Chronik eines angekündigten Mordes: Am Sonntag bist du tot
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Bewertung:
Einen Film mit Brendan Gleeson (Brüssel sehen und sterben, The Guard) zu sehen, ist meistens ein besonderes Vergnügen. Wenn der bärige irische Rotschopf dann auch noch die Hauptrolle spielen darf, sind die Voraussetzungen für einen außergewöhnlichen Film fast erfüllt. Die irisch-englische Produktion Am Sonntag bist du tot verfügt aber auch noch über ein stimmiges, hintersinniges Drehbuch und eine einfallsreiche Regie (beides John Michael McDonagh), sodass der unterhaltsame Genremix aus Thriller und Drama zu den Meisterwerken des Jahres 2014 zählt.
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Am Sonntag bist du tot | (C) Ascot Elite Filmverleih
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Schon die allererste Szene – nicht zu spät kommen! – verleiht dem Film seinen exzellenten Spannungsbogen: Ein im Beichtstuhl und außerhalb des Filmbildes befindlicher Mann eröffnet Dorfpfarrer James Lavelle (Gleeson), dass er als Kind jahrelang von einem katholischem Priester missbraucht wurde und als Racheakt Lavelle in einer Woche töten will. Lavelle hat mit den Verbrechen seines Glaubensbruders zwar nichts zu tun, aber der Täter will gezielt ein blutiges Zeichen gegen die irische Kircheninstitution setzen. Da ihm das Beichtgeheimnis verbietet, zur Polizei zu gehen, versucht der gutherzige Pfarrer selbst, seinen zukünftigen Mörder, der aus dem Kreis der Dorfbewohner stammt, aber den der Zuschauer bis kurz vor Schluss nicht identifizieren kann, vor der Tat zu bewahren.
Die Story erinnert zwar an den Thriller Ich beichte (I confess), den Altmeister Alfred Hitchcock 1953 mit Montgomery Clift als junger Priester nach einem Drehbuch von George Tabori drehte, aber mit umgekehrten Vorzeichen: Die Tat war schon begangen und der Mörder/Beichtende war bekannt, da Hitchcock dem Zuschauer traditionsgemäß immer ein Vorwissen gestattete, um Spannung aufzubauen. In Am Sonntag bist du tot wissen wir, dass die Tat begangen werden soll, aber nicht von wem. Der betroffene Kirchenmann muss in beiden Fälle schweigen, was ihm bei Hitchcock als Mitverdächtigem "nur" die Freiheit, in McDonaghs Film aber das Leben kosten kann.
Eine weitere Besonderheit dieser Story besteht u.a. darin, das aktuelle Thema des Missbrauchs nicht direkt zu verhandeln, sondern nur als Hintergrund bzw. Motiv für die fortlaufende Handlung zu nutzen. Was folgt ist ein Kaleidoskop interessanter Einzelszenen, die die Atmosphäre in einem malerischen irischen Dorf illustrieren, hinter dessen Türen sich skurrile und tragische Schicksale abspielen. Diese haben nicht zwangsläufig mit Religiosität und Glauben zu tun. Aber da der Pfarrer im Mittelpunkt steht, werden über seine Gesprächspartner deren grundverschiedene Einstellungen gegenüber einer Institution deutlich, die für sich in Anspruch nimmt, den wahren Glauben und allgemeingültige moralische Überzeugungen zu vertreten und zu vermitteln, die aber durch eine Vielzahl von Schwarzen Schafen ihre Reputation eingebüßt hat.
Sich mit dem Pfarrer zu identifizieren und auf ein undramatisches Ende zu hoffen – ganz gleich, wie man selbst zum katholischen Glauben oder der Kirche steht – gelingt freilich nur deshalb so gut, weil die komplexe und lebensnah angelegte Figur des Pfarrers gut entworfen und von Brendan Gleeson zudem kraftvoll ausgefüllt wird. Die Zerrissenheit der Figur mag stärker sein als bei den meisten Kirchenleuten in der Realität, aber auch dafür findet das intelligente Drehbuch gute Gründe: nämlich die teils angst- oder hasserfüllten Reaktionen von Menschen auf die Institution, für die Lavelle nicht nur in den Augen des mordlüsternen Unbekannten steht. Wenn ein Vater sein Kind vor Lavelle überstürzt in Sicherheit bringt, weil er mit der schwarzen Robe skrupellosen Missbrauch verbindet, illustriert dieses Bild das Dilemma, in dem sich speziell die katholische Kirche Irlands inzwischen befindet.
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Am Sonntag bist du tot | (C) Ascot Elite Filmverleih
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Nicht zuletzt regt der Film auf unterhaltsame Weise an, über die für das Christentum zentralen Fragen von Schuld und Vergebung für das eigene Leben nachzudenken. Die elegante Inszenierung und die beachtlichen schauspielerischen Leistungen verführen den Zuschauer, sich auf ebenso idyllische wie schwarzhumorige Aspekte des Films einzulassen, bis die Chronik eines angekündigten Mordes ihrem Höhepunkt zustrebt.
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Max-Peter Heyne - 23. Oktober 2014 ID 8189
Weitere Infos siehe auch: http://www.amsonntagbistdutot.de
Post an Max-Peter Heyne
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