Auf Leipzigs
Straßen
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Bewertung:
„Woraus sind wir auferstanden? Aus Ruinen!“ Dieser Ausruf einer fünfköpfigen Jugendgang Anfang der 1990er Jahre beim Fahren mit einem geklauten Auto durch die Straßen von Leipzig-Reudnitz ist nicht etwa nur blanker Zynismus angesichts der sie umgebenden in ein fahles Laternenlicht getauchten traurig-räudigen Altbausubstanz, die selbst Berlin Prenzlauer Berg nach der Wende klar in den Schatten stellte - es ist tatsächlich ein starkes Lebensgefühl, das die nun 16- bis 17jährigen Jungen in ihrem ganz eigenen Wendetaumel, der nichts von Wir-sind-ein-Volk-Stimmungen weiß, ergriffen hat.
Der Schriftsteller Clemens Meyer, selbst in dieser Zeit in Leipzig aufgewachsen, hat die Träume, Taten, verpassten Chancen und das Scheitern dieser Jugend in ebenso starken Worten 500 Seiten lang zum Ausdruck gebracht, nicht ohne Großmannssucht und rückschauende Sentimentalität aber auch gnadenlos desillusionierend.
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Als wir träumten - Foto: Peter Hartwig (C) Rommel Film - Pandora Film
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Als wir träumten heißt nun auch die Verfilmung des 2006 erschienen Romans durch Ost-Spezialist Andreas Dresen. „Es war unsre schönste Zeit.“ hören wir Dani (Merlin Rose), den Hauptprotagonisten und Erzähler in dieser euphorischen, alkoholschwangeren Autonacht aus dem Off sagen. „Es gibt keine Nacht, in der ich nicht von alldem träume, und ständig tanzen die Erinnerungen in meinem Kopf.“ Und das erinnert nicht von ungefähr an den Schlusssatz „Es war die beste Zeit. Das Chaos ist aufgebraucht." aus Bertolt Brechts frühem Stück Im Dickicht der Städte. Und so beinhaltet Andreas Dresens Film auch im Beginn schon das kommende Ende. Dani sucht den drogenabhängigen Freund Mark (Joel Basman) in einer dunklen Kino-Ruine und will ihn mit alten Geschichten zu neuem Leben animieren. Aber der Furor ist vergangen, wird sich nur noch einmal wie retrospektiv von einer alten Filmrolle vor unseren Augen abspulen.
Die Clique besteht seit Schultagen aus den fünf Jungen Dani, Mark, Rico (Julius Nitschkoff), Paul (Frederic Haselon) und Pitbull (Marcel Heuperman). Walter fehlt im Film, seinen Autoknackerpart aus dem Roman übernimmt Paul, ein schüchterner Junge mit Brille und einer führsorglichen Mutter, was ihm das Überleben sichert, und eine unglückliche Liebe zu einer „West-Fitschi“ später als Porno-Paul reüssieren lässt. „Immer aktiv sein. Immer mit dem Kollektiv vorneweg. So wird man ein guter Soldat.“ Als gelernter Jungpionier ist man auch nach der ideologischen Wende zu allem bereit. Das Kollektiv trinkt nun das Bier der Sieger und Whiskey statt Apfelkorn. Das Schneller, Höher, Weiter der einstigen Lehrer gerät zu einer neuen Art von sportlichem Klassenkampf auf Leipziger Straßen. Erst jagt man den Glatzen eine gewinnträchtige Kohlenoma ab, später ist man selbst der Gejagte.
Statt Aussichten auf blühende Landschaften öffnen sich nun für die angehenden Techno-Jünger die geschleiften Hallen des ehemals werktätigen Volkes. Aus Kleinganoven werden Geschäftsleute. „Wir werden die Größten sein. Dann kommen auch die Mädchen.“ Aber Kasse machen andere. Kehlmann (Gerdy Zint), der Chef der Reudnitzer Rechten lässt ihren Eastside-Club, ein Pendant zum Berliner Ostgut (heute Berghain), von seinen Glatzen aufräumen. Der Anfang vom Ende der ganzen Scheiße, von der Dani nicht mehr weiß, wie sie angefangen hat. Die Auflösung beginnt schleichend. Eine Schrifteinblendung in Dresens Film verheißt in großen Lettern die Zeit großer Kämpfe. Rico, der Boxer, der schon damals enttäuscht von seinem Offiziersvater kämpferisch das rote Halstuch verbrannt hatte, wird alle seine zukünftigen Kämpfe verlieren. Der pragmatische Pitbull wird Drogendealer, Mark sein bester Kunde. Und Dani, der klügste unter ihnen, verrät als erster die verschworene Bruderschaft.
