Eine Frau
sieht rot
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Bewertung:
Just am vergangenen Dienstag hat eine Angehörige eines der Ermordeten im zu Ende gehenden Gerichtsprozess gegen Beate Zschäpe und weitere Beschuldigte der Terrorgruppe NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) eine emotionale Rede gehalten, in der sie von ihrem zerstörten Leben, ihrer Traumatisierung und ihrer Enttäuschung gegenüber den polizeilichen Ermittlungen sprach. Ihr Bekenntnis zu ihrer deutschen Staatsangehörigkeit klang trotzig, aber nicht danach, als wolle die Frau Wut und Hass über ihr weiteres Leben bestimmen lassen.
Genau Letzteres passiert der Frau in Aus dem Nichts - dem neuen Film von Fatih Akin - , die ebenfalls mit dem Mut der Verzweiflung agiert, aber in eine destruktive Richtung, die sie selbst mit einschließt. Das macht den emotional packenden, aber nur im letzten Drittel wirklich spannenden Film zu einem sehr zwiespältigen Erlebnis, um das Wort "Vergnügen" zu vermeiden. Der hochbegabte Regisseur Akin betont dieser Tage in Interviews, dass Aus dem Nichts nicht von der NSU-Mordserie handelt, sondern sich dort nur Inspirationen holt. Und ich bin der Letzte, der in Spielfilmen die Realität vermisst, auf die sie anspielen. Allerdings ist die Anlehnung in diesem Fall so stark ausgeprägt, eindeutig und bewusst gewollt, dass die Macher des Dramas (Akin für Regie und Drehbuch und "elder statesman" des Jungen deutschen Films, Hark Bohm als Ko-Autor) sich fragen lassen müssen, ob sie nicht auch eine von den aktuellen Ereignissen abgekoppelte Geschichte hätten entwerfen können – gemessen an dem, was sie aussagen wollen.
Zwei wesentliche Aussagen transportiert die Story, in der eine junge Frau (Diane Kruger) ihren türkisch-deutschen Ehemann und den gemeinsamen Sohn durch einen heimtückischen Terroranschlag verliert und nach einem enttäuschenden Gerichtsprozess sich selbst an die Fersen der Täter heftet: Jeder Gewaltakt – vor allem wenn er Aus dem Nichts gegen völlig Unschuldige gerichtet ist - bedeutet eine seelische Verheerung bei den Opfern, und ein Mangel an aufklärerischer Sorgfalt und Gerechtigkeit fügt diesen Opfern noch einmal Unrecht zu – was fast so schlimm zu ertragen ist wie die Tat selbst. Beides anzuprangern und dabei konsequent die Perspektive der Opfer einzunehmen, die sich von aller Welt im Stich gelassen fühlen (müssen), ist eine ehrenwerte Sache, die man Akin und Bohm nicht vorwerfen kann.
Zwei Probleme aber ergeben sich aus der sehr starken Bezugnahme zu den Taten der NSU und den jahrelangen Ermittlungspannen: Die Opfer der Ermordeten sind trotz aller Trauer und Wut weder aufgrund der Morde noch aufgrund der Pannen durchgedreht und haben nicht zu Gegengewalt gegriffen. Das bedeutet, dass der Film trotz allem vermeintlichen Erheischen von Verständnis ihnen zumindest in DIESER Hinsicht Unrecht tut. Zum anderen zeigt der Film in seinem Mittelteil nicht nur Ermittlungspannen, sondern auch einen – sehr bürokratisch-tadellos und ordentlich geführten – Gerichtsprozess, aus dem die Schuldigen als Freigesprochene hervorgehen. Das aber ist eine grobe Verzerrung, denn während die Polizei und der Verfassungsschutz tatsächlich grobe, wohl auch ideologisch begründete Fehlentscheidungen oder Vertuschungen begangen haben, mühte sich in der Realität gerade die Justiz, diese Schlampereien in dem nun schon Jahre währenden Prozess gegen die NSU aufzuarbeiten.
Ich sprach von zwei Problemen, die ich weniger als moralische (aber auch!) denn als dramaturgische Probleme identifiziere: Der Film, so genial er zum Teil in seinen Details, Einzelszenen und Nebenfiguren (Denis Moschitto als Anwalt, Johannes Kirsch als Täteranwalt, Ulrich Tukur als Tätervater!) gestaltet ist, zerfällt aufgrund seiner Überladenheit in drei Teile: erst Psycho-, dann Gerichts-, dann Rachedrama. Klingt kausal zwingend und aufeinander aufbauend, ist es aber nicht – außer in der schauspielerischen Leistung Diane Krügers, die hier ihrer ohnehin beachtlichen internationalen Karriere eine erstaunliche Facette hinzufügt und zu Recht in Cannes mit der Schauspielerinnen-Palme prämiert wurde.
Die drei Teile sind also durch Krügers zwischen Opferohnmacht und Trotz-Wut verbunden, einer Frau, der man glaubt, dass sie am Ende und dem Verlust von Familie, Würde und Gerechtigkeit nichts mehr zu verlieren hat. Ansonsten wirkt es abenteuerlich konstruiert, dass die Witwe es nach einem rücksichtsvollen, aber einseitig ermittelnden Polizeibeamten dann ausgerechnet mit einem bösartig-hintertriebenen, offenkundig rechtsradikal gesinnten Täteranwalt und einem luschigen Gericht zu tun bekommt – das sieht unnötig nach Verschwörung aus, die man mit einem korrupten oder auf nationalistische Hysterie bauenden Staat (die es auch in Europa nicht zu knapp gibt) ohne weiteres verbindet, aber schwerlich mit der Bundesrepublik.
Deren Schwächen in der Aufklärung und Verfolgung rechtsradikaler Umtriebe liegen woanders, wie der TV-Dreiteiler Mitten in Deutschland: NSU und die eindringliche Dokumentarfilm Der Kuaför aus der Keupstraße aufgezeigt haben. Ja ja, ich weiß schon, das sind auch ganz anders, nicht so bigger than life ausgerichtete Filme. Aber sie waren auch schon weiter als Akins Drama, der zwischen reaktionärer Death Wish-Dramaturgie und Justiz-Polemik pendelt. Ein Charles Bronson oder Eastwood-Dirty Harry ist Diane Kruger gottlob nicht – DAFÜR gibt es denn auch 3 Sterne.
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Diane Kruger in Aus dem Nichts | (C) Warner Bros.
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Max-Peter Heyne - 23. November 2017 ID 10390
Weitere Infos siehe auch: http://www.warnerbros.de/kino/aus_dem_nichts.html
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