julian Pörksen – bisher eher als Theaterdramaturg tätig – nimmt das Schwere leicht und vermeidet Schwerblütigkeit ebenso wie jegliche inhaltliche Klischees. Seine mäandernde Story wird durch die sanfte Verfolgungsjagd und die lebendigen, authentisch wirkenden Charaktere zusammengehalten. Er wollte einmal erzählen, was denn passieren kann, wenn man sich entschließt, tatsächlich auszusteigen und alle Zwänge hinter sich lässt, sagte Pörksen anlässlich einer Premiere bei den Husumer Filmtagen. Dabei so konsequent zu sein wie sein Protagonist, wäre er selbst vermutlich nicht, gab Pörksen zu. Dazu wären die Existenzängste durch das Leben auf der Straße wohl doch zu groß, meinte er. Dank seines Filmes wissen wir zumindest ansatzweise, welche Gefahren ein Streunerleben birgt – und dass es neben dem deftigen, krachledernen Humor deutscher Kassenknüller auch noch Kreative gibt, die mit zartem, feinen Humor Glanzlichter setzen.
|
Whatever Happens Next | (C) Carol Burandt von Kameke/StoryBay/Barnsteiner
|
Max-Peter Heyne - 9. November 2018 (2) ID 11030
Weitere Infos siehe auch: http://whatever-happens-next.com/
Post an Max-Peter Heyne
Dokumentarfilme
Neues Deutsches Kino
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Rothschilds Kolumnen
BERLINALE
DOKUMENTARFILME
DVD
EUROPÄISCHES JUDENTUM IM FILM Reihe von Helga Fitzner
FERNSEHFILME
HEIMKINO
INTERVIEWS
NEUES DEUTSCHES KINO
SPIELFILME
TATORT IM ERSTEN Gesehen von Bobby King
UNSERE NEUE GESCHICHTE
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|