Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Neues deutsches Kino

Im Osten

was Altes



Bewertung:    



Fassungslos steht eine Gruppe von Menschen vor einer riesigen Menge von Geldscheinen, die Milliarden wert sind und sich in einem alten Stollen in der Nähe der sachsen-anhaltinischen Stadt Halberstadt befinden. Wir schreiben das Jahr 1990, und die alte DDR-Währung hat ausgedient und wird dort gelagert, um zu verrotten. Nicht ganz, beschließen die Augenzeugen und greifen sich so viel Geld, wie sie tragen können. Es handelt sich um eine wahre Geschichte, die aber nie groß erzählt wurde, denn eigentlich war sie recht peinlich. Die Autoritäten der ehemaligen DDR hatten nichts mehr zu bestimmen, und die vom noch nicht wiedervereinigten Deutschland waren noch nicht im Amte. Es entstand ein Vakuum, und der Fall ist nie vollständig aufgeklärt worden.

Das war für die Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin Natja Brunckhorst eine Geschichte, die wie fürs Kino gemacht war. Für den Spielfilm Zwei zu eins entwickelte sie ein Drehbuch über diesen Schwebezustand, in dem zwei Männer und eine Frau, die in einer Dreieckgeschichte leben, auf den unerwarteten, aber unnützen Geldsegen stoßen. Maren (Sandra Hüller), Robert (Max Riemelt) und Volker (Ronald Zehrfeld) kennen sich seit Kindertagen. Volker ist vor einiger Zeit ohne Abschied in den Westen abgehauen und hat seine Freundin und die gemeinsame Tochter Dini (Lotte Shirin Keiling) zurückgelassen. Die leben nun mit Robert zusammen. Als Volker eines Tages wieder vor der Tür steht, freut sich nur sein alter Freund Robert darüber. Maren ist sauer, und als er Tochter Dini fragt, ob sie wisse, wer er ist, antwortet sie „du bist der Arsch“ und erntet ein zufriedenes Lächeln ihrer Mutter. Damit steht fest, dass Volker ganz von vorne anfangen muss.

Merkwürdige Begebenheiten schweißen die drei und ein paar andere zusammen, denn sie beobachten, wie jede Menge Lastwagen zur nahegelegenen Militäranlage der NVA (= Nationalen Volksarmee) fahren, die u.a. für die Bewachung der dortigen Stollen zuständig ist. Der alte Grantler Markowski (Peter Kurth) arbeitet dort und lässt sich überreden den dreien heimlich Zutritt zu gewähren. Der Gruppe gelingt es unerkannt mit einer Menge Geld vor den Wachsoldaten zu fliehen.

Zuhause sitzen sie mit einem Haufen wertloser Scheine, erfahren dann aber, dass es noch ein paar Schlupflöcher gibt. So kann das Geld beim Kauf von Waren noch ein paar Tage eingesetzt werden, die sie dann zu D-Mark-Preisen weiterverkaufen. Dazu weihen sie die Nachbarschaft ein und beschließen, dass es kein Diebstahl ist. Das Geld gehört dem Volk, und sie sind das Volk. Die Menschen in der Wohnsiedlung kaufen innerhalb der wenigen verbleibenden Tage groß angelegt alle möglichen Dinge, die bei Maren gelagert und weitergeleitet werden. Aber es ist so viel Geld, dass sie es nicht ganz ausgeben können. Da kommen sie auf die Idee, einen stillgelegten VEB (= Volkseigenen Betrieb) zu kaufen und damit Arbeitsplätze zu schaffen. Sie gehen davon aus, dass sie dafür noch sehr viel mehr Geld brauchen und brechen noch einmal in die Stollen ein. Doch dieses Mal sind die Soldaten nicht mehr so überrascht.

Mit Ursula Werner als Oma Käte und Martin Brambach als etwas problematischen Nachbarn Lunkewitz stehen auch der junge Anselm Haderer und die kleine Lotte Shirin Keiling mit vor der Kamera. So haben wir den Blick mehrerer Generationen auf die Geschehnisse. Denn es kommt, wie es kommen musste, die Polizei kommt ihnen auf die Spur: Sie haben Zweihundert- und Fünfhundert-Ostmarkscheine ausgegeben, die in der DDR gar nicht im offiziellen Umlauf waren.

*

Brunckhorsts Genre-Mix aus Komödie, Krimi, Liebesgeschichte und Abenteuerfilm funktioniert gut, allein schon wegen des wunderbaren Ensembles an Schauspielern, die sich dort ein vergnügliches Stelldichein geben. Brunckhorst ist in West-Berlin aufgewachsen, wurde also nicht in der DDR sozialisiert. Das ist auch ein Manko des Drehbuchs, was aber durch die erfahrenen Schauspieler aufgefangen wird. Hüller, Riemelt und Zehrfeld haben diese Zeit als Kinder erlebt, und auch Ursula Werner, Peter Kurth und Martin Brambach wurden in der ehemaligen DDR geboren. Brunckhorst hat jedem von ihnen ein paar schöne Momente eingeräumt. Die Dreieckgeschichte zwischen Maren, Robert und Volker ist eine exzellente Metapher für die Befindlichkeit der beiden parallel existierenden Staatswesen.

In einer Zeit des Umbruchs und der Raffgier erzählt die Komödie fast märchenhaft von Menschen, die sich für das Gemeinwohl einsetzen und dem Verfall der ostdeutschen Wirtschaft etwas entgegensetzen wollen. Sie sind sich über den Kapitalismus und die Übel des Westens sehr bewusst, da haben die DDR-Medien gut vorgearbeitet, zusätzlich sickert es aber allmählich ein, wie sehr sie von ihrem Staat getäuscht wurden, für den sich die meisten engagiert und abgerackert haben. Nun erfahren sie langsam, dass auch das DDR-Regime ziemlich skrupellos mit seinen Bürgern umgegangen ist. Das führt in dem Mikrokosmos des Films aber zu Solidarität und Selbstbehauptung. Wenn alles das, was das bisherige Leben ausgemacht hat, zerbröselt und nichts mehr Bestand hat, dann muss man halt seinen Selbstwert hochhalten.



Die Halberstädter vor einer Menge Scheine in ostdeutscher Währung: (v. li. n. re.) Peter Kurth, Max Riemelt, Lotte Shirin Keiling, Sandra Hüller, Anselm Haderer und Ursula Werner | © X-Verleih / Peter Hartwig

Helga Fitzner - 24. Juli 2024
ID 14844
Weitere Infos siehe auch: https://www.x-verleih.de/filme/zwei-zu-eins/


Post an Helga Fitzner

Dokumentarfilme

Fernsehfilme

Heimkino

Spielfilme, international

Neues deutsches Kino



Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!



Vielen Dank.



 

FILM Inhalt:

Rothschilds Kolumnen

BERLINALE

DOKUMENTARFILME

DVD

EUROPÄISCHES JUDENTUM IM FILM
Reihe von Helga Fitzner

FERNSEHFILME

HEIMKINO

INTERVIEWS

NEUES DEUTSCHES KINO

SPIELFILME

TATORT IM ERSTEN
Gesehen von Bobby King

UNSERE NEUE GESCHICHTE


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal

 


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)