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Als wir träumten - Foto: Peter Hartwig (C) Rommel Film - Pandora Film
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Andreas Dresen jagt das alles in schnellen, dreckigen Bildern über die Leinwand. Ein ewig lauter Party- Keller-Traum, aus dem niemand erwachen will. Zeitlupenartige Stroboskoplichtszenen in der Großraumdisco bilden kurze Inseln der Ruhe, in denen Dani mit seiner großen Liebe Sternchen aus der Zeit zu kippen scheint. Ruby O. Fee spielt die traurige Romantikerin, die nicht warten kann auf Danis Versprechen in die Zukunft. Sternchen treibt von Kehlmann zu anderen Männern, wird vom Kiezliebchen zur Stangenware. „Ich wollte schon immer was mit eigenem Ausdruck machen.“ sagt sie etwas später zu Dani und Rico.
Die Frauen im Film wirken verhärmt. Ihre Männer sind schlagende Alkoholiker, nicht anwesend, oder beides. Die Jungs sind hier mehr oder weniger Vaterlose. Ihre leerlaufende Rebellion überträgt sich auf Fensterscheiben, Lagerhallen und endet im Tagesarrest oder nach einem verpatzten Sparkassenbruch im Jugendknast. Armin Petras hat in seiner 2007 entstandenen Theateradaption das Pathos der unbändigen Rowdy-Attitüde durch die Besetzung mit fünf Schauspielerinnen brechen wollen. Anja Schneider, damals in der Rolle des Dani, steht diesem nun selbst als Gebrochene gegenüber. Viel tiefer steigt Dresen nicht ein in Meyers Leipziger No-Futur-Soziotop aus Suff, traditionellen Fußballritualen und Kneipenschlägereien. Anekdotische, wie nachkoloriert wirkende Rückblenden beschränken sich auf die Schulzeit der Jungs mit Wehrunterricht, Fahnenapell und Übungen in Selbstkritik. Erster Liebe folgt erste Enttäuschung. Als die Leipziger beginnen zu demonstrieren, steht der Lehrkörper im wortreichen Abwehrgefecht, gerät darüber aber in Erklärungsnot. Ihren Direktor (Ronald Kukulies) werden die Kleinkriminellen beim Ableisten von Arbeitsstunden wiedertreffen. Der einstige Welterklärer weiß sogar beim Wändeweißen immer noch alles besser.
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„Wie man es erzählen kann, so ist es nicht gewesen.” heißt es bei Christa Wolf. Regisseur Andreas Dresen und sein Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, der schon 50 Jahre vor Clemens Meyer den Nachkriegs-Halbstarken Ost für den Film Berlin - Ecke Schönhauser die passenden Dialoge schrieb, verheddern sich bei dem Versuch, aus den ausufernden, semiautobiografischen Aufzeichnungen Meyers über die chaotischen Leipziger Wendejahre eine Essens zu filtern. Jede Kritik birgt da auch den Wunsch, über einen Film zu schreiben, den man gerne gesehen hätte. „Wo soll’s denn hingehen?“ ist am Ende des Films die fast beiläufige Frage eines Taxifahrers an Dani. Dresens Verfilmung wirkt da mit all dem schönen anarchischen Untergangs-Pathos wie ein uneingelöstes Versprechen, dass es irgendwann wieder so werden könne, wie es nie war. Und nicht nur das hinterlässt auch einen etwas unbefriedigenden, schalen Nachgeschmack.
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Als wir träumten - Foto: Peter Hartwig (C) Rommel Film - Pandora Film
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Stefan Bock - 5. März 2015 ID 8479
Weitere Infos siehe auch: http://www.alswirtraeumten.de
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